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Muslimische Gebete

30. November 2011

Ein muslimischer Schüler aus Berlin darf an seiner Schule nicht demonstrativ gen Mekka beten. In dem mehrjährigen Streit wies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Klage des jungen Mannes zurück.

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Muslime beim Gebet (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/chameleonseye

Seit Jahren streiten ein Berliner Gymnasium und ein Schüler über islamische Gebete an Schulen. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wird an diesem Mittwoch (30.11.2011) darüber entscheiden, ob aus der gesetzlich verankerten Glaubensfreiheit ein Anspruch auf das islamische Ritualgebet während des Schulbesuchs folgt. Der Streit hatte bundesweit Debatten über die Religionsfreiheit im Schulbetrieb hervorgerufen.

Eingeschränkte Religionsfreiheit

Auslöser des seit Jahren andauernden Prozesses war ein Gebet des Schülers Yunus M. auf dem Schulflur des Weddinger Diesterweg-Gymnasiums im Jahr 2007. Die Schuldirektorin befürchtete, dass streng religiöse Schüler Druck auf weniger gläubige Schüler ausüben könnten und untersagte Yunus M. das Gebet. Seitdem wird über die Auslegung der Religionsfreiheit gestritten. Zwei Gerichtsurteile hat es bislang gegeben: Zunächst wurde dem Schüler das Gebet an der Schule erlaubt, dann aber in zweiter Instanz wieder verboten. Im derzeitigen Revisionsverfahren wird nun entschieden, ob aus der gesetzlich verankerten Glaubensfreiheit ein Anspruch des Schülers auf die Verrichtung des Gebets an der Schule hervorgeht.

Nurhan Soykan, Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland (Foto: DW/ Ulrike Hummel)
Nurhan Soykan, Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD)Bild: DW

Die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Nurhan Soykan, sieht in einem Gebetsverbot die Religionsfreiheit eingeschränkt: "Das Beten ist ab der Pubertät Pflicht für jeden Muslim. Von daher fordern wir ein, dass Schüler, die beten wollen, auch einen Platz dafür haben." Ein gesonderter Gebetsraum müsse das jedoch nicht sein. Das Gebet könne im Klassenraum während der Pause erfolgen, im Zimmer des Rektors oder in einer Sporthalle. "Es geht nur um die Einstellung der Schule", sagt die Generalsekretärin. Gemeint ist die Bereitschaft der Schulleitung, praktizierende Muslime an Schulen als Normalität zu betrachten.

Schulfrieden in Gefahr

Dem Schüler Yunus M. wurde das Gebet in der Pause erlaubt und ein ungenutztes Zimmer zum Gebetsraum umfunktioniert. Das Land Berlin legte Berufung ein, weil es den Schulfrieden in Gefahr sah. Im Frühjahr 2010 argumentierten die Richter des Oberverwaltungsgerichts zugunsten der Schulleitung. Eine Einschränkung der Religionsfreiheit sei hier gerechtfertigt, weil durch die besonders große Vielfalt von Glaubensrichtungen an diesem Gymnasium der Schulfrieden tatsächlich gefährdet sei. Anders als ein stilles Gebet könne das Ritualgebet die Konfliktlage verschärfen. Yunus M. darf seitdem nicht mehr beten, der Gebetsraum ist verschlossen.

Gebetsräume in Unternehmen und beim Militär

Türkische Muslime beten in einer Moschee in Köln (Foto: dpa)
Gebet in türkischer Moschee in KölnBild: picture-alliance / dpa

Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen stellt sich die Frage, wie mit dem Ritualgebet von Muslimen umzugehen ist. Bei der Bundeswehr etwa gibt man sich offen. "Wir müssen, wenn es vermehrt muslimische Soldatinnen und Soldaten gibt, natürlich auch darüber nachdenken, ob wir Gebetsräume in größerem Ausmaß zur Verfügung stellen", sagt Oberstleutnant Jürgen Ammann.

Bei den Ford-Werken in Köln, wo es schon seit Jahrzehnten einen hohen Migrantenanteil gibt, ist man auf die Bedürfnisse von Muslimen eingestellt. "Wo betriebliche Belange es zulassen, wurden Räumlichkeiten gefunden, um muslimischen Mitarbeitern das gemeinsame Gebet zu ermöglichen", erklärt Diversity Managerin Brigitte Kasztan. Allerdings müssten die Gebetszeiten in die Pausen gelegt werden, um den Betriebsablauf nicht zu stören. Seit mehr als 15 Jahren sei das Diversity Management ein Eckpfeiler der Unternehmenskultur. Will heißen: Vielfalt – auch religiöse Vielfalt – wird hier als positiver Aspekt betrachtet.

Studenten fordern Gebetsräume

Die Leipziger Gerichtsentscheidung könnte wegweisenden Charakter haben. Denn auch an deutschen Hochschulen fordern Studenten die Möglichkeit zum Gebet. "Wenn ein Student beten möchte, sollte man ihm auch die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Die Religionsfreiheit ist im Grundgesetz verankert und ich denke, dass das Gericht auch in diese Richtung entscheiden wird", sagt Levent Taskiram vom "Türkischen Akademiker- und Studentenverein". An der Kölner Universität gebe es seit Jahren Bemühungen seitens der Islamischen Hochschulvereinigung, einen Gebetsraum für Muslime einzurichten – derzeit seien diesbezüglich positive Entwicklungen im Gange, auch in Abstimmung mit dem Dekanat. An der Fachhochschule Köln gibt es bereits einen Raum.

Levent Taskiram, Vorsitzender des Türkischen Akademiker- und Studentenvereins (Foto: DW/ Ulrike Hummel)
Levent Taskiram, Vorsitzender des Türkischen Akademiker- und StudentenvereinsBild: DW

Auch in Krankenhäusern stellt man sich zunehmend auf die Bedürfnisse muslimischer Patienten ein. "In der Orthopädie und Unfallchirurgie gibt es Bereiche, wo Patienten sich zurück ziehen können, um ihrer Religionsausübung nachkommen zu können", sagt Magnus Eggers von der Pflegedienstleitung der Uni-Klinik Köln.

Fünfmal täglich müssen Muslime ein rituelles Gebet verrichten. Anforderungen an den Ort des Gebets schreibt der Koran offenbar nicht vor. Nicht alle Muslime halten sich an dieses religiöse Gebot, für den Schüler Yunus M. aber ist es wichtig. Gewinnt er, ist der Rechtsstreit damit beendet. Unterliegt er, dann kann der Schüler Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erheben.

Autorin: Ulrike Hummel
Redaktion: Christina Beyert/Pia Gram