1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Twittern für die Politik - und dann?

4. Dezember 2011

Das Internet verändert vieles - auch die Politik, genauer: die Politiker. Denn Politik wird schließlich auch nur von Menschen gemacht. Ein Kongress ließ Bundesminister, Internet-Gurus und Bürger darüber diskutieren.

https://p.dw.com/p/13L3E
Karikatur einer Frau am Computer (Foto: Martina Orlich)
Bild: Martina Orlich

Neben den gewählten Politikern gehören in einer repräsentativen Demokratie auch die Bürger zum politischen Prozess. Denn Demokratie ist die Macht des Volkes, wie Deutschlands erster Bundeskanzler nach dem Zweiten Weltkrieg Konrad Adenauer einst sagte. Um Fragen von Teilhabe und Bildung der Staatsbürger kümmern sich in Deutschland auch die parteinahen Stiftungen. Eine von ihnen - die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) - lud unter der Überschrift "Digitale (Un)Kultur und Demokratie" zum 3. Demokratie-Kongress nach Berlin. Mehrere hundert Menschen folgten der Einladung, darunter viele Politiker.

Der Kongress fand in Berlin-Adlershof statt, Deutschlands derzeit modernstem und größtem Technologie- und Gründerpark. Hier arbeiten 800 Firmen, 11 außeruniversitäre Forschungsinstitute und sechs Institute der Humboldt-Universität. Früher hieß so ein Areal "Industriegebiet" - das ist Adlershof jetzt zwar auch noch, aber es sieht anders aus, denn es fehlen die typischen Fabrikschornsteine und Produktionshallen. Schmierstoff der industriellen Prozesse ist dort jetzt das Internet.

Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der Konrad-Adenauer Stiftung (Foto: eukas)
Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der KAS: Wir leben in einer KommunikationsrevolutionBild: eukas

Der Ort passte damit zum Anspruch der Veranstalter, dem Internet einen zentralen Stellenwert in der Politik einzuräumen beziehungsweise darüber zu diskutieren. "Wie lassen sich unser Freiheitsgedanke und unser Verständnis von Rechtsstaatlichkeit auf den neuen, virtuellen Raum übertragen", fragte Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der KAS und ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, zu Beginn der Veranstaltung und sprach von der "größten "Kommunikationsrevolution nach Erfindung des Buchdrucks. Aufgabe der Politik im 21. Jahrhundert sei es, darüber aufzuklären, die Menschen mitzunehmen und auch über Missbrauchsmöglichkeiten zu informieren. Das Internet biete zudem ganz neue Möglichkeiten des Dialogs mit den Bürgern, was inzwischen von einer wachsenden Zahl von Politikern genutzt werde.

Analoger Gegentrend

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (Foto: dpa)
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich: Wir brauchen eine Rückbindung an das reale LebenBild: picture alliance/dpa

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich vertiefte diese Gedanken in einer Grundsatzrede. "Wer ist der Nächste heutzutage", fragte Friedrich. Er selber habe als Kind noch - auch aus Mangel an Alternativen - mit den anderen Kindern seiner Straße Fußball gespielt. Heute aber suchten sich die Heranwachsenden ihre Freunde frei im Internet. Die soziale Umgebung ändere sich damit. "In Deutschland erleben wir neben dem Trend des virtuellen Lebens aber auch seit Jahren eine Wiederentdeckung von Gemeinschaft, Familie, Vereinen und Kirchen", so Friedrich. Der Bundesinnenminister sprach von einer "wichtigen Rückbindung an die analoge Welt".

Grundsätzliche Aufgabe der politischen Bildung sei es, den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Wertschätzung von Demokratie und Freiheit zu fördern. Eine echte Herausforderung dabei sei es, angesichts der digitalen Beschleunigung nicht oberflächlich zu werden. "Früher konnte ich mir angemessen Zeit lassen, um auf einen Brief zu reagieren. Auf eine SMS oder E-Mail muss ich spätestens innerhalb eines Tages antworten", so Friedrich. Andererseits böte das Internet bessere Möglichkeiten, Befindlichkeiten zu erkunden, um schließlich die Kommunikation zwischen Politikern und Bürgern zu verbessern.

Viel Angst und Emotionen

Den neuen Varianten digitaler Kommunikation auf der Spur fand der Kongress parallel auf der Website des Berliner Medienunternehmens "Der Tagesspiegel" statt. Hier konnten die User in einem Liveticker mitverfolgen, was der Bundesminister sagte. Schon Tags zuvor hatte dieser einen Grundsatzartikel im Netz veröffentlicht. Friedrich beantwortete nun Kommentare und Fragen dazu. Schnell kamen dabei aktuelle Themen zur Sprache. Zum Beispiel, welche Maßnahmen der Bundesinnenminister nach der von Neonazis verübten Mordserie plane. Friedrich kündigte ein Internetzentrum gegen Rechtsextremismus an, das bald seine Arbeit aufnehmen werde. Auf das Thema Datensicherheit angesprochen, sagte Friedrich, dies sei inzwischen eine Daueraufgabe geworden. "Denn Sicherheitssysteme haben wie Lebensmittel auch ein Verfallsdatum."

