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Neuer Beauftragter gegen sexualisierte Gewalt

15. Dezember 2011

Der neue Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat sich viel vorgenommen: In den nächsten zwei Jahren soll sich die Lage von Opfern sexualisierter Gewalt in Deutschland konkret verbessern.

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Portrait Johannes-Wilhelm Rörig (Bildrechte: www.rieken-fotografie.de) (Bildquelle: http://beauftragter-missbrauch.de/course/view.php?id=133)
Johannes-Wilhelm RörigBild: www.rieken-fotografie.de

Einen Monat war die Stelle vakant, dann übernahm der 52-jährige Jurist Johannes-Wilhelm Rörig von seiner Vorgängerin Christine Bergmann den Posten des "Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs". Organisatorisch ist der Beauftragte dem Bundesfamilienministerium zugeordnet. Rörig ist seit 1998 im Ministerium tätig – unter anderem als Büroleiter Bergmanns – und war zuletzt Unterabteilungsleiter in der Abteilung Kinder und Jugend.

Die unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Christine Bergmann, bei einer Pressekonferenz (Foto: dpa)
Die Vorgängerin von J.W.Rörig, Christine BergmannBild: picture alliance/dpa

"Mein Ziel ist es, den Schutz für Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt zu verbessern und dazu beizutragen, dass Betroffenen zeitnah die Hilfen zur Verfügung gestellt werden, die sie zur Bewältigung des Erlebten benötigen", gab Rörig als Parole bei seinem Amtsantritt aus.

Bis Ende 2013 ist Rörig vom Bundesfamilienministerium für diese Aufgabe freigestellt worden. Während dieser Zeit ist er von der Fachaufsicht entbunden, um unabhängig vom Ministerium agieren zu können. "Ich glaube, dass ich meine Unabhängigkeit zu nutzen weiß", betonte Rörig. "Wenn ich Forderungen an das Familienministerium oder die Regierung zu formulieren habe, werde ich das tun."

Seine Hauptaufgabe sieht Rörig im Gespräch, der Vernetzung und im Monitoring. Er will regelmäßig überprüfen, inwieweit die Kirchen, die Verbände, die Bundesländer und die Bundesregierung die Empfehlungen des Runden Tisches umsetzen.

Teilnehmer des Runden Tisches gegen sexuellen Missbrauch während einer Sitzung im Justizministerium in Berlin (Foto: dapd)
Der Runde Tisch tagte rund 20 MonateBild: dapd

In seinem Abschlussbericht hatte der Runde Tisch zum Sexuellen Kindesmissbrauch empfohlen, die Verjährungsfristen für Entschädigungszahlungen und die Strafverfolgung anzuheben. Ein – auf drei Jahre befristeter - Hilfsfonds von 100 Millionen Euro soll von Bund und Ländern für Opfer von sexualisierter Gewalt bereit gestellt werden, vor allem für Therapien der Betroffenen.

Eine neue "Clearingstelle" soll eingerichtet werden, über die Betroffene eine Kostenübernahme für Hilfen beantragen können – bis zu 10.000 Euro pro Person.

Darüber hinaus plant Rörig ein zentrales Online-Hilfeportal, das als "bundesweiter Lotse" Betroffene und Interessierte über lokale Beratungsstellen, Therapeuten und Opferanwälte informiert. Auch die Telefonische Anlaufstelle, die im März 2010 im Rahmen der Arbeit des Runden Tisches eingerichtet worden war, soll weitergeführt werden.

Rörig will einen Fachbeirat aus Therapeuten, Pädagogen, Juristen, Vertretern der Kirchen, der Kinder- und Jugendhilfe und Betroffenen berufen, der ihn in seiner Arbeit unterstützen soll. Dreimal im Jahr will er ein Jour Fixe mit Betroffenen und Betroffenenorganisationen abhalten. Regelmäßige Hearings und Fachtagungen sollen den Informationsaustausch und die weitere Vernetzung fördern. Kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen sollen die Gesellschaft für das Thema Sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern sensibilisieren.

Ein kleines Mädchen kauert vor einer grauen Säule (Foto: Fotolia/Kitty)
Sexualisierte Gewalt in der Kindheit belastet Menschen ein Leben langBild: Fotolia/Kitty

Sorgen bei Betroffenen und Beratungsstellen

Was in der Öffentlichkeit wie ein umfangreiches und äußerst ambitioniertes Programm wirkt, wird jedoch von Betroffenen-Organisationen und Beratungsstellen unterschiedlich aufgenommen.

Feministische Beratungsstellen weisen darauf hin, dass sexualisierte Gewalt in der überwiegenden Zahl der Fälle von Männern angewendet wird. Dieser gesellschaftliche Aspekt werde durch die Berufung einen männlichen Beauftragten verschleiert.

Die Ankündigung, Beratungsstellen würden nun weiter ausgebaut, löst Befürchtungen aus, es würden Parallelstrukturen aufgebaut. Viele der alteingesessenen Beratungsstellen wie Wildwasser oder Zartbitter fordern zunächst die "Absicherung der bereits bestehenden Einrichtungen und Angebote und eine bundeseinheitliche Finanzierungsstruktur".

Andere Betroffenen-Organisationen wie das netzwerkB (Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt) setzen wenig Hoffnung auf Johannes-Wilhelm Rörig. Schon der Runde Tisch sei von den Täterorganisationen wie den Kirchen dominiert worden, sagt der Sprecher von netzwerkB, Norbert Denef. Denef setzt sich vor allem für eine rückwirkende Aufhebung der Verjährungsfristen sexualisierter Gewalt ein: "Wir brauchen Symbole, dass man dem Täter sagt, 'ein Leben lang musst Du damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden'. Das ist das Umdenken, das wir brauchen, in der Gesellschaft". Anfang Dezember erreichte Norbert Denef auf dem Bundesparteitag der SPD die einstimmige Unterstützung der Genossen für dieses Ziel.

Eva-Maria Nicolai vom Wildwasser-Dachverband BAG Forsa (Bundesarbeitsgemeinschaft Feministischer Organisationen gegen Sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen e.V.) hält Johannes-Wilhelm Rörigs Programm für durchdacht und ambitioniert. Rörig sei ein vertrauenswürdiger und engagierter Mann, als Jurist habe er außerdem den Blick für das realpolitisch machbare.

Die Ankündigung, Beratungsangebote auszubauen und finanziell zu unterstützen, hält Eva-Maria Nicolai für besonders wichtig: "Damit steht und fällt alles, was am Runden Tisch besprochen worden ist, da gibt es bislang wenig konkretes, die BAG Forsa wird das im Auge behalten."

Man brauche nicht nur Therapieangebote, sondern erstmal niedrigschwellige Angebote, flächendeckende Beratungsangebote in ganz Deutschland, die finanziell abgesichert arbeiten könnten. Gerade in ländlichen Gebieten gäbe es da noch viel zu tun. Ihr Fazit: "Es sind wichtige Schritte gemacht worden, aber wir müssen weitergehen".

Autorin: Rachel Gessat
Redaktion: Andrea Grunau