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Die Gedanken fliegen lassen

14. Dezember 2011

Sie bringen alles mit, was man zum Philosophieren braucht: Neugierde, Staunen, Fragen über Fragen. Doch oft werden Kinder mit banalen Antworten abgefertigt. Beim Philosophieren für Kinder ist das anders.

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Bild: Nikolai Sorokin-Fotolia

Wie groß ist das Universum? Warum gibt es eigentlich Regeln? Und wie ist das mit dem Tod? – Fragen, die man Kindern zunächst vielleicht gar nicht zutraut. Dass Kinder sehr wohl über existenzielle Dinge grübeln, weiß Kristina Calvert. Ihr Beruf: Kinderphilosophin – und das schon seit 20 Jahren. Im Studium lernte sie das Philosophieren in einem Seminar kennen und war sofort begeistert: "Ich war selber immer eine Fragende und als ich Kind war, da wurde öfter gesagt, 'nun lass das mal mit deinen Fragen und nimm die Dinge einfach so hin.'" Das habe bei ihr ein sehr komisches Gefühl hinterlassen. Dieses Gefühl wollte sie anderen ersparen und begann deshalb, mit Kindern zu philosophieren.

Kinder sind Philosophen

Foto: Janine Albrecht
Kinderphilosophin Kristina Calvert ist keine Frage zu banalBild: DW

An einer Hamburger Grundschule sammelte sie erste Erfahrungen als Kinderphilosophin. Heute gibt die 50-Jährige Kurse an Schulen, bildet Lehrer und Erzieher fort, schreibt Bücher. Beim Philosophieren mit Kindern lehrt sie keine sperrigen Theorien. "Da machen Kinder eigentlich nur das, was sie sowieso machen, sie stellen Fragen", betont Calvert. Denn für sie sind Kinder bereits Philosophierende. Sie wundern sich, sie staunen – das sei der Anfang des Philosophierens: "Sie fragen nach den grundsätzlichen Inhalten des Philosophierens, sie fragen nach dem Tod, sie fragen nach dem Ende des Universums, nach der Berechtigung von Regeln, nach Angst, nach Mut."

Calvert sitzt in einem hellen und modernen Pavillon, dem Weltquartier in Hamburg-Wilhelmsburg. Es ist ein Veranstaltungsort der Reihe "Gedankenflieger – Philosophieren mit Kindern", die das Hamburger Literaturhaus ins Leben gerufen hat. Dieses Mal geht es um die Frage: Was sind Freunde, und warum sind sie wichtig? Dazu haben auch Fünfjährige ihre eigenen Gedanken: Freunde habe man lieb, meint etwa die kleine Mira. Es sei wichtig, dass sie sich auch gegenseitig mögen, ergänzt der achtjährige Tobias. Calvert greift die Antworten der Kinder auf, und so entwickelt sich das Gespräch weiter.

Auch Erwachsene dürfen mitdenken

Foto: Janine Albrecht
Raum zum Denken
statt philosophischer TheorienBild: DW

Die Kinder hören sich zu, auch den Erwachsenen in der Runde, die genauso mitreden dürfen. Die Kinderphilosophin fragt die Großen im Stuhlkreis, ob sich Freunde streiten dürfen. "Sicher", meint Alexander Sielaff, ein Erzieher, der hier ist, weil er eine Fortbildung bei Calvert besucht hat. Gerade, wenn man befreundet sei, solle man ehrlich zueinander sein. Man müsse sich auch sagen, wenn einem etwas nicht passt. Die fünf Jahre alte Mira philosophiert gemeinsam mit dem 45-jährigen Alexander. "Mir ist es wichtig, dass auch die Erwachsenen hier mitreden", sagt Calvert. Denn so können beide Seiten voneinander profitieren. Die Kinder sollen lernen, das, was die Älteren sagen, ernst zu nehmen, aber auch zu hinterfragen. "Umgekehrt", so Calvert, "lernen die Älteren, dass die Kinder nicht so trivial sind, wie sie oft behandelt werden".

"Kinder können die Welt erklären"

Doch längst nicht jedes Kind in dem Stuhlkreis diskutiert rege mit. Philipp sitzt die meiste Zeit nur ruhig da. Aber auch schüchterne Kinder finden bei Calvert einen Weg, ihre Gedanken mitzuteilen. Auf einem Tisch liegen bunte Filzstifte, Blätter und Klebestreifen. Die Kinder sollen eine "Freunde-Such-Maschine" malen oder basteln. Alle schnappen sich sofort die Stifte und legen los. "Wir denken nicht nur im Gespräch, sondern wir denken ja auch, indem wir etwas herstellen. Das ist eine andere Form von Denken", erklärt Calvert. So versuche sie auch den Kindern, die nicht so gerne reden, eine Möglichkeit zu geben, die eigenen Gedanken auszudrücken.

Foto: Janine Albrecht
Manchmal fliegen Gedanken besser, wenn man sie aufmaltBild: DW

Die Erwachsenen stehen neben den Kindern und schauen zu, wie sie ihre Freunde-Such-Maschine basteln. Philipp hat ein Männchen mit zwei roten Augen und einem Strahl gemalt. Mit dem Strahl könnten die Freunde gesucht werden. Tobias ist mit genauso viel Eifer dabei, wie zuvor im Sitzkreis. Seine Oma steht hinter ihm. Sie ist erstaunt, auf welche Ideen ihr Enkel kommt. "Ich bin eigentlich nicht so ein großer Freund des Philosophierens, weil es mir zu wenig Bodenhaftung hat", sagt sie und lacht dabei. Doch als sie Geschichte und Naturwissenschaften studiert habe, sei ihr klar geworden, welch große Rolle die Philosophie überhaupt spiele. Ihr ist es wichtig, dass Kinder das auch mitbekommen.

Calvert möchte den Kindern durch ihren Philosophie-Stunden vor allem mit auf den Weg geben, dass sie mündig sind. "Ich möchte, dass das Kind für sich Klarheit bekommt: Ich bin etwas. Ich kann etwas. Ich kann mir diese Welt selber erklären und für diese Erklärung gute Gründe finden."

Autorin: Janine Albrecht
Redaktion: Gudrun Stegen