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Die Wiederkehr der Dialekte

12. Dezember 2011

Dialektsprechen galt einst als Zeichen fehlender Bildung. Mittlerweile hat es eine Trendwende gegeben. Der Germanist Karl-Heinz Göttert erklärt, warum Dialekt in Zeiten der Globalisierung zur gesprochenen Heimat wird.

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Rastplatzschild mit der Aufschrift "Goschenhobel" - alemannisch für "Mundharmonika (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Nach seiner kurzweiligen Sprachgeschichte "Deutsch. Biografie einer Sprache" (2009) unternimmt der Kölner Sprachwissenschaftler Karl-Heinz Göttert in seinem neuen Buch "Alles außer Hochdeutsch" einen Streifzug durch die deutschen Dialekte. Darin erzählt er unter anderem, wie die Dialekte sich verändert haben, warum Sächsisch einen schlechteren Ruf hat als andere Regionalsprachen und warum in Zeiten der Globalisierung weltweit Dialekte zur emotionalen Heimat werden.

DW-WORLD.DE: Früher wurde man zuweilen schief angesehen, wenn man Dialekt sprach. Das galt als provinziell und Zeichen von Bildungsferne.Woher kommt die Neubewertung des Dialekts?

Der Autor und Sprachforscher Karl-Heinz Göttert (Foto: privat, Rechte: Ullstein Verlag)
Karl-Heinz GöttertBild: Ullstein Buchverlage

Karl-Heinz Göttert: Seit den 1970er Jahren gibt es da eine gewisse Lockerheit mit dem Dialekt, und man nimmt an, dass das mit der Globalisierung zusammenhängt. Die Globalisierung bringt uns natürlich mehr Einheitlichkeit. Aber wie das so ist, wenn ein Extrem sich verstärkt, dann tut sich auch am anderen Ende der Skala etwas. Das ist dann ein Bedürfnis nach Regionalität. Und plötzlich merkt man, dass Leute weniger verkrampft damit umgehen, dass zum Beispiel Politiker auf Dialekt zurückgreifen, um eine gewisse Emotionalität auszudrücken.

Dialekt also als Heimatgefühl in der Sprache?

'Heimat', das spricht man in Deutschland ungern aus, weil damit wieder so bestimmte historische Assoziationen verbunden sind. Die meisten sprechen von Regionalität - Regionalität oder auch Identität. Identität lässt sich ja schlecht global fixieren. Sie können keine globale Identität entwickeln. Manche bezweifeln sogar, dass es so etwas wie eine europäische Identität geben kann. Auch eine deutsche Identität ist schwierig. Aber eine Identität zum Beispiel hier in Köln kann man viel eher ausmachen und auch ausleben.

Warum kann man sich in einem Dialekt eher zu Hause fühlen als in der Hochsprache?

Die Hochsprache vereinheitlicht. Man braucht diese Einheitlichkeit auch. Die Hochsprache ist (in Deutschland, d. Red.) die Sprache von 82 Millionen Menschen. Die Hochsprache hat auch eine gewisse Künstlichkeit. - Man kann sich sogar darüber unterhalten, ob es überhaupt die reine Hochsprache gibt. Ich würde sogar behaupten, die gibt es gar nicht so. Es gibt viele Schattierungen und überhall klingt die Hochsprache etwas anders. - Sie hat in gewissem Sinne etwas Anstrengendes. Lockerheit stellt sich eher bei der Regionalsprache ein, die man von Kindheit auf gewöhnt ist.

Wie kommt es denn, dass einige Dialekte weniger gut angesehen sind als andere? Also nehmen wir zum Beispiel das Sächsische. Viele machen sich darüber lustig. Wie kommt diese unterschiedliche Bewertung zustande?

Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender der DDR - Bild vom 30.12.1971 (Foto: AP)
Sächsisch-Sprecher Walter UlbrichtBild: AP

Ich finde diese ganze Bewerterei grauenhaft. Übrigens, von der Wissenschaft wird gesagt, dass es keinerlei Kriterien gibt, die sprachlicher Natur sind und aus denen sich dann Schönheit oder Hässlichkeit ableiten ließe. Aber es existiert. Woran liegt so etwas? Da wird die Sprache mit etwas anderem verquickt, mit einem Image. Und Image wird man schlecht los. Bei den Sachsen ist das so, die hatten bis zum 18. Jahrhundert eine Führungsrolle in Deutschland. Dann kamen die Preußen und haben sie militärisch besiegt. Und dann geht die ganze Chose sozusagen nach hinten los: Die Sachsen werden systematisch diskriminiert. Und sie haben immer neues Pech gehabt. Im 20. Jahrhundert zum Beispiel, in der DDR, waren nun gerade die übelsten Führungsfiguren wiederum Sächsisch-Sprecher. So sind die armen Sachsen eben immer wieder neu von diesem Vorurteil verfolgt.

