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Zehn Jahre nach Ende des Kroatien-Krieges: Erinnerung an die entscheidende Offensive

4. August 2005

Vor 10 Jahren besiegten kroatische Truppen die bewaffneten Serben in Kroatien. Die so genannte Operation "Sturm" bietet noch heute viel Stoff für Kriegs- und Friedensforscher, aber auch für Verschwörungstheoretiker.

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Hauptakteur in Kroatien: Ex-Präsident Franjo TudjmanBild: AP

Nach 85 Stunden war schon alles vorbei. Die kroatischen Truppen hatten das von den aufständischen Serben besetzte Drittel kroatischen Territoriums zurückerobert. Am 4. August 1995, um 5 Uhr morgens, begann der Raketenangriff auf Knin, die Hauptstadt der selbsternannten Republik Srpska Krajina. Am 7. August, um 18 Uhr abends, erklärte Zagreb die Militäroperation "Sturm" für abgeschlossen. Damit war nach vier Jahren auch der Kroatien-Krieg beendet.

Flucht und Vertreibung

Die Operation "Sturm" wurde für die Kroaten zum Symbol des glorreichen Sieges über den serbischen Aggressor. Die Serben dagegen betrachten die Kämpfe noch heute als ein Beispiel ethnischer Säuberungen. Der prominente kroatische Bürgerrechtler Zarko Puhovski meint "Wie es manchmal so ist, stimmt hier, so glaube ich, im Grunde genommen beides. Es gibt keinen Zweifel daran, dass dies eine erfolgreiche kroatische Militäraktion war. Gleichwohl gibt es auch keinen Zweifel daran, dass nach der Aktion viele Verbrechen begangen worden sind."

Mehr als 200.000 Serben flohen vor den kroatischen Truppen. Mindestens halb so viele wurden aus anderen kroatischen Regionen während des Krieges vertrieben oder waren geflüchtet. Die kroatische Regierung zählt heute fast 150.000 serbische Rückkehrer. Die serbischen Flüchtlingsverbände glauben aber, tatsächlich sei nur die Hälfte davon zurückgekehrt.

Verbrechen vor dem UN-Tribunal

Was die serbische Seite nur ungern zugibt: Mehr als 170.000 Kroaten wurden aus den serbisch dominierten Gebieten vor allem zu Beginn des Krieges 1991 vertrieben. Verbrechen an Zivilisten wurden auch von den serbischen Truppen hundertfach begangen. Aber auch während der Operation "Sturm" und in den Tagen danach wurden zwischen 600 und 1.200 - die kroatischen und serbischen Angaben gehen hier auseinander - serbische Zivilisten ermordet. Organisierte Plünderungen und Zerstörungen ganzer Ortschaften waren an der Tagesordnung.

Deswegen sitzen seit mehr als einem Jahr zwei kroatische Generäle in der Untersuchungshaft des Haager Kriegsverbrecher-Tribunals für das ehemalige Jugoslawien. Die Anklage erwähnt als Mitschuldigen auch deren damaligen Oberbefehlshaber, Präsident Franjo Tudjman. Tudjman starb, noch bevor die Ermittlungen beendet wurden. Doch der Prozess vor dem Haager Tribunal wird nicht nur der gesamten Führung der Krajina-Serben, sondern auch dem ehemaligen Präsidenten Serbiens und Rest-Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, gemacht. Der deutsche Diplomat Geert Ahrens findet das nur gerecht: "Das Gesamtbild war doch eben so, dass hier auf kroatischem Gebiet eine Auseinandersetzung stattgefunden hat, in der Belgrad die serbische Seite immer wieder durchaus unterstützt hat. Man wäre sonst sicherlich auch zu einer vernünftigen Regelung gekommen. Denn eine lange Zeit war auch die Administration Tudjman - schon aus der eigenen Schwäche heraus - bereit, eine vernünftige Regelung zu finden."

