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Präsident Georgiens wirbt in Straßburg für EU-Annäherung

16. November 2006

Erstmals hat ein georgischer Präsident vor dem Europäischen Parlament gesprochen. In seiner Rede ging Michail Saakaschwili auf einen möglichen EU-Beitritt Georgiens und die angespannten Beziehungen zu Russland ein.

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Michail Saakaschwili: EU-Mitgliedschaft Georgiens als FernzielBild: AP

Michail Saakaschwili, der vor drei Jahren durch die gewaltlose "Rosen-Revolution" ins Amt kam, fühlte sich sichtlich wohl im Straßburger Plenarsaal. Vor vielen Jahren habe er sich als Praktikant in Straßburg in seine niederländische Frau Sandra verliebt, im Europarat habe er die Liebe zur Politik und dem multinationalen, freiheitlichen Europa entdeckt, erzählte das Staatsoberhaupt. Ehefrau Sandra, seine Mutter und Großmutter wurden auf der Besuchertribüne nun Zeuge, wie Michail Saakaschwili für einen Beitritt Georgiens zur Europäischen Union warb.

EU-Mitgliedschaft als Fernziel

Georgien sei historisch gesehen ein altes europäisches Land, das sich in den letzten drei Jahren von einem post-sowjetischen Chaos in eine marktwirtschaftliche Demokratie verwandelt habe. Er wolle die EU-Bürger aber nicht verschrecken durch allzu starkes Drängen. Saakaschwili betonte: „Mitgliedschaft ist ein entferntes Ziel, es ist aber nicht auf der unmittelbaren Tagesordnung. Es sind eher die europäischen Prinzipien, die wir als Grundstein für unsere Entwicklung nutzen." Die EU-Kommission hatte erklärt, dass Georgien bis auf weiteres keine Chance auf eine volle Mitgliedschaft habe, aber verstärkt in die europäische Nachbarschaftspolitik und wirtschaftliche Kooperation eingebunden werden solle. Ein entsprechender Aktionsplan wurde am Dienstag (14.11.) in Brüssel unterzeichnet.

Verhandlungsbereitschaft mit Russland

Präsident Saakaschwili bot Russland Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen auf allen Ebenen an: „Wir hatten genug Spannungen und Schlammschlachten. Ich denke, diese Rhetorik führt nicht weiter. Es ist Zeit für Diplomatie, für Diskussion und die konstruktive Annäherung an gemeinsame Interessen und Verantwortung."

Russland hatte eine Wirtschaftsblockade gegen Georgien verhängt, nachdem russische Offiziere in Georgien festgenommen worden waren. Russland unterstützt die Separatisten in den abtrünnigen georgischen Provinzen Süd-Ossetien und Abchasien. Die EU hatte ein Referendum zur Unabhängigkeit von Süd-Ossetien am Wochenende für null und nichtig erklärt. Parlamentspräsident Josep Borell sagte: „Das Europäische Parlament, alle Gruppen, unterstützen die Souveränität und territoriale Integrität ihres Landes, aber die Konflikte um Süd-Ossetien und Abchasien müssen gelöst werden - auf friedliche Weise unter Beteiligung aller betroffenen Parteien."

Der georgische Präsident Michail Saakaschwili appellierte an Moskau, die Verfolgung und Benachteiligung von Georgiern in Russland einzustellen und den wirtschaftlichen Druck zu vermindern. Der habe nur den Effekt, dass Georgien noch schneller die Anbindung an Europa suche. Die vom staatlichen russischen Gaskonzern Gasprom angekündigte Preiserhöhung für Lieferungen nach Georgien lehnte Saakaschwili kategorisch ab. Die völlig überhöhten, politisch motivierten Preise werde man nicht zahlen. Man habe aber nichts gegen russische Investitionen in Georgien einzuwenden. Saakaschwili meinte: „"Wir sind kooperativ gegenüber Russland, kein Gebiet ist ausgeschlossen. Aber wenn uns jemand zwingt etwas zu tun, dadurch dass er Gas nicht liefert, dann ist das politischer Druck, um nicht zu sagen Erpressung. Es ist nicht gut, wirtschaftliche Entscheidungen unter diesem Druck zu treffen."

Georgien werde versuchen sich durch eigene Energieerzeugung, alternative Lieferanten und Energieeinsparung so schnell wie möglich unabhängiger von russischem Gas zu machen, kündigte der georgische Präsident in Straßburg an. Die Minderheitenrechte der Abchasier und Osseten sollten respektiert werden, ihnen solle größtmögliche Autonomie eingeräumt werden. 5 Millionen Georgiern stünden etwa 30.000 Abchasier und 20.000 Osseten gegenüber. Russland habe diese Minderheiten als Geiseln in einem größeren Spiel genommen, sagte Saakaschawili. Moskau müsse begreifen, dass im 21. Jahrhundert die Zeit der Einflusssphären endgültig vorbei sei.

Positive Entwicklungen

Georgien hatte mit Unterbrechungen rund 200 Jahre zum russischen Zarenreich und zur Sowjetunion gehört, bevor es 1991 nach dem Zerfall des kommunistischen Reiches unabhängig wurde. Michail Saakaschwili bemüht sich nicht nur um einen Beitritt zur EU, sondern auch um eine Bindung an die USA, wo eine große georgische Auswanderergemeinschaft lebt. 2004 hat Georgien 850 Soldaten unter US-Führung im Irak stationiert. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds lobten in den letzten Jahren ausdrücklich die wirtschaftlichen Reformen in Georgien. Auf der internationalen Reformskala der Weltbank rangiert Georgien auf dem 37. Platz hinter Frankreich, aber noch vor Spanien. Das Land ist traditionell ein multi-ethnisches Gemisch aus knapp 30 Völkern und Religionsgemeinschaften.

Bernd Riegert, Brüssel

DW-RADIO, 14.11.2006, Fokus Ost-Südost