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Mehr Hilfe für verwundete Soldaten

2. Januar 2012

Im Einsatz verwundet, danach ein Sozialfall - vor allem traumatisierte Soldaten fielen bisher schnell durch die Raster der Bürokratie. Ein neues Gesetz verbessert ihre Perspektiven.

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In Afghanistan tragen Soldaten einen verwundeten Kameraden aus einem Helikopter (Foto: AP)
Bild: AP

"Das ist ein riesiger Erfolg", kommentiert David H. die Verbesserungen in der Soldatenversorgung. Der frühere Bundeswehrsoldat ist selbst betroffen, er leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS. Eine Krankheit, mit der man schnell durch alle Raster fällt - bei den Vorgesetzen, den ärztlichen Gutachtern und den Behörden. Wer ganz viel Pech hat, wird von der Bundeswehr ausgemustert und zum Sozialfall.

Ein deutscher Soldat nach einem Anschlag auf die Bundeswehr in Afghanistan (Foto: dapd)
Extreme Belastungen: Ein deutscher Soldat nach einem Anschlag auf die Bundeswehr in AfghanistanBild: dapd

Das soll künftig nicht mehr passieren. Mit Beginn des Jahres 2012 verpflichtet der Gesetzgeber die Streitkräfte dazu, Verwundete schon ab einem Schädigungsgrad von 30 Prozent weiterzubeschäftigen. Bisher lag die Grenze bei 50 Prozent, und die war schwer zu erreichen. Vor allem für Soldaten, die traumatisiert sind, so wie David H. Er erschoss 1999 im Auslandseinsatz zwei Menschen, litt selbst Todesangst. Auf dieses schreckliche Erlebnis war der damals 22-jährige Soldat trotz aller Trainings nicht vorbereitet. Er leidet bis heute unter den Folgen.

Treffer auf der Seele

Die Geschichte von David H. zeigt, wie schwierig der Umgang mit seelischen Verwundungen ist - für die Betroffenen und für das soziale Umfeld. Anfangs hatte der Gebirgsjäger aus Sachsen keine Ahnung, was mit ihm los war. Er zog sich zurück, schlief kaum noch, der Puls raste. Sein Köper spulte sich immer wieder hoch in den Alarmzustand, den er in den Minuten der Todesangst erlebt hatte.

Traumatisiert im Auslandseinsatz: David H. (Foto: Privat)
Traumatisiert im Auslandseinsatz: David H.Bild: Privat

Irgendwann konnte er in der Kaserne nicht mehr in den Speisesaal gehen. "Ich habe gezittert und alles verschwommen gesehen, habe den hohen Puls nicht mehr in den Griff bekommen." David H. vermutete ein körperliches Leiden. Die Diagnose PTBS kam erst viel später. Daraufhin begann er eine Therapie in der Psychiatrie des Bundeswehr-Krankenhauses in Hamburg. "Mein Akku war permanent leer", beschreibt er seinen Zustand.

Als sein Vertrag als Zeitsoldat nach zwölf Jahren auslief, war die Karriere bei den Gebirgsjägern zu Ende. Er konnte nicht Berufssoldat werden, die Bundeswehr wusste mit dem instabilen Kameraden nichts mehr anzufangen. David H. stand auf der Straße. Und vermisste bitter die Fürsorge, die er für angemessen hält: "Man kann doch nicht jemanden in ein Kriegsgebiet schicken und wenn er gesundheitlich nicht mehr fit ist, sagen: Das ist dein Problem!"

Im Irrgarten der Vorschriften

Gut 860 Fälle von PTBS listet die Bundeswehr für die Zeit von Januar bis November 2011 auf - mehr als je zuvor. Wird ein Soldat im Einsatz verwundet, dann stellen Ärzte und Gutachter den Grad der Schädigung fest. Eine wichtige Zahl, denn von ihr hängt der Umfang der staatlichen Hilfe ab. Jahrelang kann dieses Verfahren dauern, oft widersprechen sich Gutachten und Gegengutachten. Ab 50 Prozent Schädigung ist ein Patient schwerbehindert und hat besondere Rechte. Für traumatisierte Soldaten ist diese Zahl jedoch kaum zu erreichen, selbst wenn sie durch Panikattacken, Flashbacks oder Selbstmordgedanken massiv eingeschränkt sind.

Andreas Timmermann-Levanas, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Veteranen (Foto: Privat)
Setzt sich für kranke Kameraden ein: Andreas Timmermann-Levanas, der Vorsitzende des Bundes Deutscher VeteranenBild: Privat

Der Bund Deutscher Veteranen hat viele Fälle dokumentiert, in denen schwerkranke Soldaten jahrelang um ihre Rechte kämpften. "Gerade bei PTBS-Patienten sehen wir, dass der Grad der Schädigung regelmäßig auf unter 50 Prozent abgesenkt wird", sagt Andreas Timmermann-Levanas, der Vorsitzende der 2010 gegründeten Hilfsorganisation für Soldaten, die im Auslandseinsatz waren. "Wir interpretieren das so, dass da auch Absicht dahintersteckt, um diese Menschen nicht an die großen Versorgungstöpfe herankommen zu lassen." Nicht selten behaupteten Gutachter, der Auslöser der Traumatisierung sei gar nicht das schwierige Erlebnis im Einsatz, sondern zum Beispiel die Scheidung der Eltern.

Berufliche Perspektiven bei der Bundeswehr

Die Bundeswehr selbst ging in der Vergangenheit nicht immer fürsorglich mit den Traumatisierten um. "Es ist nicht die Regel, aber es kommt viel zu häufig vor, dass Soldaten krank entlassen werden, zum Teil ohne Therapie, ohne Krankenversicherung und ohne Chancen auf dem zivilen Arbeitsmarkt", sagt Timmermann-Levanas. Hier hilft nun das neue Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz: Ab 30 Prozent Schädigung haben Soldaten fortan einen Anspruch auf Weiterverwendung. Sie bekommen somit eine berufliche Perspektive bei der Bundeswehr, können eine Therapie machen oder eine weitere Ausbildung. Das gilt für alle, die seit dem Beginn der Auslandseinsätze 1992 verwundet wurden.

Der Bund Deutscher Veteranen wertet das als großen Fortschritt. Jetzt komme es darauf an, für die Betroffenen individuelle Lösungen zu finden. Jeder Fall sei anders, und nicht jedem traumatisierten Soldaten könne man wieder eine Waffe in die Hand drücken. Der PTBS-kranke David H. sieht es ähnlich: Ein besseres Gesetz sei das eine, die Praxis das andere: "Ich möchte erst einmal sehen, wie das umgesetzt wird. Schließlich sind die Leute, die die Fälle begutachten, immer noch die gleichen."

Autorin: Nina Werkhäuser
Redaktion: Kay-Alexander Scholz