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'Einkommen für alle'

Die Fragen stellte Vera Möller-Holtkamp21. März 2007

"Einkommen ist ein Bürgerrecht, Vollbeschäftigung eine Illusion. Also müssen wir Arbeit und Einkommen trennen", sagt Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette "dm". Sein Modell soll die Freiheit des Menschen sichern.

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Götz Werner (Quelle: dm)
Milliardär Götz W. Werner träumt von einem neuen SozialstaatBild: dm

Sein Buch "Einkommen für alle" ist frisch (21.3.2007) auf dem Markt. Der Milliardär, der 1972 bei null anfing und heute ein Unternehmen mit 23.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 3,3 Milliarden Euro führt, propagiert darin ein radikal neues Sozialsystem. Die Idee: Jeder Bürger, egal welchen Alters, soll zum Monatsbeginn vom Staat eine feste Summe erhalten, sukzessive steigend von 800 auf 1500 Euro.

Götz Werner will, dass die Einkommenssteuer wegfällt, dafür die Mehrwertsteuer auf 50 Prozent erhöht wird. Das Dickicht kontrollierender und verteilender Ämter solle damit gelichtet werden. Deutschland werde dadurch zum "Steuer- und Arbeitsparadies", träumt der gebürtige Heidelberger. Schätzungen zufolge kostet sein Modell eine dreistellige Milliardensumme.

Viele Kritiker winken hämisch lachend ab. Die Tageszeitung taz hat seine Idee auch als "Kombilohn für alle" bezeichnet. Aber es gibt prominente Fürsprecher: Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus und der Soziologe Ulrich Beck werben für Werners Idee, in der Sozialisten wie Liberale ihre Überzeugungen wiederfinden können. Götz Werner ist Leiter des Interfakultativen Instituts für Entrepreneurship an der Universität Karlsruhe.

DW-WORLD.DE: Herr Werner, wie kam es dazu, dass Sie jetzt Ihre Ideen in Buchform gegossen haben?

Götz W. Werner: Es sind Verlage auf mich zugekommen, die über das Thema ein Buch schreiben wollten, und dann haben wir einen Verlag ausgesucht. Das war dann Kiepenheuer & Witsch. Ich wollte mit dem Thema nicht in die Wirtschaftsecke - das bedingungslose Grundeinkommen ist ja ein Kulturimpuls, der in die Gesellschaft hineinkommen soll, so dass die Menschen ihre Paradigmen verändern können.

Wie kann Ihr Konzept die Gesellschaft verändern?

Das bedingungslose Grundeinkommen führt dazu, dass jeder Mensch einen verfassungsrechtlich verbrieften Anspruch auf ein Einkommen hat, was ihm erlaubt, zwar bescheiden, aber menschenwürdig zu leben. Und das hat natürlich zur Folge, dass ich mir keine Sorgen mehr um die Zukunft machen muss. Dass ich mir keine Sorgen mehr darüber machen muss, ob ich den Arbeitsplatz verliere oder darüber, dass ich in ein Loch falle, wenn ich mich um meine Familie kümmern und dafür eine Auszeit nehmen will. Diese Abwesenheit von Angst hat natürlich auch einen Einfluss auf die Befindlichkeit der Menschen.

Haben Sie persönlich diese Angst erlebt?

Ich persönlich noch nicht. Aber man kann kein Unternehmer sein, wenn man nicht die Grundhaltung hat, dass es keine ausweglosen Situationen gibt - aber das ist nicht jedermanns Sache. Wir erleben heute, dass sich Menschen festklammern, und das führt zu der tragischen Situation, dass viele Menschen nur scheinbar einen Arbeitsplatz haben. In Wirklichkeit haben sie nur einen Einkommensplatz. Die machen eigentlich eine Arbeit, mit der sie sich gar nicht identifizieren können, die sie eher krank macht. Aber sie können auf das Einkommen nicht verzichten.

Ist es nicht etwas verträumt und idealistisch zu glauben, jeder könne eine Arbeit machen, die zu ihm passt und ihn ausfüllt, und es, wie Sie es nennen, keine "Einkommensplätze" mehr geben wird?