Internet-Guru und Buchautor Jeff Jarvis (Foto: dpa)
Internet-Guru und Buchautor Jeff Jarvis: Keine Angst vor NetzöffentlichkeitBild: picture-alliance/dpa

Im Anschluss sprach der New Yorker Journalismusprofessor Jeff Jarvis auf dem Adlershofer Kongress. Er warnte die Politik davor, sich zu stark in das Internet einmischen zu wollen. "Wir sehen noch nicht wirklich, was die digitale Revolution bewirkt. Das Neue entsteht gerade erst. Deshalb dürfen wir jetzt noch keine Strukturen der Kommunikation festlegen." Dies müsse man aushalten, auch wenn es wie im realen Leben "jede Menge Idioten" im Netz gäbe.

Auch Jarvis stellte sich den Fragen der realen und virtuellen Zuhörer. Drohe nicht der Verlust von Privatheit? Im Gegenteil, so Jarvis, denn Öffentlichkeit könne auch schützen, wie es die Homosexuellen-Bewegung in den USA vorgemacht habe. Oder: Stigmatisierung von Krankheit sei kein Problem des Internets, sondern ein gesellschaftliches Problem. Er selbst habe im Internet offen über seine Krebserkrankung berichtet, wovon andere Betroffene profitiert hätten, weil sie anfingen, sich über die Krankheit auszutauschen.

Was ändert sich wirklich?

Wie verändert das Internet die tägliche Arbeit von Politikern, so lautete das Thema eines von drei Foren, die im Anschluss stattfanden. Hier entwickelte sich eine Kontroverse darüber, ob das Internet politische Arbeit nur quantitativ oder doch qualitativ verändere. Die Themen Bürgerbeteiligung, Kontrolle und Bürgernähe seien Aspekte, die auch im analogen Zeitalter wichtig waren - und schon vor Twitter gab es Bürgerversammlungen und Briefe von Bürgern an die Repräsentanten, sagte Stefan Eisel, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und jetzt bei der Konrad-Adenauer-Stiftung für "Internet und Demokratie" zuständig.

Stefan Tauber, CDU-Abgeordneter und Mitglied der Enquetekommission des Bundestages "Internet und digitale Gesellschaft", dagegen meinte, "gerade ändert sich alles". Hierarchie-Ebenen der öffentlichen Meinungsbildung zum Beispiel fielen weg. Er habe zudem über sein Facebook-Profil regelmäßigen Kontakt zu Bürgern, die er real gar nicht kenne, aber die ihm auch mal alles Gute wünschen würden, wenn er zum Zahnarzt müsse und das poste. Außerdem verändere es manchmal die eigene Prioritätensetzung, wenn man sie mit der unterschiedlichen Resonanz auf Postings vergleiche. Eine offene Frage für ihn sei, wie er künftig den Diskurs organisiert, wenn nicht mehr 20, sondern 250 Anfragen pro Tag in seinem virtuellen Postfach eingehen sollten?

PR oder Bürger-Beteiligung?

Illustration zum Demokratie-Kongress (Foto: DW/Scholz)
Der Kongress wurde in dieser Illustration zusammengefasstBild: DW

Im Publikum gab es alsbald Zwischenrufe, das Internet dürfe nicht nur als Tool für Politiker-PR wahrgenommen werden, sondern als Instrument der Beteiligung an Politik. Haben Politiker eigentlich auch Angst vor dem Internet, da es schließlich auch besser Missbrauch von Politik publik machen könne, lautete eine Frage. Die Antwort blieben die anwesenden Politiker schuldig.

Andere Fragen lauteten: Wo liegen die Grenzen der vielzitierten Transparenz? Sei es nicht bei Entscheidungen in einer repräsentativen Demokratie gerade gewollt, dass es eine, manchmal recht spannungsreiche Grenze von Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit gibt?

Politiker würden noch immer selbst entscheiden, was sie publik machen, gab Stefan Eisel von der Konrad-Adenauer-Stiftung zu, das sei auch im Zeitalter von Twitter nicht anders. Sollten Politiker alle Gespräche mit Lobbyisten in einen öffentlich zugänglichen Tageskalender stellen? Politik lebe auch von Vertrauen, entgegnete der FDP-Abgeordnete Manuel Höferlin dieser Publikumsfrage. Um allerdings Entscheidungen zu treffen, müssten im Vorfeld natürlich alle unterschiedlichen Interessengruppen gehört werden.

Dass der Respekt vor dem Internet dennoch auch bei Politiker groß ist, ging aus einer Ankündigung von Stefan Eisel hervor. Demnächst werde die Konrad-Adenauer-Stiftung eine Studie zum Thema "Internet-Tsunamis" herausbringen. Gemeint sind damit sicherlich solche Kommunikationsprozesse, die frei von politischer Beeinflussung ein Massenpublikum an sich binden und damit für den eigentlichen Zweck des Internets stehen, nämlich dem freien und ungefilterten Informationsfluss.

Autor: Kay-Alexander Scholz

Redaktion: Arnd Rieckmann