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Welche politische Macht hat das Internet?

16. November 2011

Das Verhältnis von Politik und Internet wird immer komplexer. Ein internationales Symposium in Berlin erinnerte daran, wie zweischneidig diese Entwicklung sein kann.

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Bild: picture-alliance/dpa

Im vergangenen Jahr wurde das politische Leben in Deutschland unter anderem von Ereignissen geprägt, die einen starken Bezug zum Internet hatten. In Berlin schaffte es zum Beispiel die Piratenpartei erstmals in eine Landesregierung - die "Piraten" setzen sich vor allem für Datenschutz und Informationsfreiheit im Internet ein. Spektakulär war auch der Rücktritt von Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg - die Netzgemeinde hatte ihn zahlreicher Plagiate in seiner Doktorarbeit überführt und die öffentliche Online-Datenbank dazu "GuttenPlag" getauft. Die Enquetekommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestages soll untersuchen, wie das World Wide Web Politik und Gesellschaft beeinflusst. Sie hat wichtige Themen wie etwa Netzneutralität. Und in der arabischen Welt zeigten die sogenannten Facebook-Revolutionen in bisher beispielloser Weise, wie viel umwälzende Kraft das Internet entwickeln kann. Es gewinnt also an Bedeutung - und wirft dabei immer mehr Fragen auf.

Das Deutsche Technikmuseum in Berlin lud jüngst zu einem internationalen Symposium, bei dem kritisch über die neue Freiheit im Internet diskutiert wurde - unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Folgerichtig war eines von drei Themen "Das Internet als politisches Instrument". Daneben ging es um Wissensvermittlung im Netz und Fragen zu E-Commerce und Network Marketing. Viele Redner machten deutlich, wie zweischneidig die Entwicklungen im neuen Medium geworden sind. Im Falle der politischen Dimension heißt das: Neben den neuen Chancen der Information und der Vernetzung gibt es auch neue Möglichkeiten der staatlichen Zensur.

Infografik Freiheit im Netz (Quelle: www.freedomhouse.org)
Wie frei ist das Internet?

Zensur hat viele Gesichter

Zensur-Spezialist Jens Kubieziel (Foto: www.flickr.com)
Zensur-Spezialist Jens KubiezielBild: cc-by:Jens Kubieziel-nc-sa

Global gesehen ist Zensur im Internet weit verbreitet, wie der IT-Experte Jens Kubieziel von der Universität Jena in seinem Redebeitrag darlegte. Der Iran beispielweise habe eine ausgeklügelte Struktur von Stopp-Seiten etabliert und damit bestimmte Webangebote blockiert. In Kasachstan würden Informationen gefälscht, indem Texte in E-Mails oder Nachrichtentexte umgeschrieben werden. In China gibt es, wie Kubieziel zeigte, Polizisten als Comicfiguren, die sich über den Inhalt einer Webseite legen, um an das Gewissen des Bürgers zu appellieren - der User soll "harmonisiert" werden.

Doch Zensur ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Daran erinnerte Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Kolumnistin und Mitglied der Internet-Enquetekommission: "Die Software für die Zensur wird im Westen hergestellt und in die Länder mit fehlender Meinungsfreiheit verkauft", betonte die studierte Informatikerin.

Constanze Kurz (Foto: dpa)
Die wichtigste Frau für Internetfragen in Deutschland: Constanze KurzBild: picture alliance/dpa

"Deutschland muss Exportbeschränkungen für Zensurtechnologien erlassen", forderte Constanze Kurz. Sonst werde Überwachungs- und Zensurtechnologie in repressive Regime geliefert. Zensursoftware müsse ähnlich behandelt werden wir Rüstungstechnologien.

Gefahren für das freie Internet

Informatikerin Kurz beurteilt die Zukunft des politischen Internets skeptisch. Aus ihrer Sicht gibt es drei große Konfliktfelder: Welchen Einfluss werden Google und Facebook auf die politischen Prozesse im Netz nehmen? Wer wird zukünftig mit welchen Mitteln Wahlkampf im Netz führen? Wie ist Information von Manipulation im Internet unterscheidbar?

