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Israel und Palästinenser

20. Dezember 2011

Der Austausch von 1027 palästinensischen Gefangenen gegen den israelischen Soldaten Schalit ist glatt über die Bühne gegangen. Eine Annährung im Nahostkonflikt ist jedoch nicht in Sicht.

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Schalit nach seiner Freilassung mit Premier Netanjahu (Foto: dpad)
Schalit (2. von re.) nach seiner Freilassung mit Premier NetanjahuBild: dapd

Der Gefangenenaustausch wirkt bei Palästinensern und Israelis nach: Im Gazastreifen und im Westjordanland wurden die ehemaligen palästinensischen Häftlinge wie Helden gefeiert. In Israel empfingen die Menschen den heimgekehrten Soldaten Gilad Schalit fast wie einen "Sohn des Volkes", sagt Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland. Außerdem habe die Rückkehr Schalits der Regierung Netanjahu einen erstaunlichen Popularitätsschub verschafft.

Warum also sollte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu jetzt die Stabilität seines wackeligen Regierungsbündnisses aufs Spiel setzen, um den Dialog mit den Palästinensern wiederzubeleben? Es gebe gar keinen Grund zu verhandeln, meint Primor: "Man weiß ja, wie ein Friedensvertrag aussehen soll. Es gibt wirklich nur die allerletzten Details, die man ausbügeln muss. So viele Ministerpräsidenten auf israelischer Seite und so viele Palästinenser haben schon so lange und so oft verhandelt. Die wirkliche Frage ist, ob man auch bereit ist, all dies in die Tat umzusetzen." Avi Primor glaubt, dass dazu derzeit weder die israelische noch die palästinensische Regierung bereit ist.

Avi Primor, Israels ehemaliger Botschafter in Deutschland und Direktor des Zentrums für Europäische Studien an der IDC-Privatuniversität in Herzliya, Israel.
Avi Primor leitet das Zentrum für Europäische Studien an der IDC-Privatuniversität in Herzliya, Israel.Bild: Mr. Shlomo Mr. Avi Primor

Von 'allerletzten Details' kann aus palästinensischer Sicht allerdings kaum die Rede sein, meint Joachim Paul. Der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah rechnet vor, dass aus ursprünglich 80.000 Siedlern in der Westbank zu Beginn des Friedensprozesses mittlerweile 550.000 bis 600.000 Siedler geworden seien. "Das Land, über das überhaupt noch verhandelt werden kann, wird immer weniger."

Hamas sucht neues Hauptquartier

Doch viel mehr als mit den Fragen des Siedlungsbaus seien die Palästinenser aktuell mit den Auswirkungen der Veränderungen in der Arabischen Welt beschäftigt. Die anhaltenden gewalttätigen Unruhen in Syrien hätten die Hamas dazu bewegt, ihre Rückzugsbasis in Damaskus aufzugeben und ihr syrisches Standbein in ein anders Land der Region zu verlagern. "Es ist die Rede davon, dass Katar der neue Sitz des Politbüros der Hamas werden soll", sagt Joachim Paul. Darüber hinaus werde über Vertretungen in Jordanien und Ägypten diskutiert.

Vor allem die Situation in Ägypten habe unmittelbare Auswirkungen auf die radikale Palästinenserorganisation, erklärt Joachim Paul. Obwohl die Hamas aus der ägyptischen Muslimbruderschaft hervorgegangen sei, sei es keineswegs so, dass ein Wahlsieg der Muslimbrüder die Hamas automatisch stärken würde, meint Paul: "Sollten die Muslimbrüder die Wahlen zu Unter- und Oberhaus gewinnen, dann gehe ich davon aus, dass sie das Verhältnis zur internationalen Gemeinschaft und den westlichen Staaten so positiv wie möglich gestalten möchten. Und da wäre eine bedingungslose und eindeutige Unterstützung der Hamas eher hinderlich."

Schlüsselmacht Ägypten

Zudem kontrolliere nach wie vor der ägyptische Geheimdienst die Außenpolitik, und das mächtige Militär habe selbst bei einer Regierung, die von den Muslimbrüdern dominiert wird, das letzte Wort in den Beziehungen zu den Palästinensern und zu Israel.

Wie viele Isarelis geht Avi Primor jedoch davon aus, dass die Rolle des ägyptischen Militärs nicht für alle Zeiten in Stein gemeißelt ist. Auch der Stimmenanteil der prowestlichen, liberalen Kräfte sei außerhalb Kairos verschwindend gering: "Die Perspektiven sind nicht besonders optimistisch." Dass die künftige politische Lage in Ägypten ein entscheidender Schlüssel zur weiteren Entwicklung im Nahen Osten ist - darüber sind sich die meisten Beobachter in Israel und den Palästinensergebieten allerdings einig.

Autor: Thomas Kohlmann
Redaktion: Daniel Scheschkewitz