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Missbrauch soll später verjähren

30. November 2011

Der Runde Tisch "Sexueller Kindesmissbrauch" hat seinen Abschlussbericht vorgestellt. Er empfiehlt längere Verjährungsfristen und Therapiehilfen.

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Die Ministerinnen Leutheusser-Schnarrenberger (r.) und Schröder bei der Präsentation des Berichts (Bild: dpa)
Die Ministerinnen Leutheusser-Schnarrenberger (r.) und Schröder bei der Präsentation des BerichtsBild: picture-alliance/dpa

Ein Hilfsfonds von 100 Millionen Euro und deutlich längere Verjährungsfristen – das ist das Ergebnis des Runden Tisches zum Thema Kindesmissbrauch, an dem die Bundesregierung, Jugendorganisationen, Wissenschaftler und Opfervertreter eineinhalb Jahre zusammengesessen haben. "Wir brauchen ein neues Bewusstsein, wir brauchen neue Sensibilität und neue Aufmerksamkeit", erklärte Familienministerin Kristina Schröder am Mittwoch (30.11.2011) in Berlin.

Verjährung erst nach 30 Jahren

Die ehemalige Bundesfamilienministerin und Regierungsbeauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Bergmann (Bild: dapd)
Die ehemalige Regierungsbeauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, BergmannBild: dapd

Der Abschlussbericht empfiehlt, dass der Anspruch auf Entschädigung statt nach drei Jahren erst nach 30 Jahren verjähren soll. Auch die Strafverfolgung von Tätern soll länger möglich bleiben. Die Verjährungsfrist, die bis zu zwanzig Jahre beträgt, soll erst einsetzen, wenn das Opfer 21 Jahre alt ist. Viele Missbrauchsopfer finden erst nach Jahrzehnten die Kraft, über ihr Schicksal zu sprechen. Deshalb blieben bisher die meisten Täter unbehelligt. Beide Gesetze seien von ihrem Ministerium bereits auf den Weg gebracht worden, sagte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: "Wir haben nicht den Abschlussbericht abgewartet, um tätig zu werden." Sie sollen Anfang 2012 in Kraft treten.

Weil die neuen Fristen aber nicht für Taten gelten, die bereits geschehen sind, will die Regierung mit einem Hilfsfonds von 100 Millionen Euro zusätzliche Therapiestunden für Opfer fördern. Die Hälfte davon stellt der Bund bereit. Finanzminister Wolfgang Schäuble habe die Summe bereits zugesagt, versicherte Leutheusser-Schnarrenberger. Die andere Hälfte müssten die Bundesländer aufbringen - die Zusage steht aber noch aus.

"Das Schweigen gebrochen"

Der Runde Tisch wurde als Reaktion auf die Missbrauchsskandale in katholischen Einrichtungen ins Leben gerufen. Anfang 2010 war bekannt geworden, dass am Canisius-Colleg, einem Jesuiten-Gymnasium in Berlin, über Jahrzehnte hinweg regelmäßig Jungen missbraucht worden waren. Daraufhin wurden deutschlandweit immer mehr Fälle öffentlich – sowohl in kirchlichen und weltlichen Jugendeinrichtungen und Internaten. Die Bundesregierung ernannte damals eine Unabhängige Beauftragte und richtete den Runden Tisch ein. "Das Schweigen ist gebrochen", sagte jetzt Forschungsministerin Annette Schavan, deren Ministerium Forschungsgelder für die Traumabehandlung und Bildungsforschung bereitgestellt hat. Es gebe "erste Schritte hin zu einer Kultur der Achtsamkeit".

Das Berliner Canisius-Kolleg (Bild: dpa)
Am Berliner Canisius-Kolleg wurden im vergangenen Jahr die ersten Fälle bekanntBild: picture alliance / dpa

Die Skandale in den Jesuiten-Einrichtungen und der reformpädagogischen Odenwaldschule hatten eine Welle der Empörung in Deutschland ausgelöst und damit dem Thema zu einer nicht gekannten Aufmerksamkeit verholfen. Bei der Unabhängigen Beauftragten Christine Bergmann, deren Amtszeit inzwischen zu Ende gegangen ist, haben sich seitdem mehr als 20.000 Menschen gemeldet, die entweder selbst Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind oder von Fällen in ihrem Umfeld berichteten.

Enttäuschung bei den Opfern

Die Missbrauchsbeauftragten der beiden großen Kirchen und Fachpolitiker der verschiedenen Parteien haben die Ergebnisse des Runden Tisches begrüßt. "Jetzt muss sich bewähren, was auf den Weg gebracht wurde", sagte der evangelische Bevollmächtigte Bernhard Felmberg. Der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, sagte, die Arbeit in dem Gremium sei stets sehr konstruktiv gewesen. Die Vertreter der katholischen Kirche seien respektvoll behandelt worden.

"Mager" nannte dagegen die Leiterin der Kölner Beratungsstelle "Zartbitter" die Ergebnisse. Sie vermisst eine Aufstockung der Mittel für die Prävention. Auch Opferverbände zeigten sich enttäuscht. "Ich sehe wenig Positives", sagte Norbert Denef, der Vorsitzende des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt. Und Christian Bahls von der Initiative MOGiS kritisierte insbesondere, dass die zusätzlichen Hilfen für Betroffene aus dem Fonds auf 10.000 Euro pro Person begrenzt sind. "Das Leid der Betroffenen ist ungedeckelt", erklärte er.

Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Susanne Eickenfonder