Es ist denkbar und wahrscheinlich, dass Formen direkter Demokratie wie Bürgerbefragungen und Petitionen im Internet weiter zunehmen - Constanze Kurz aber hält wenig davon, die parlamentarischen Traditionen indirekter Demokratie aufzugeben. Denn der Schnelligkeit des Internets dürfe nicht die Qualität des politischen Nachdenkens zum Opfer fallen.

"Es war kein iBlut, sondern reales Blut!"

Amira Yahyaoui - tunesische Netzaktivistin und Menschenrechtlerin (Foto: privat)
Amira Yahyaoui - tunesische Netzaktivistin und MenschenrechtlerinBild: privat

Auch die tunesische Aktivistin Amira Yahyaoui rückte manche gängigen Vorstellungen über das Internet zurecht. Web-2.0-Anwendungen haben zum Beispiel bei dem Umsturz in Tunesien eine starke Rolle gespielt - darum ist oft von "iRevolution" die Rede. Aber: "Es war kein iBlut, was auf den Straßen Tunesiens floss, sondern es war reales Blut", so Yahyaoui. Zudem hätten ganz reale Probleme wie Arbeitslosigkeit und Korruption den Wunsch nach Demokratie aufflammen lassen, sagte die 27-jährige Yahyaoui.

Im Internet sollten zukünftig dieselben Menschenrechte gelten wie in anderen Medien auch, betonte Yahyaoui. Rückblickend hätte es auch nach der Einführung von Radio und Fernsehen immer zunächst eine Diskussion darüber gegeben, wie das jeweils neue Medium stärker reguliert werden könne.

Klickvieh oder mündige Bürger?

Mitglied der Piratenpartei und Revolutionshelfer Stephan Urbach (Foto: Ole Reißmann)
Mitglied der Piratenpartei und Revolutionshelfer Stephan UrbachBild: Ole Reißmann/cc-by-sa-nc

Was kann künftig ein politischer Akteur von der Couch aus machen und was nicht? Diese Frage zog sich durch die lebhaften Diskussionsrunden der rund 200 Symposiumsteilnehmer. Stephan Urbach von der Piratenpartei gab ein positives Beispiel: Er selbst wurde vom heimischen Sofa aus zum Helfer des Arabischen Frühlings. Als das Mubarak-Regime das Internet in Ägypten lahmlegte, gelang es ihm und seinen Mitstreitern, via Telefon und Analogmodem 300 alternative Internet-Verbindungen nach Ägypten aufzubauen. Damit konnten einige ägyptische Revolutionäre das Internet weiterhin nutzen.

Klickvieh oder mündige Nutzer - was wollen wir zukünftig sein? So formulierte Stephan Urbach seine zentrale Frage zur Entwicklung des Internets. Der politische "Pirat" ist gegen Elitenbildung - der normale User sollte deshalb auch die Struktur des Internets begreifen, also beispielweise wissen, wie man selber einen Server aufbaut. Zum mündigen Internet-Bürger gehört auch, Blogs und Foren zu moderieren - und das sei etwas substantiell anderes als Zensur. Zensur, so Urbach, sei immer staatliche Zensur.

Lob für Deutschland

Constanze Kurz vom Chaos Computer Club lobte in diesem Zusammenhang die Netzöffentlichkeit in Deutschland. Die Bundesregierung hatte das Netz regulieren wollen, um damit Kinderpornographie aus dem Internet zu verbannen. Der lauten Kritik der Netzaktivisten sei es zu verdanken, dass diese Pläne nicht umgesetzt worden sind. Viele Gleichgesinnte aus aller Welt hätten sehr genau auf Deutschland geschaut und mit großer Erleichterung reagiert.

Autor: Kay-Alexander Scholz

Redaktion: Beate Hinrichs