Gescheiterte Kompromisse

Die Rede ist von dem so genannten Z4-Plan. Er wurde bereits Ende 1994, Anfang 1995 von der diplomatischen "Zagreb 4"-Gruppe ausgearbeitet, in der auch Geert Ahrens saß. Die Krajina-Serben lehnten den Plan ab, der ihnen eine weit reichende Autonomie, ja fast eine staatliche Selbstständigkeit, garantiert hätte. Doch die Krajina-Serben waren nur an einer Vereinigung mit Serbien interessiert.

Militärische Absprachen?

Acht Monate später - im August 1995 – griffen die kroatischen Truppen die UN-Schutzzone Krajina an. Sowohl die Einheiten aus Kroatien als auch die der bosnischen Kroaten hatten die selbsternannte Serben-Republik umzingelt. Frei gelassen wurden nur zwei Korridore, über die serbische Truppen und Flüchtlinge zu den serbischen Gebieten in Bosnien gelangen konnten. Der aus Kroatien stammende Belgrader Militärexperte Aleksandar Radic meint: "In dieser Operation war die Armee der Krajina-Serben von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil sie nach den politischen Entscheidungen des Regimes Milosevic durchgeführt wurde. Es handelte sich dabei um einen organisierten, von vornherein geplanten Rückzug aus diesen Territorien. Die kroatische Seite erreichte einen hohen Grad der Verständigung mit Belgrad. Ich bin fest davon überzeugt, dass die kroatische Seite den Angriff nicht angefangen hätte, hätte Belgrad nicht versichert, dass es keine organisierte und langwierige Gegenwehr geben werde."

Der damalige Präsident Serbiens Milosevic war der eigentliche Lenker der Serben in Kroatien. Er hat deren Ängste geschürt, als sie sich durch die nationalistischen Parolen Tudjmans an die Pogrome aus dem Zweiten Weltkrieg erinnert fühlten. Und es waren Milosevics Geheimdienstleute, die den Serben-Aufstand nach der kroatischen Unabhängigkeitserklärung mit vorbereitet haben. Zudem gab es einen regen Offiziersaustausch. Noch kurz vor der Operation "Sturm" wurden ein Dutzend Generäle und mehr als 100 Armee-Oberste aus Serbien in die Krajina geschickt. Um die Truppen für den Rückzug vorzubereiten, meint Militärexperte Radic.

Es liegt nahe, so der deutsche Diplomat Geert Ahrens, dass Milosevic den Z4-Plan für die kroatischen Serben verworfen hat, weil ihm signalisiert wurde, eine ähnliche Regelung werde er später auch für die Albaner in Kosovo akzeptieren müssen. Milosevic habe die kroatischen Serben geopfert, weil er sich auf Bosnien konzentrieren musste, glaubt wiederum der deutsche Kriegs-Reporter und Balkan-Buchautor Norbert Mappes-Niediek. Man könne noch nicht beweisen, dass es zu einer Absprache gekommen sei. Aber, so Mappes-Niediek weiter: "Was es im ganzen Jahr 1995 gegeben hat, war eine unsichtbare Hand, die die Verhältnisse geordnet hat. Stück für Stück haben sich die Verhältnisse auf dem Boden an das angenähert, was die Kontakt-Gruppe 1994 in ihrem Territorialverteilungsplan beschlossen hat: nämlich dass 51 Prozent des bosnischen Territoriums zu Föderation und 49 Prozent den bosnischen Serben gehören sollen."

Der Bosnien-Plan der Kontakt-Gruppe für Ex-Jugoslawen wurde bei den Dayton-Verhandlungen im Oktober 1995 in einen Friedensplan umgesetzt: Etwas mehr als die Hälfte des Territoriums für die muslimisch-kroatische Föderation, etwas weniger für die bosnische Serben-Republik. Ohne den Sieg der Kroaten in der Operation "Sturm", darin sind sich heute alle Beobachter einig, wäre diese Lösung nicht möglich gewesen.

Filip Slavkovic
DW-RADIO/Serbisch, 4.8.2005, Fokus Ost-Südost