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Piraten sind keine Helden

31. Dezember 2011

Piraten sind wilde Männer mit Augenklappe, die ein Hauch von Heldenmut und Abenteuer umweht. Historiker Jan Markus Witt entzaubert dieses Bild und zeigt in seinem neuen Buch, dass Piraten immer schon Verbrecher waren.

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Piratenfahne am Strand (Foto: picture alliance)
Bild: picture alliance/ZB

Das Thema "Piraten" ist hochaktuell. Die oft brutalen Überfälle von kriminellen Banden in den Gewässern am Horn von Afrika und in Indonesien sorgen regelmäßig für Schlagzeilen. Lösegeldsummen für Schiffe und Mannschaften kosten die Reedereien Millionen. So massiv das Problem derzeit erscheint, neu ist das Phänomen Piraterie nicht. Seeräuber gibt es solange wie die Seefahrt selbst. Schon im ersten Jahrhundert vor Christus wurden Seeräuber zu einer ernsthaften Bedrohung für Handelsschiffe. Zu einer weltweiten Plage wurden sie dann im 17. und 18. Jahrhundert. Von der Karibik bis in den Indischen Ozean machten sie die Meere unsicher.

Piraten waren immer schon Verbrecher

Der Historiker Jan Markus Witt zeigt in seinem Buch "Piraten", dass Seeräuber zu keiner Zeit romantische Helden gewesen sind: "Das waren Verbrecher und das sind sie auch heute auch noch. Durch die gesamte Geschichte der Piraterie zieht sich eine endlose Abfolge von Mord, Raub, und Vergewaltigung." Dennoch wurden Seeräuber in Romanen und Filmen oft als romantische Helden verherrlicht und werden es bis heute. Bekanntestes Beispiel: der smarte Johnny Depp als Captain Jack Sparrow im Kinohit "Der Fluch der Karibik".

Johnny Depp als Pirat im Film 'Pirates Of The Caribbean' (Foto: AP)
Johnny Depp als PiratBild: AP

Verklärung der Vergangenheit

Je weiter die Verbrechen der Piraten zurückliegen, desto mehr wurde hinzugedichtet. Unterstützt wurde die Verherrlichung dadurch, dass von Piraten wenig Fakten bekannt sind. Lange Zeit war die wichtigste Quelle für das goldene Zeitalter der Piraterie im 18. und 19. Jahrhundert ein Buch des britischen Kapitäns Charles Johnson, das um 1720 erschien: "Eine allgemeine Geschichte der Räubereien und Morde der berüchtigtsten Piraten." Eine Art Biografie-Sammlung der wichtigsten Seeräuber und eine wilde Mischung aus Fakten und Fiktion. Für Historiker Witt genug Stoff für Dutzende Piratenfilme. Die es ja auch reichlich gibt, von "Der rote Korsar" bis "Die Schatzinsel", meist jedoch mit frei erfundenem Inhalt für das Unterhaltungskino und ohne historische Literaturvorlage.

Für Jan Marcus Witt stellt das heutige Bild von Piraten früherer Jahrhunderte ein seltsames Paradox dar: "Niemand würde einen Straßenräuber idealisieren. Kein Kind würde sich als Einbrecher verkleiden. Mit den Piraten ist das anders." Die Erklärung des Wissenschaftlers ist einfach: was zeitlich und geografisch fern ist, kann leicht verherrlicht werden. Die Sehnsucht nach exotischen Landschaften, Palmenstränden und der Sonne der Karibik tut ein übriges, um Fantasiebilder entstehen zu lassen. So wurde aus dem Verbrecher eine Art Freiheitskämpfer.

Piraten im Golf von Aden (Foto: dpa)
Somalische Piraten bei der FestnahmeBild: dpa

Piraten als Klassenkämpfer

Auch für politische Utopien mussten die Seeräuber herhalten. So nutzten vor allem britische Historiker Berichte und Erzählungen einer Piratenrepublik, die auf Madagaskar existiert haben soll und die ein Gegenstück zur hierarchischen Feudalgesellschaft auf dem Festland bildete. Eine Gesellschaft mit demokratischen Grundsätzen, in der alle gleich behandelt wurden. Piraterie als eine Form des Klassenkampfes - für Jan Marcus Witt purer Unsinn. Als Gegenstand sozialromantischer Utopien wurden Piraten aber auch in Deutschland benutzt.

Fast wie Robin Hood

Bekanntestes Beispiel: der als Freiheitskämpfer verehrte norddeutsche Seeräuber Klaus Störtebeker, der im 14. Jahrhundert auf Kaperfahrt ging. Der Pirat wurde nicht nur in Denkmälern verewigt. Regelmäßige Theaterfestspiele und Piratenparks halten den Mythos vom edlen Wohltäter auch heute noch aufrecht. Geschichtlicher Unfug meint Historiker Witt: "Störtebeker wird geradezu gefeiert als der deutsche Robin Hood, der nur von den Reichen genommen hat, von den bösen Pfeffersäcken, um es dann den Armen zu geben. Aber Leidtragende des blutigen Geschäfts waren meist die Besatzungen, einfache Menschen. Und von der Beute ist nichts an Bedürftige verteilt worden."

Störtebeker-Denkmal in der Hamburger Hafen-City
Störtebeker-Denkmal in der Hamburger Hafen-CityBild: picture alliance/Bildagentur-online

Piraterie ist der Kern des Kapitalismus

In jedem Kapitel betont Jan Markus Witt, dass Piraten nichts anderes waren als krude Kriminelle. Und der Historiker hat auch noch einen plastischen Vergleich parat, der ganz nüchtern Gesellschaftskritik mit dem Blick auf die Geschichte der Seeräuber verbindet: "Piraterie ist im Grunde der Kern des Kapitalismus. Es gibt nur ein Ziel: Gewinn machen. Deshalb schließt man sich zusammen. Man könnte sagen, die Piratenmannschaft sind die Sharehoulders und die Offiziere mit dem Kapitän an der Spitze bilden den Vorstand. Die Mannschaft fungiert als Aufsichtsrat mit der Möglichkeit, den Vorstandsvorsitzenden abzusetzen. Das Piratenschiff ist das Betriebskapital. Und das Geschäftsziel lautet Gewinnmaximierung." Banker auf skrupellosen Beutezügen, verziert mit Augenbinde und Säbel? Auf dieses Titelbild ist bis jetzt noch keine Zeitung gekommen. - Warum eigentlich nicht?

Buchcover 'Piraten' von J.M. Witt
Bild: Primus Verlag

Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Gabriela Schaaf

Jan Markus Witt: Piraten. Eine Geschichte von der Antike bis heute.Primus Verlag, Darmstadt 2011. 150 Seiten, 29,90 EUR. ISBN-13: 9783896788351