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Amigo-Affäre

3. Januar 2012

Nach der Kredit-Affäre nun Bitt- und Droh-Anrufe beim Springer-Verlag: Bundespräsident Wulff kommt nicht aus der Kritik. Und der Ton der Kommentatoren wird schärfer. Hier eine Auswahl aus den Dienstags-Zeitungen.

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Themenbild Presseschau
Bild: DW

STUTTGARTER ZEITUNG:

"Mit jedem neuen Detail, das über die Amigo-Affäre des Bundespräsidenten ans Tageslicht kommt, wird es schwerer, Christian Wulff zu verstehen und was diesen Mann eigentlich umtreibt. Wulffs Verteidigungsstrategie erweckte von Anfang an den Verdacht, er bedauere und räume nur gerade das ein, was ohnehin nicht mehr zu leugnen ist. Sein Krisenmanagement ist stümperhaft, ja geradezu katastrophal. Es offenbart zudem ein höchst problematisches Amtsverständnis."

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"Auch für Bundespräsident Wulff stellt die Pressefreiheit ein so 'hohes Gut' dar, dass er in den vergangenen drei Wochen dreimal davon sprach. Das erste Mal tat er es in Qatar; zum zweiten Mal, als er kurz vor Weihnachten eine Erklärung in eigener Sache abgab; zuletzt gestern, nachdem Berichte über eine ausführliche Nachricht erschienen waren, die Wulff auf der Mailbox des 'Bild'-Chefredakteurs Diekmann hinterlassen hat, kurz nachdem er am Golf über die Bedeutung der Pressefreiheit gesprochen hatte. Was über Wulffs Äußerungen in diesem Anruf kursiert, passt zu den öffentlichen Bekenntnissen freilich so wenig wie die Finanzierung eines Hauskaufs mittels eines rollierenden Geldmarktdarlehens zur schwäbischen Hausfrau. Es passte nur zu einem Staatsoberhaupt, das von allen guten Geistern verlassen worden ist."

DIE WELT:

"Ein Bundespräsident, der sich in dürren Worten zur Pressefreiheit bekennt, um sie in entscheidenden Momenten mit Füßen zu treten, erscheint in einer offenen Gesellschaft denkbar deplatziert. Politiker, auch Bundespräsidenten, müssen und sollten keine Heiligen sein, sie können in ihrem vorpräsidialen Leben auch richtige Böcke geschossen haben, aber sie müssen aus solchen Fehlern lernen und eine Art erstrittene Integrität erlangen, die ihr künftiges Handeln prägt. Christian Wulff wirkt zu oft so, als würde er mit Learning by Doing das Amt des Staatsoberhauptes im Selbstversuch erproben. Selbst seinen geduldigsten Verteidigern und wohlwollendsten Interpreten wird jeden Tag deutlicher, wie wenig Wulff auch in puncto Lebensklugheit jenes Format hat, das vor ihm Bundespräsidenten wie Theodor Heuss, Richard von Weizsäcker und Roman Herzog für das höchste Amt im Staate als Maßstab gesetzt haben."

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

"Die formale Macht des Präsidenten ist von der Verfassung eng begrenzt. Gerade weil das so ist, leiten sich seine Autorität und Glaubwürdigkeit ab von dem, was der Amtsinhaber sagt und wie er sich verhält. Aber auch diese beschränkte Macht kann er verspielen. Das hat Wulff getan. (...) Wulff will, so hat er kundgetan, sein Amt auch künftig 'mit ganzer Kraft ausfüllen'. Doch die Kraft, dieses Land, diese Gesellschaft zusammenzuhalten, hat er vermutlich nicht mehr. Ein Mann, der die Pressefreiheit im Munde führt, sie aber nicht respektiert, ist ein falscher Präsident."

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND:

"Ein Bundespräsident muss vielleicht nicht hinwerfen, weil er früher im niedersächsischen Landtag die Wahrheit gedehnt hat. Er muss es auch nicht, weil er mal bei befreundeten Unternehmern Urlaub macht oder weil er einen besonders günstigen Zinssatz für einen Immobilienkredit bekommt. Auch nicht, weil er auf berechtigte Kritik mit Salamitaktik reagiert und die Fehler eingesteht, die ohnehin schon bekannt sind. Und er muss nicht zurücktreten, nur weil er bei 'Bild'-Chef Kai Diekmann anruft. Nur: Wenn das alles zusammenkommt, wird es langsam zu viel. Wulff versteht es nicht, sein Amt angemessen auszufüllen, er ist ihm nicht gewachsen. Seine Glaubwürdigkeit ist durch die Fülle von Fehltritten belastet. Ein Mann, der das mit sich herumschleppt, kann nicht länger Bundespräsident bleiben."

FLENSBURGER TAGEBLATT:

"Es wird einsam um den Bundespräsidenten. Diejenigen, die ihn einst als Staatsoberhaupt vorgeschlagen haben - voran die Kanzlerin - schweigen. In der Kreditaffäre  erhielt Christian Wulff noch Rückendeckung von Angela Merkel. Was aber sollen Union und FDP zugunsten eines Bundespräsidenten ins Feld führen, der missliebige Zeitungsberichte durch dreiste Anrufe zu unterdrücken versucht, wie man sie sonst allenfalls von Provinzpolitikern kennt? Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Wulff nicht in seinem Amt angekommen oder dessen Anforderungen nicht gewachsen ist, dann lieferte er ihn mit seiner Intervention im Springer-Verlag selbst."

FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Es war dumm von ihm,  seine Drohungen, mit denen er im letzten Augenblick die Veröffentlichung über seine ominösen Darlehensverträge verhindern wollte, auf die Mail-Box des Bild-Chefredakteurs zu sprechen. Das wäre ihm zu verzeihen. Aber die Drohungen selbst, sein Versuch, die Arbeit einer Zeitung durch Druck auf die Führung des Hauses zu unterbinden, ist unentschuldbar. Rechtlichkeit meint Redlichkeit. Von der aber versteht Wulff nichts."

DIE PRESSE (Österreich):

"Die Rolle des deutschen Bundespräsidenten ist klar umrissen: Sie dürfen langweilig, müssen aber unter allen Umständen untadelig sein. Sonst taugen sie nicht zur moralischen Instanz, zum Hohepriester der Republik. Christian Wulff ist zwar langweilig, aber trotzdem keine gute Wahl. Im Vergleich zu seinem Gegenkandidaten, dem ehemaligen DDR-Dissidenten Joachim Gauck, fehlte dem streberhaften CDU-Parteisoldaten von Anfang an das Format. Dieser Eindruck bestätigt sich nun. Wulff ist nicht ins Amt gewachsen, sondern darin weiter geschrumpft."

Redaktion: Martin Muno