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Europa Interview

Das Interview führte Mirjam Stöckel22. Juni 2007

Was tut eigentlich die Europäische Union, um vor den Folgen des Alkoholkonsums zu warnen? Holger Krahmer ist für die FDP im Europaparlament und dort im Gesundheitsausschuss. Mirjam Stöckel hat mit ihm gesprochen.

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Bild: European Communities

Stöckel: EU-Gesundheitskommissar Kyprianou hat kürzlich vorgeschlagen, den Mindeststeuersatz auf Alkohol zu erhöhen. Das Parlament hat das abgelehnt. Warum eigentlich?

Krahmer: Das Parlament hat nicht aus inhaltlichen Gründen abgelehnt. Sondern wir tun uns grundsätzlich schwer, auf europäischer Ebene über Steuerthemen zu diskutieren. Denn Steuerfragen sind nun mal Angelegenheiten der EU-Mitgliedsstaaten. Und deshalb ist es auch nicht abgelehnt worden, sondern zunächst mal in den zuständigen Ausschuss zur Diskussion zurückverwiesen worden. Und das wird dort wahrscheinlich genauso enden wie alle anderen Steuerthemen, die wir auf EU-Ebene diskutieren: Der Rat sagt am Ende dazu Nein, weil grundsätzlich die Mitgliedsstaaten sich nicht in ihre Steuergesetzgebung hineinreden lassen wollen und es wird bei der Mindeststeuer auf Alkoholprodukte wahrscheinlich genauso sein.

Stöckel: Aber mal ganz ehrlich: Spielt da nicht auch die gute Lobbyarbeit eine Rolle?

Krahmer: Von wem?

Stöckel: Die gute Lobbyarbeit zum Beispiel der Brauer, der Weinproduzenten...

Krahmer: Natürlich sind demokratische Entscheidungen immer begleitet von Lobbyarbeit. Aber Lobbyarbeit in Brüssel ist breit – und groß. Da spielen nicht nur die Brauer oder sonstigen Alkoholhersteller eine Rolle, da haben wir auch Verbraucherschützer und eine ganze Reihe von Organisationen, die sich diesem Thema annehmen. Das war insgesamt sehr ausgewogen, das muss ich schon sagen. Und es ist keineswegs so, dass Abgeordnete nur unter dem Einfluss der Alkohollobby stehen.

Stöckel: Es gab auch mal die Idee, Warnhinweise aufzubringen auf Alkoholflaschen – so ähnlich, wie es in Frankreich schon gemacht wird. Sie sind dagegen. Aber wäre es nicht eigentlich nötig, die Leute über die Gefahren aufzuklären?

Krahmer: Sie geben die Antwort auf diese Frage eigentlich schon in der Frage: Was ist denn Aufklärung? Ist Aufklärung tatsächlich, die Leute mit Warnhinweisen zu schocken? Nerven wir nicht eher die Leute? Ich glaube, wir müssen uns den eigentlichen Ursachen des Alkoholmissbrauchs widmen. Wo wird denn landläufig gesagt eben zu viel gesoffen? Es ist meistens in gesellschaftlichen Feldern mit einem problematischen sozialen Umfeld: niedriger Bildungsstand Niedrige Einkommen. Wie erreichen wir diese Menschen? Wie erreichen wir, dass wir Menschen aufklären, nicht zu viel Alkohol zu trinken? Ich glaube, dass da Warnhinweise am Ende nicht viel helfen.

Stöckel: Was sollte Europa denn aus Ihrer Perspektive denn tun, um den Alkoholkonsum zu senken?

Krahmer: Wir müssen uns viel, viel stärker, viel viel intensiver wieder damit beschäftigen aufzuklären. Die Lösung des Problems liegt meines erachtens wie gesagt nicht in Warnhinweisen, sie liegt aber eben auch nicht in Verkaufsbeschränkungen. Wir hatten zu DDR-Zeiten beispielsweise auch ein staatliches Alkoholmonopol. Das war staatlich geregelt, wer Alkohol abgeben darf, es gab auch Altersbeschränkungen. Trotzdem hatten wir zu DDR-Zeiten nicht unbedingt ein geringeres Alkoholproblem.

Stöckel: Sie sprechen von Aufklärung. Aber was konkret stellen Sie sich darunter vor? Soll die EU zum Beispiel Programme in Schulen finanzieren?

Krahmer: Das ist eine Idee. Ich weiß jetzt nicht, ob das unbedingt eine europäische Aufgabe ist. Aber ich denke, wir haben auf der Ebene der Öffentlichkeitsarbeit der EU-Kommission eine Menge Möglichkeiten, auch hier anzusetzen. Was die EU tun kann, ist vollkommen klar: Verantwortungsvoller Umgang durch Aufklärungskampagnen fördern. Dabei auch die Hersteller mit ins Boot nehmen. Aber eben keine Wunder davon erwarten. Am Ende ist auch jeder für sich selbst verantwortlich. Und das muss man klar sagen. Und auch Alkoholkonsumenten sind keine Konsumtrottel. Jeder hat eine eigene Verantwortung für sich – und die gilt es zu stärken und letztendlich auch zu schulen.

Stöckel: Und auch wenn es dafür jetzt gerade gar keine konkreten Pläne gibt auf EU-Ebene: Aber was hielten Sie denn von einem europaweiten Werbeverbot für Alkohol?

Krahmer: Also ich halte von Werbeverboten relativ wenig. Weil ich grundsätzlich ordnungspolitisch der Meinung bin, dass Produkte, die legal sind, auch beworben werden dürfen. Wir sollten bei Alkohol und auch bei anderen Produkten hier und da Einschränkungen machen, an wen wir Werbung richten. Also dass Alkoholprodukte möglichst nicht direkt an Jugendliche beworben werden sollten, das ist vollkommen klar. Aber es gibt auch hier zahllose Studien, die sich unheimlich schwer damit tun, einen Zusammenhang nachzuweisen zwischen verstärkter Werbung oder beispielsweise verstärktem Werbekonsum durch Jugendliche und daraus folgendem Alkoholkonsum. Die Ursachen sind vielschichtig. Es führt eben nicht unbedingt die Werbung zu mehr Alkoholkonsum, sondern es führt eine Summe von Einzeldingen dazu. Zum Beispiel eine passive Lebensform. Wer viel vor dem Fernseher sitzt, sich nicht bewegt, wenig soziale Kontakte hat – da steigt eben das Risiko eben auch von Alkoholmissbrauch. Ob dann jetzt ein Werbeverbot dazu führt, dass solche Fehlentwicklungen nicht mehr stattfinden – da habe ich meine großen Zweifel.

Stöckel: Und Ihrer Meinung nach: Warum muss sich Europa überhaupt um das Problem kümmern?

Krahmer: Wir haben einen europäischen Binnenmarkt. Alkoholische Getränke werden quer durch den Binnenmarkt verkauft. Wir haben eine Europäische Union, die natürlich auch eine Verantwortung hat für Fragen der Gesundheitspolitik. Deswegen denke ich mal schon, dass es notwendig ist, sich darum zu kümmern. Aber wir sollten den Menschen eben auch nicht einreden, dass wir hier mit politischen Maßnahmen, für die die EU gar keine Rechtsetzungskompetenz hat – Stichwort Steuerpolitik – irgendwas erreichen können. Die EU muss und kann aktiv werden beim Thema Bildung, Aufklärung, Campaigning dazu. Und da können wir einiges machen.