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Die neuen Machthaber

26. Januar 2012

Sie sind die großen Sieger der Wahlen in Ägypten: die Muslimbrüder. Auch die radikalen Salafisten triumphieren über ihr gutes Ergebnis. Ihre Erfolge sind durch Wahlen legitimiert, die noch nie zuvor so frei waren.

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Ein Ägypter schaut sich das Wahlplakat der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüder an (Foto: dapd)
Viele Wähler haben sich für die Muslimbrüder entschiedenBild: dapd

Die Ägypter haben seit Jahrzehnten das erste Mal frei gewählt. Und sie haben sich offenbar dafür entschieden, von Islamisten regiert zu werden. Das endgültige Ergebnis der über mehrere Etappen abgehaltenen Wahl zum Abgeordnetenhaus steht fest: Die Partei der Muslimbrüder "Freiheit und Gerechtigkeit" hat 47 Prozent der Stimmen erhalten. Doch nicht nur die Muslimbrüder triumphieren über ihren Wahlerfolg, sondern auch die radikal-islamischen Salafisten. Sie gehen mit 24 Prozent der Stimmen als zweitstärkste Kraft aus der Wahl hervor, obwohl sie in der politischen Landschaft Ägyptens eine neue Kraft darstellen. Die Partei des Lichts, so nennt sich die Salafisten-Partei, gibt es erst seit einem halben Jahr.

Bei diesem Wahlergebnis ringt sogar ein Schwergewicht der ägyptischen Politik wie Amr Mussa, langjähriger Chef der Arabischen Liga und möglicher Präsidentschaftskandidat, nach Worten. Er spricht vom Lauf der Demokratie, deren Resultate man zu akzeptieren habe. Die Tahrir-Aktivisten und ihre Parteien haben es nicht geschafft, sich und ihre Parteien im vergangenen Jahr so bekannt zu machen, dass sie gewählt wurden. Und selbst die Anhänger des alten Mubarak-Regimes haben nur etwa 20 Sitze belegen können.

Mit den Liberalen oder den Salafisten?

Wohin die Reise am Nil jetzt geht, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Während die Salafisten betonen, dass sie nicht von ihren streng islamischen Regeln abrücken werden, geben sich die Muslimbrüder bewusst moderat. So haben sogar einige ihrer Spitzenvertreter am koptischen Weihnachtsgottesdienst Anfang Januar in der Kairoer Kathedrale teilgenommen und sprachen demonstrativ von "Toleranz und Mäßigung".

Saad al-Katatni (Foto: Reuters)
Saad al-Katatni von den Muslimbrüdern soll Parlamentssprecher werdenBild: REUTERS

Die Muslimbrüder, aber auch die Salafisten sehen ihren Erfolg als Ernte der jahrzehntelangen religiösen Überzeugungsarbeit, ihres sozialen Engagements und ihrer Fundamentalopposition zum alten Mubarak-Regime. "In Bezug auf den Wahlkampf waren die Muslimbrüder einfach die am besten organisierte Partei. Sie haben im Vorfeld bereits Schattenkabinette gebildet und wussten schon vorher, wer innerhalb der Partei Experte für die jeweiligen Themen ist", sagt Ronald Meinardus, Leiter der Friedrich-Naumann Stiftung in Kairo.

Da die Muslimbrüder aber keine absolute Mehrheit erlangt haben, müssen sie sich jetzt auf die Suche nach einem Koalitionspartner machen. Zumal keine Partei die Verantwortung für die schwierige Lage in Ägypten alleine übernehmen wolle, so der in Kairo ansässige Journalist Karim El-Gawhary. Er glaubt allerdings nicht, dass sich die moderaten Muslimbrüder mit den radikalen Islamisten von der Partei des Lichts zusammentun werden: "Beide Parteien haben sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie Politik und Islam zusammenkommen sollen." Die Muslimbrüder, so El-Gawhary, streckten schon seit Wochen ihre Fühler in Richtung des liberalen Lagers aus. Es wird bereits intensiv über eine Koalition mit der "Wafd-Partei" gesprochen.

Kein Alleingang möglich

Die Islamisten haben die Chance genutzt, die ihnen der Aufstand der Jugend geboten hat. Sehr zum Leidwesen der Revolutionäre der ersten Stunde, die, so Meinardus, in der gesamten politischen Diskussion marginalisiert seien. Auch der Rücktritt von Präsidentschaftskandidat Mohamed El-Baradei sei ein spektakulärer Ausdruck dieser Ohnmacht, in der sich die liberalen Parteien befänden.

Mohamed El-Baradei (Foto: dapd)
Mohamed El-Baradei will nicht zur Präsidentschaftswahl antretenBild: dapd

Auch wenn die Islamisten der Partei "Freiheit und Gerechtigkeit" sich nicht die Ideale der Protestbewegung zu eigen gemacht haben, so wissen sie auch, dass sie nicht völlig autonom agieren können. Und so scheint es, als müsse sich der Westen keine Sorgen darüber machen, dass das Land am Nil zum Gottesstaat wird. Ägyptens Spielraum, so Karim El-Gawhary, sei relativ gering.

Die zukünftige Regierung bleibt auf den Westen angewiesen, wenn sie ihr größtes Problem in den Griff kriegen will: Die Wirtschaft liegt am Boden. Erst in diesen Tagen hat die ägyptische Regierung den Internationalen Währungsfonds (IWF) um einen Milliardenkredit gebeten. Die Arbeitslosigkeit ist höher denn je. Die Führung der Islamisten weiß, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Ägyptens nur dann lösen lassen, wenn man die Bevölkerung nicht spaltet und das Vertrauen des Auslands nicht verspielt. Nur dann werden Touristen und Investoren zurückkehren und nur dann lassen sich die horrenden Staatsschulden eindämmen.

Welche Rolle wird das Militär spielen?

Innenpolitisch steht den Muslimbrüdern aber noch der Machtkampf mit dem Militärrat bevor, über den sie sich derzeit nur zurückhaltend äußern. Zu groß ist die Angst vor einer Destabilisierung der Lage. Viele Organisatoren der Massenproteste glauben allerdings, dass sich die Muslimbrüder bereits heimlich mit den Militärs auf eine Teilung der Macht geeinigt haben. Ronald Meinardus ist der Meinung, dass es nicht die zentrale Frage ist, wann das Militär die Macht abgibt, sondern in welchem Umfang.

Proteste gegen den Militärrat in Kairo (Foto: dapd)
Immer wieder protestieren die Ägypter gegen die Macht des MilitärratsBild: dapd

Die historische Erfahrung lehre, so Meinardus, dass Machtpositionen nicht ohne Widerstand geräumt würden. Das entscheidet sich in diesen Tagen etappenweise: Am 23. Januar sind die neu gewählten Parlamentarier das erste Mal zusammen gekommen. Dort haben sie einen 100-köpfigen Ausschuss gewählt, der eine Verfassung entwirft. Darin muss auch festgelegt werden, welchen Einfluss der Militärrat künftig in Ägypten haben wird. Sollte der Militärrat entgegen seiner öffentlichen Bekundungen eine Beschneidung der eigenen Machtfülle und die Bildung unabhängiger politischer Institutionen verhindern, dann wird das für neue Instabilität sorgen. Eine Entwicklung, die auch der Westen laut El-Gawhary genau im Auge haben muss, wenn er an Stabilität in der Region interessiert ist und sich überlegt, wen er künftig unterstützen will.

Autorin: Diana Hodali
Redaktion: Daniel Scheschkewitz