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Argentinischer Spielerexport: Warum Fußballclubs ihre Talente nach Europa verkaufen

Gaby Weber8. Mai 2006

Die Geldnot argentinischer Fußballclubs zwingt sie oft, ihre größten Talente nach Europa zu exportieren - ein Millionengeschäft. Kein Wunder, dass sich immer mehr Talent-Scouts aus Europa an den Plätzen herumtreiben.

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Begehrt: Spieler von River PlateBild: AP

Training im Fußballstadion River Plate, dem größten Verein Argentiniens: In der vorderen, rechten Ecke des Feldes wird Elfmeter-Schießen geübt, Schuss auf Schuss, rechts, links. Und wieder, rechts, links. Der Trainer ist zufrieden, wie die Fans hinter dem Zaun. Von dort aus beobachten die Freundinnen und Mütter stolz ihre Jungs. In kurzen Abständen ein Höllenlärm aus der Luft. Das River-Plate-Stadion liegt neben dem Stadtflughafen von Buenos Aires. Hinter dem Zaun verfolgen Gäste mit Notizblocks das Treiben auf dem Rasen.

Millionen an Devisen

Lionel Messi
Lionel Messi kam aus Argentinien zum FC BarcelonaBild: AP

Nicht nur deutsche Klubs schicken "Scouts", also Talentjäger. "Einige geben sich als Praktikanten aus und beobachten in allen Provinzen unsere Spieler. Und wenn ihnen einer gefällt, kommt gleich ein Angebot", erzählt der Trainer der Jugendmannschaft, Gabriel Rodrígues. "Ich war bis Anfang des Jahres Trainer bei San Lorenzo und habe mitbekommen, wie der Scout vom PSV Eindhoven im vergangenen Jahr einen meiner Jungs, den 17-jährigen Juan Carizo, in einem Turnier in Punta del Este sah und sofort nach dem Spiel dem Präsidenten von San Lorenzo ein Angebot machte." Nach einer Probezeit von drei oder vier Wochen sei Carizo verkauft worden; heute spiele er beim PSV in Holland. "Für den Verein war das ein wahrer Geldsegen."

Der Export von Fußballspielern bringt Argentinien, wie der Export von Rindfleisch, Millionen. Gerade war Bayern Münchens Manager Uli Hoeneß auf der Suche nach Nachwuchs an den Rio de la Plata gereist. Er hat es auf den 17-jährigen Sergio Agüero von Independiente abgesehen. Ein konkreter Vorschlag soll noch nicht vorliegen. Zzumindest keiner, der den Vereinschef überzeugt. Die Bayern werden tief in den Geldbeutel greifen müssen.

Lieber nicht ins kalte Deutschland

Eigentlich, so heißt es, wolle der Junge lieber nach Spanien als ins kalte Deutschland. Denn auf der iberischen Halbinsel kicken schon seine Freunde, Lionel Messi beim FC Barcelona und Ezequiel Garay bei Racing Santander. Doch wenn Bayern München mit Independiente handelseinig wird, wird Agüero nicht Nein sagen können. Der Verein hat jahrelang in seine Ausbildung investiert - und tut der Junge nicht, was ihm gesagt wird, ist seine Karriere vorbei, bevor sie begonnen hat. Und er, beziehungsweise seine Eltern, bekommen ja auch etwas ab von der sicher sechs-, möglicherweise siebenstelligen Ablösesumme.

Diego Placente
Rodrigues' erfolgreicher Zögling: Diego Placente spielt in der deutschen Bundesliga bei Bayer LeverkusenBild: dpa

Laut Fifa-Regeln entfallen auf den Spieler mindestens fünfzehn Prozent. Das mag wenig sein, verglichen mit den Profiten, die das Business mit dem rollenden Leder abwirft, aber ein unvorstellbarer Batzen für jemanden, der wie Agüero im armen Süden von Buenos Aires aufgewachsen ist. Auch wenn es ein Profi in Argentinien auf bis zu 30.000 Euro monatlich bringen kann - das verdienen einige, und sogar noch mehr, in Europa täglich.