Auf europäischer Basis gibt es die Charta der Regional- und Minderheitensprachen. 1999 hat auch die Bundesrepublik unterzeichnet. Damit sollen einzelne Sprachen, Dialekte, die vom Aussterben bedroht sind, geschützt werden. Was halten Sie davon? Kann man eine lebendige Sprache schützen?

Ich bin skeptisch. Dass man Dialekte schützt, das finde ich wunderbar. Es gibt zum Beispiel das Saterfriesische - im Norden Deutschlands in der Nähe von Oldenburg, das da, glaube ich, noch von 2000 Leuten gesprochen wird. Das ist ein sehr alter Dialekt. Und wer wollte so etwas schon sterben sehen? Aber auf der anderen Seite muss man sehen, dass Schutz immer etwas von einem Museum hat. Wir wollen Sprachen aber nicht museal verwenden, sondern kommunikativ. Und so wird der Schutz zu einer Gratwanderung.

Gibt es Dialekte auch in anderen Sprachen?

Ein Spatz (Sperling) in Nahaufnahme (Foto: AP)
Der Spatz ist auf Kölsch die MöschBild: AP

Ich weiß es natürlich nicht für die ganze Welt. In Europa gibt es viele Parallelen. Die Deutschen denken ja "Ach, wir sind ein komisches Volk. Wir haben all die verschiedenen Sprachen. Die Franzosen, die sprechen französisch, die Italiener sprechen italienisch und die Engländer englisch." Das ist natürlich alles Unsinn. Gerade die Engländer sprechen nicht einfach englisch. Selbst die sind schon viersprachig mit walisisch, irisch und schottisch. In London selbst gibt es das Cockney, einen Dialekt. Das Englische ist sehr variantenreich. Gucken Sie nach Amerika, nach Australien, nach Südafrika, nach Indien. Überall wird englisch gesprochen, aber in unterschiedlichen Varianten. Da kann man auch von Großdialekten sprechen. Also mit anderen Worten: Das haben wir überall. Und ich würde sogar sagen, es wird sich keine Sprache ab einer gewissen Größenordnung auf dieser Erde finden, die ohne Dialekte ist.

Kommen wir noch mal zum globalisierten Menschen: Der muss ja noch eine ganze Menge anderer Sprachen sprechen, Computersprache zum Beispiel. Der muss wissen, wie er im Netz, welche Sprache er über das Handy spricht. Es gibt inzwischen viele Sondersprachen, die jemand sprechen und kennen muss. Wie spricht denn der Mensch der Zukunft?

Buchcover Karl-Heinz Göttert: Alles außer Hochdeutsch. Ein Streifzug durch unsere Dialekte (Ullstein-Verlag)

Die Vorstellung, dass der Mensch einsprachig ist, die ist völlig ideologisch - man kann auch sagen romantisch. Denn sie stammt aus dem 19. Jahrhundert. Der Mensch ist nicht einsprachig, das sehen wir in der ganzen Welt. Nebenbei bemerkt: Wenn Studenten in der Uni gebeten werden, ihre Muttersprache anzugeben, dann ist das durchaus bei einigen ein Problem. Die wissen nämlich nicht, was ihre Muttersprache ist. Weil sie zweisprachig erzogen wurden. Der globalisierte Mensch der Zukunft ist in extremer Weise vielsprachig. Der spricht zum Einen eine Lingua franca, zum Beispiel englisch. Dann spricht er eine Muttersprache, die er von zu Hause gelernt hat. Dann hat er verschiedene Computersprachen zur Verfügung. Dann hat er vielleicht irgendwelche Interessengebiete, die ihn an ein bestimmtes Land binden. Dann lernt er diese Sprache auch noch, usw. Das heißt, der Mensch der Zukunft wird vielsprachig sein

Haben Sie persönlich einen Lieblingsdialekt?

Ja - mein Kölsch! Ich kann gar keinen anderen. Übrigens kann ich auch nicht richtig hochdeutsch (lacht). Und das muss auch nicht sein. Wenn ich gelegentlich mit Kollegen zusammentreffe, die auch Kölsch können, dann dauert es genau drei Sekunden, dann verlassen wir dieses anstrengende Hochdeutsch. Und freuen uns bei Bier oder Wein, wenn wir uns in Ruhe zurücklegen und ganz entspannt kölsch sprechen können.


Das Gespräch führte Gabriela Schaaf
Redaktion: Claudia Unseld


Karl-Heinz Göttert: Alles außer Hochdeutsch. Ein Streifzug durch unsere Dialekte. Ullstein-Verlag. ISBN 9783550088773. 19,99 Euro.