Das ist meine unternehmerische Erfahrung. Je mehr es uns gelingt, dass die Menschen die Arbeit machen, die ihnen entspricht, desto effizienter ist die Arbeit, desto mehr Eigeninitiative bringen die Menschen ein. Heute haben wir eigentlich eher das Gegenteil - die Menschen halten sich an der Arbeit fest. Und wir subventionieren ganze Industrien, nur um die Arbeitsplätze zu erhalten. Ein Schwachsinn eigentlich.

Könnte das nicht auch nach hinten losgehen, wenn man ein festes Einkommen hat? Besteht nicht die Gefahr, einfach träge zu werden?

Das ist eine naheliegende Überlegung. Aber das Grundeinkommen würde genau das Umgekehrte zur Wirkung haben. Dadurch, dass ich das Grundeinkommen habe, kann ich sozusagen frisch, fromm und frei an die Arbeit gehen und muss nicht erst fragen, was ich dafür bekomme. Durch die Verkoppelung von Arbeit und Einkommen fangen wir erst an zu arbeiten, wenn alles klar ist.

Ihr Buch kommt heute auf den Markt. Haben Sie beim Schreiben auch schon an Ihre Kritiker gedacht?

Es gibt natürlich Einwände. Wenn man wirklich was Neues machen will, dann muss man sich von dem Bestehenden frei machen. Wichtig ist, dass diese Idee von möglichst vielen Bürgern gedacht werden kann, dass die Idee epidemisch wird. Je mehr Menschen die Idee denken, desto eher ist damit zu rechnen, dass diese Idee auch Wirklichkeit wird. Nur das, was wir denken können, können wir auch wollen. Und nur das, was wir wollen, können wir auch gestalten.

Haben Sie sich über die Finanzierbarkeit Ihrer Ideen Gedanken gemacht?

Ja, die Finanzfrage ist sehr wichtig - auch die Frage, wie wir da denkerisch dran gehen. Wenn wir in die Gesellschaft schauen, dann wissen wir, dass ja jeder von uns schon ein Einkommen hat. Das führt dann zu der Erkenntnis, dass alles schon bezahlt ist. Das Grundeinkommen wirkt substitutiv. Wir tun nichts anderes, als einen Teil des Einkommens abzusondern. Das Grundeinkommen wird dann sozusagen verfassungsrechtlich verankert ausbezahlt an den Bürger. Wir subventionieren damit die menschliche Arbeit.

Werden Ihre Thesen manchmal mit sozialistischen Prinzipien verglichen?

Das ist was völlig anderes. Das Grundeinkommen appelliert an das Individuum und nicht an das Kollektiv. Das Grundeinkommen appelliert an die Initiative. Das Grundeinkommen appelliert an die Selbstorganisation, an die Selbstführung. Und das alles ist weit weg von Sozialismus. Ein Leser hat mir geschrieben: "Durch die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens kann ich endlich mein sozialistisches Herz mit meinem neoliberalen Verstand versöhnen". Er spricht mir aus der Seele. Die Arbeit wird erlöst von dem Arbeitsbegriff, den wir heute haben - Arbeit ist weisungsgebundene, sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit. Stattdessen wird der Begriff auf das gesamte menschliche Geschehen verbreitert, auch auf die Familienarbeit, die Sozialarbeit, die Kunst- und Kulturarbeit.

Inwiefern wird dieser Blick auf die Arbeit in Ihrem Unternehmen angewendet?

Man muss trennen zwischen der Tatsache, dass jemand bei uns arbeitet und dass jemand ein Einkommen erhält. Das Einkommen darf nie als die Bezahlung der Arbeit gesehen werden, sondern als die Ermöglichung der Arbeit. Das tut auch jeder Unternehmer und jeder Angestellte, wenn er ein Einstellungsgespräch führt. Dann fragt man sich nämlich: "Was muss ich denn verdienen, damit ich hier arbeiten kann?" Und der Arbeitgeber denkt: "Was muss ich denn bezahlen, damit der auch kommt?" Und wenn man das weiterdenkt, hat man im Unternehmen schon andere Verhältnisse. Wir haben zum Beispiel keine Anreizsysteme. Die Arbeit kann nur dann sinnvoll sein, wenn der Einzelne den Sinn der Arbeit selbst erkennen kann.

Bekommt er dann weniger Geld, weil er so glücklich über seinen Arbeitsplatz ist?

Das hat damit nichts zu tun. Es ist die Frage, was für Einkommen wir generieren können. Und das hängt davon ab, was uns die Kunden für unsere Leistung zahlen.