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Viel Zeit bleibt nicht mehr – deutsche Sprachinseln in Gefahr

Walter Kittel17. Juli 2006

Die Muttersprache ist im Allgemeinen die Sprache, die man am besten beherrscht. Doch sie kann auch zur fremden Sprache werden – so zum Beispiel bei den deutschen Minderheiten in Osteuropa und Zentralasien.

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Deutsch ist mehr als Folklore und BlasmusikBild: Bilderbox

Die deutschen Dialekte in Osteuropa sind nur noch sporadisch zu finden und dienen kaum noch als Mittel der Verständigung. Sie sind daher ein begehrtes Forschungsobjekt für Sprachwissenschaftler. Für Hermann Scheuriger und Alfred Wildfeuer gleicht die Arbeit in der Ukraine einer Zeitreise. Etwa 3000 bis 5000 Menschen sprechen im Westen des Landes, in Transkarpatien, heute noch Deutsch, genauer: alte, deutsche Dialekte. Neben dem Fränkischen ist in Transkarpatien vereinzelt auch noch das Böhmerdeutsche zu entdecken. Auch eine Dialektform aus dem österreichischen Salzkammergut konnte dort ausfindig gemacht werden.

Der Bevölkerung sind solche Eigenheiten nichtbewusst, sagt Sprachforscher Hermann Scheuriger: "Für die Leute war es völlig unbekannt, dass das ein bayerischer oder ein fränkischer Dialekt ist. Sie bezeichnen ihre Sprache selber als 'Schwobisch', obwohl es nichts mit dem Schwäbischen zu tun hat."

Deutschland Russland Merkel trifft Russlanddeutsche in Tomsk
Noch gibt es sie - Russlanddeutsche in TomskBild: AP

Sprachwissenschaftler konservieren heute die verbliebenen deutschen Dialekte in der Ukraine, in Kasachstan und in Russland auf Tonbändern.Viel Zeit bleibt nicht mehr. Vor 1990 gab es noch zahlreiche zusammenhängende deutsche Sprachinseln. Das heißt, in mehreren nebeneinanderliegenden Dörfern einer Region wurde Deutsch gesprochen.

Deutsche Sprachinseln "wandern aus"

Doch durch die starke Abwanderung der Bevölkerung nach Deutschland sind fast alle so genannten Sprachinseln verschwunden oder löchrig geworden, sagt die in Sibirien aufgewachsene und heute in Deutschland lebende Sprachwissenschaftlerin Nina Berend. "Im Allgemeinen sind die früheren Sprachinseln, wie sie bis 1990 existiert haben, nicht mehr vorhanden. Das heißt, da leben jetzt Zugezogene oder Menschen anderer Nationalität. Die früheren Bewohner sind nach Deutschland ausgewandert."

Seit es weniger zusammenhängende Regionen gibt, in denen Deutsch gesprochen wird, verschwindet das Deutsche immer schneller. Schon jetzt ist absehbar, dass manche Dialekte in der Ukraine bald nicht mehr gesprochen werden, sagt der Sprachforscher Alfred Wildfeuer. "Bei den Böhmerdeutschen ist die jüngste Sprecherin, die uns begegnet ist, 45 Jahre alt. Es gibt anscheinend kaum noch Kinder, die mit dieser Sprachvariante des Deutschen aufwachsen."

Goethe-Institut will Sprache erhalten

Das Geothe-Institut versucht, die Sprache der deutschen Minderheiten zu erhalten. Es gibt Sprachkurse für jene, die des Deutschen nicht mehr mächtig sind und Kulturangebote, die ein aktuelles Deutschlandbild vermitteln sollen. Doch die deutschstämmigen Bewohner in Russland, Kasachstan oder der Ukraine sprechen nicht nur alte Dialekte, sie lieben und schätzen auch ein sehr altes Deutschlandbild. "Ihnen geht hauptsächlich um Folklore, Kostüme, Fahnen," sagt Werner Jost vom Goethe-Institut. "Es geht um Tänze, Gesänge und ähnliche Dinge, in denen sie ihre Identität finden. Uns reicht das nicht. Wir verstehen unter Identität, die in die Zukunft reicht, etwas anderes. Da versuchen wir sie dann vorsichtig hinzubringen."

Leben zwischen den Welten

Das Leben zwischen zwei Kulturen und Sprachen ist für die Betroffenen fast immer sehr schwierig. Die Schriftstellerin Eleonara Hummel etwa hat ihre Kindheit in Kasachstan verbracht und zog dann mit ihren Eltern nach Dresden. Heute lebt ihre Dichtung von der Erfahrung, in zwei sehr unterschiedlichen Welten groß geworden zu sein. "Ich habe erst mit der Zeit schätzen gelernt, dass ich auf einen Fundus zurückgreifen kann, der vielleicht nicht jedem zur Verfügung steht. Das als Bereicherung und Vorteil zu sehen, war ein längerer Prozess. Erst seit ein paar Jahren bin ich da angekommen, dass ich jetzt nicht damit hadere: warum hätte ich nicht jemand anders sein können? Ich habe mich damit abgefunden und bin zufrieden."

Die deutsche Herkunft, besonders die Kenntnisse der deutschen Sprache als Chance zu begreifen, gelingt heute im harten Alltag in Russland, der Ukraine oder Kasachstan nur wenigen. Manche Deutschstämmige können aber mittlerweile von der Zweisprachigkeit sogar beruflich profitieren, wie der Sprachwissenschaftler Alfred Wildfeuer während seines Aufenthalts in der Ukraine erfahren hat. "In dem Teil der Ukraine, in dem wir unterwegs waren, hat ein großer österreichischer Skihersteller ein Werk. Da ist es sicher von Vorteil gewesen, dass Einzelne Deutsch noch aus der Familie mitbrachten."