Die Exporte werden jünger

Jeder Verkauf ins gelobte Europa wird auf den Titelseiten gefeiert. Wieder hat es einer von ihnen geschafft! Und die Exporte werden immer jünger, berichtet Trainer Rodrígues. Während in Deutschland ein Spieler mit 23, 24 in die Bundesliga aufsteigt, werden seine Muchachos mit siebzehn, achtzehn verkauft.

Der 19-jährige Santiago spielt seit vier Jahren in der Jugendmannschaft von River Plate. Für ihn ist es höchste Zeit. "Noch bis letztes Jahr habe ich in der Pension von River gelebt und die Vereins-Schule besucht, das vierte und fünfte Schuljahr", berichtet er. "Eigentlich habe ich die Schule beendet, aber einige Prüfungen muss ich nachholen, um den Abschluss zu bekommen." Wie alle anderen träume er davon, Profispieler zu werden. Und River biete als der größte argentinische Klub die besten Chancen. "Natürlich geht es uns um den Ruhm, aber es ist auch klar, dass du mit keinem anderen Beruf annähernd das Geld verdienst, das du im Fußball machen kannst. Deshalb reißen wir uns alle ein Bein aus", sagt Santiago.

Martin Demichelis
Auch Martin Demichelis kam von River Plate Buenos Aires nach Deutschland - zum FC Bayern MünchenBild: AP

Die Jugendmannschaft ist gerade fertig mit dem Training. Vom Umkleideraum aus geht es direkt in vereinseigene Pension. Dort sind, ab dem zehnten Lebensjahr, die jungen Spieler untergebracht, die aus dem ganzen Land gekommen sind - im Moment 82. Sie leben praktisch im Stadion. Oft aber machen sich windige Gestalten an ihre Eltern heran, lassen sich die Vormundschaft überschreiben und verkaufen den Jungen auf eigene Rechnung ins Ausland. Ein Verlust für die Mannschaft und für den Verein, klagt Trainer Rodrigues. "Die Vereine verkaufen ihre besten Spieler, weil sie finanzielle Probleme haben. Die Profis kommen aus den Amateur-Mannschaften, in die die Jungs sehr jung eintreten sollen."

Stolz auf die Legionäre

Stimmt es ihn nicht traurig, jahrelang "seine Jungs" zu trainieren und dann zuzusehen, dass sie ihre beruflichen Erfolge im Ausland, und nicht im Heimat-Klub feiern? "Nein, ich bin stolz darauf", sagt Rodrigues. "Wir werden ja unter Vertrag genommen, um aus ihnen großartige Spieler zu machen. Wenn mir das gelingt und einer meiner Schüler im Ausland triumphiert, dann kommt mein Ego auf die Kosten." Er zählt seine Zöglinge auf: Zaviola, der nach Barcelona verkauft wurde und heute in Sevilla spielt; da Crespo, der nach Italien verkauft wurde und bei Chelsea in England spielt. Gallardo, der nach Jahren in Monaco wieder bei River kickt. Placente von Bayer Leverkusen und D'Alessandro in Wolfsburg.

Rodrigues fühlt sich für seine Jungs verantwortlich, auch dafür, dass sie in die Schule gehen. Gerade heute hat ihm die Schule eine Liste geschickt: "Die Namen mit einem Kreuz auf der Liste schwänzen den Unterricht, in den letzten Wochen vierzehn von 35 Schülern. Ich drohe ihnen, sie aus der Mannschaft zu werfen, wenn sie nicht lernen. Aber solange sie das nicht freiwillig tun, bringt das nicht viel." Ein Profispieler hat eine "wirtschaftlich nutzbare Zeit" von maximal zwölf Jahren, so der Trainer. Und es sind nur wenige, die in diesen zwölf Jahren so unvorstellbar reich werden, dass sie und ihre Sippe ausgesorgt haben. Die anderen müssen danach einen normalen Beruf ausüben.