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Studie: Gefahr von rechts bleibt groß

12. Dezember 2011

Zehn Jahre lang haben Wissenschaftler menschenfeindliche Einstellungen der Deutschen untersucht. Die vorerst letzte Studie erscheint zu einer Zeit, in der das Land von einer neonazistischen Mordserie erschüttert wird.

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Ein Hakenkreuz an der Wand einer jüdischen Schule in Berlin symbolisiert den alltäglichen Antsemitismus, Rasissmus und die Fremdenfeindlichkeit (Foto AP)
Bild: AP

"Deutsche Zustände" heißt die Langzeitstudie der Universität Bielefeld, in der von 2002 bis heute Jahr für Jahr die Verbreitung von Vorurteilen erforscht wurde. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der das Projekt von Beginn an begleitet hat, sprach von einer "fatalen Aktualität" angesichts der jüngst bekannt gewordenen Mordserie an Kleinunternehmern mit ausländischen Wurzeln: Die Gesellschaft müsse sich endlich der Tatsache stellen, dass es ein Nazi-Netzwerk gebe und ein Klima, "in dem zunächst die Angehörigen der Opfer verdächtigt wurden."

Studienleiter Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld formulierte ein auf den ersten Blick widersprüchlich anmutendes Fazit des untersuchten Zeitraums. Zwar seien rechtspopulistische Einstellungen von anfangs 13,6 Prozent auf 9,2 zurückgegangen, die Gefahr von rechts sei aber nicht geringer geworden, sagte der Soziologe.

Rechte sind gewaltbereiter als Linke

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (M.) und andere Demonstranten bei einer Sitzblockade gegen Neonazis im Mai 2010 (Foto:dpa)
Lässt Worten Taten folgen: Wolfgang Thierse bei einer Sitzblockade gegen NeonazisBild: dpa
Dazu passe, dass die Bereitschaft, selbst Gewalt anzuwenden, bei Menschen mit rechtsextremistischer Gesinnung offenbar deutlich stärker ausgeprägt sei als bei Menschen mit anderen Einstellungen. Ein direkter Zusammenhang zwischen menschenfeindlichen Einstellungen und tatsächlich verübten Verbrechen wie den Neonazi-Morden lasse sich natürlich nicht belegen. Aber, betonen die Forscher aus Wilhelm Heitmeyers Team, Umfragen ließen das Ausmaß erkennen, "in dem Gewalt in der breiten Bevölkerung toleriert oder gar befürwortet wird".

Der sozialdemokratische Bundestagsvizepräsident Thierse warnte davor, die Gefahr des Rechtsextremismus auf ein auch von ihm befürwortetes Verbot der rechtsextremistischen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) zu reduzieren. Nach der Mordserie diskutiert die deutsche Öffentlichkeit über ein mögliches Verbot dieser Partei. Studienleiter Heitmeyer sieht einen wesentlichen Grund für die Gewaltbereitschaft in der sozialen Spaltung des Landes. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem "entsicherten Jahrzehnt", das von mehreren "Signal-Ereignissen" geprägt worden sei, wie den Terror-Anschlägen vom 11. September 2011 in den USA und ihren Auswirkungen auch auf Deutschland. Dazu kämen wachsende soziale Ungleichheit und die Finanzkrise seit 2008.

Explosive Situation

Diese Entwicklungen führten zu einem Vertrauensverlust in die Demokratie und einem Gefühl der Machtlosigkeit. Keine einzige Krise habe gelöst werden können, heißt es zusammenfassend in der Studie. Es handele sich um eine "explosive Situation als Dauerzustand". Indirekt sei die Politik an dieser Entwicklung beteiligt, fasst Soziologe Heitmeyer die Ergebnisse seit 2002 zusammen. Er wolle aber keine Politiker-Schelte betreiben, da dies nur die Demokratie weiter gefährde.

Wie fragil das demokratische Gemeinwesen zu sein scheint, illustriert das umfangreiche Zahlenmaterial über "Deutsche Zustände" in vielerlei Hinsicht. Denn in der laut Autoren weltweit einzigartigen Langzeitstudie geht es nicht nur um Fremdenfeindlichkeit, sondern um die Abwertung von Menschen aus unterschiedlichsten Gründen: ethnischen, kulturellen, religiösen, sozialen, körperlichen oder sexuellen.

Finanziert wurde das nun abgeschlossene Projekt von mehreren Stiftungen. Allein die Volkswagen-Stiftung beteiligte sich mit 2,7 Millionen Euro. Dass die Studie nun beendet sein soll, bedauern die Forscher sehr. Aber vielleicht tue sich noch etwas, nicht zuletzt unter dem Eindruck der schockierenden Neonazi-Morde, so die Hoffnung. Auf die Unterstützung Wolfgang Thierses dürfen sie auf jeden Fall zählen. "Ich hoffe, das Projekt wird fortgesetzt", sagte der Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Friederike Schulz / Rolf Breuch