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Deutsche Seele

17. Januar 2012

Von A wie Abendbrot bis Z wie Zerrissenheit: Diese Bandbreite macht die Identität der Deutschen aus. In ihrem neuen Buch erklären Thea Dorn und Richard Wagner, was Deutschland im Innersten zusammenhält.

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Gartenzwerge (Foto:
Bild: picture-alliance/Arco Images GmbH

"Zum Glück, behaupte ich, haben die Autoren nicht über die deutsche Seele geschrieben, sondern sie in vielen Ausdrucksformen selber sprechen lassen." Kein Geringerer als der Schriftsteller Martin Walser lobte das Buch "Die deutsche Seele" mit diesen Worten. Tatsächlich hat das Alphabet, mit dem die Schriftsteller Richard Wagner und Thea Dorn deutsche Befindlichkeit in Geschichte und Gegenwart durchbuchstabieren, nichts Mystisch-Kitschiges. Vielmehr erlaubt es überraschende Einsichten in die Herkunft mancher deutscher Eigenheiten. Ein Gespräch mit der Autorin Thea Dorn.

Deutsche Welle: Thea Dorn, was war Ihr Motiv, ein Buch über die deutsche Seele zu schreiben?

Thea Dorn: Also ich bin eigentlich mit dem Gefühl groß geworden, dass mein Deutsch-Sein keine Rolle spielt. Meine Eltern sind noch im Dritten Reich geboren – 1932 und 1933. Die hatten danach von dem Thema Deutschland die Nase voll. Ich selbst bin gerne in der Welt herumgereist und habe mich gefreut, wenn man mich in Italien für eine Französin hielt. Doch als ich eine längere Gastprofessur in den USA hatte, merkte ich plötzlich, ich habe richtig Heimweh. Mir fehlt die deutsche Sprache, mir fehlt dieser deutsche Drang, nicht Dinge leicht zu nehmen, sondern alles zu zergrübeln. Da gab es sogar einen Kollegen, der sagte: You are so german. Und das war das erste Mal, wo es mir gelungen ist zu sagen, offensichtlich bin ich sehr deutsch. Das will ich mir dann aber auch genauer angucken.

Thea Dorn (Foto: ZDF)
Thea DornBild: picture-alliance/dpa

Und was haben Sie herausgefunden, was macht die "deutsche Seele" denn aus?

Für mich ist das Hauptkennzeichen des Deutschen, dass es in einer sehr sehr großen Widersprüchlichkeit befangen ist. Man kann es an einem kleinen Beispiel deutlich machen, was ich sehr schön finde. Die Deutschen waren ja Weltmeister darin, den Wald romantisch zu überhöhen. Fast alle deutschen Märchen spielen im Wald. Und gleichzeitig waren die Deutschen im 18. Jahrhundert die Erfinder der Forstwissenschaft. Oder ein anderer Gegensatz: da gibt es die sprichwörtliche Ordnungsliebe und gleichzeitig ein diffuses Hingezogensein zu allem, was abgründig, undurchdringlich, eben nicht in sichere Kategorien zu pressen ist. Das ist ein großer Riss, der durch die deutsche Seele geht.

Weiblicher Fußballfan mit Deutschlandfarben auf der Wange (Foto: AP)
Deutschlandfahne? Kein Problem!Bild: AP

Schwarz-Rot-Gold als Normalität

Sie haben das Buch mit Ihrem Co-Autor Richard Wagner zusammen geschrieben. Gab es Unterschiede in der Herangehensweise?

Richard (Wagner) ist 1952 als Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit im Banat, also in Rumänien geboren. Und das sorgt natürlich für ein völlig anderes Verhältnis zu dem Thema Deutschsein als bei mir, die eher im Herzen der alten Bundesrepublik groß geworden ist, wo das Deutschsein doch mit Vorsicht betrachtet wurde. Ich merkte, dass Richard da viel weniger eigene Widerstände überwinden muss als ich, um sich dem Thema zu nähern. In gewisser Weise habe ich mit dem fremderen Blick auf Deutschland geguckt als Richard.

Hat sich an der Verkrampftheit, mit der sich die Deutschen ihrer Identität nähern, in den letzten Jahren etwas geändert?

Der Punkt des Umbruchs war sicherlich die Fußball-Weltmeisterschaft 2006: dass auf einmal ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer auf öffentlichen Plätzen, Straßen zu sehen war, dass auf einmal die Leute die Nationalhymne mitsangen. Also am Anfang war ja die Skepsis immens, dass jetzt wieder der hässliche Deutsche seine Fratze zeigt. Und dann ist aber durch den Verlauf der WM klar geworden, das ist Teil einer Normalität, wie sie in anderen Ländern, die auch nicht nur eine rosarote Geschichte haben, gang und gäbe ist.

Eine deutsche Kulturpatriotin

Sie haben in Ihrem Buch sehr unterschiedliche Textformen versammelt - z.B. Gedichte, fiktive Briefe, persönliche Essays. Warum diese formale Bandbreite?

Ich glaube, jeder Begriff wollte von selbst in die Form, die er dann gekriegt hat. Ich hätte es bei 64 Kapiteln sehr langweilig gefunden, wenn wir alles nach einem Muster X angelegt hätten. Bei einem Begriff wie "das Unheimliche" dachte ich zum Beispiel, das schreit förmlich danach, dass man ihm auch tatsächlich eine unheimliche Kurzgeschichte widmet, das unheimlich spürbar macht.

Buchcover: Thea Dorn, Richard Wagner - Die deutsche Seele (Foto: Albrecht Knaus Verlag)
Bild: Albrecht Knaus Verlag

Gab es bei den Recherchen etwas, das Sie überrascht hat?

Ich hätte geschworen, dass so ein Begriff wie Nachhaltigkeit, der gerade in keiner politisch-korrekten, ökologisch angehauchten Debatte fehlen darf, eine Erfindung unserer Zeit ist. Dass dieser Begriff 1713 von einem sächsischen Forstwissenschaftler geprägt wurde, hat mich ziemlich sprachlos gemacht.

Sie haben fast ein Jahr an dem Buch gearbeitet. Würden Sie sich heute als Patriotin bezeichnen?

Mein Herz ist eher bei der deutschen Kulturgeschichte. Also wenn ich mich mit einem wirklichen Brustton als Patriotin bezeichnen will, dann bin ich ganz klar eine deutsche Kulturpatriotin.

Das Gespräch führte Aygül Cizmecioglu
Redaktion: Gabriela Schaaf

Das Buch:
Thea Dorn, Richard Wagner: Die deutsche Seele. Knaus Verlag. 560 Seiten. 26,99 Euro