1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Vertragsverletzungsverfahren

17. Januar 2012

Allen Warnungen zum Trotz hält die ungarische Regierung an ihren umstrittenen Gesetzen fest. Die EU fürchtet eine Verletzung elementarer Grundrechte und hat ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

https://p.dw.com/p/13kOO
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban (Foto:dapd)
Ungarns Ministerpräsident OrbanBild: dapd

Die EU-Kommission kann nach Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der Teil des Lissabonner Vertrags ist, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedsstaat einleiten. Dazu muss sie überzeugt sein, dass der betroffene Mitgliedsstaat gegen EU-Recht verstoßen hat. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn er eine EU-Richtlinie nicht umgesetzt hat oder das Unionsrecht nicht ordnungsgemäß anwendet.

Korrekturchance im Vorverfahren

Logo der EU-Kommission (Foto: DW)
Die EU-Kommission leitet das Verfahren ein...Bild: DW

Dann folgt in der Regel erst ein Vorverfahren. Es soll den Mitgliedsstaat dazu bewegen, die EU-Rechtsverstöße einzustellen: Zunächst informiert die Kommission den Mitgliedstaat in einem Mahnschreiben über das bevorstehende Vertragsverletzungsverfahren. Anschließend formuliert sie in einer Stellungnahme den Sach- und Streitstand: Durch welches Verhalten hat das Mitgliedsland nach Ansicht der Kommission gegen welche Vorschrift verstoßen?

Der betroffene Mitgliedsstaat hat immer die Möglichkeit zu antworten. Nach Abschluss des Vorverfahrens – oder wenn keine Reaktion des betroffenen EU-Landes erfolgt - kann die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg Klage gegen den Mitgliedsstaat erheben. Auch Mitgliedsstaaten haben übrigens die Möglichkeit, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten; bevor er Klage erhebt, muss er die Kommission allerdings um Stellungnahme bitten.

Bei Verstoß droht ein Zwangsgeld

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (Foto: DW)
... der Europäische Gerichtshof entscheidet.Bild: DW

Wenn der EuGH tatsächlich eine Vertragsverletzung feststellt, schreibt er im Urteil nieder, was das Land tun muss, um die Vertragsverstöße abzustellen. Trifft das verurteilte Land nach Ansicht der EU-Kommission diese Maßnahmen nicht, ruft die Kommission wiederum das Gericht an und benennt dabei auch die Höhe des Zwangsgelds oder Pauschalbetrags, den der vertragsbrüchige Mitgliedsstaat zu bezahlen hat. Über diese Zahlung muss dann wieder der Europäische Gerichtshof entscheiden.

Von 1952 bis 2010 hat der EuGH sich mehr als 3500 Mal mit Vertragsverletzungsverfahren befasst. Italien stand mit mehr als 600 Verfahren am häufigsten vor Gericht, gefolgt von Frankreich und Spanien mit jeweils knapp 400 Verfahren. Ungarn dagegen, ein junges EU-Mitgliedsland, gehörte mit bisher neun Vertragsverletzungsverfahren zu den Recht-konformsten Mitgliedern der EU.

Verstöße gegen Grundprinzipien der EU

Im konkreten Fall hat die EU-Kommission Bedenken gegen mehrere Gesetzesänderungen, die die ungarische Regierung umgesetzt hat. Eines dieser Gesetze könnte nach Ansicht der Kommission die Unabhängigkeit der Zentralbank Ungarns gefährden. Außerdem prangert die Kommission ein Gesetz an, mit dem das Renteneintrittsalter von Richtern von 70 auf 62 gesenkt werden soll. Eine weitere Vorschrift könnte nach Ansicht der Brüsseler Kommission die Unabhängigkeit der ungarischen Datenschutzbehörde einschränken.

Nach einer ersten Prüfung der Rechtslage beruft sich die Kommission auf die grundlegenden Werte der Europäischen Union, wie sie in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) festgeschrieben sind: Rechtstaatlichkeit, Pressefreiheit, das Demokratieprinzip und die Grundrechte.

Neu geprägte 200 Forint Münzen in Budapest (Foto: dpa)
Ungarn steckt in der Krise - ganz ohne EuroBild: picture-alliance/dpa

Am Dienstag (17.01.2012) ergingen die entsprechenden Mahnschreiben. Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte, Ungarn müsse wie alle Mitgliedsstaaten die Unabhängigkeit seiner Zentralbank und seiner Datenschutzbehörde garantieren und dafür sorgen, dass seine Richter nicht diskriminiert würden.

Die Ankündigung aus Brüssel, dem finanziell angeschlagenen Ungarn vorerst keine Kredite zu gewähren, bis die Frage der Vertragsverletzungen geklärt ist, hat aber nichts mit dem Verfahren zu tun. Zufällig treffen beide Ereignisse zeitlich zusammen. In Sachen Vertragsverletzung könnte das aber wirken: Vielleicht bringt die Finanznot den ungarischen Regierungschef Viktor Orban doch zum Einlenken.

Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Bernd Riegert