1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pannen bei Verfassungsschutz und Polizei

15. November 2011

13 Jahre lang verübte eine Bande rechtsradikaler Extremisten Morde an ausländischen Mitbürgern, ohne dass deutsche Behörden die Hintergründe der Bluttaten erkannten. Welche Pannen sind dafür verantwortlich?

https://p.dw.com/p/13AP4
Exponate der Austellung 'Die Braune Falle - Eine rechtsextremistische Karriere' auf einer Hakenkreuzflagge (Foto: DW)
Rechtsextremismus und Neonazis unterschätzt ?Bild: DW/ Weitz

An Erkenntnissen über den rechtsradikalen Terror in Deutschland hat es offenbar nicht gemangelt. Bereits 1995 war in einem Bericht des Verfassungsschutzes zu lesen, dass in der rechten Szene überlegt wurde, ein rechtes Terrornetz aufzubauen. Der Verfassungsschutz des Landes Thüringen war den Neonazis nämlich bereits vor 15 Jahren auf der Spur. Über 20 Aktenordner mit Ermittlungserkenntnissen soll es alleine zu den drei Rechtsradikalen gegeben haben, die jetzt der Mordserie an türkischen und griechischen Mitbürgern verdächtigt werden.

Probleme der Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz

Hauptaufgabe der Verfassungsschutzbehörden auf Bundes- und auf Landesebene ist es, alle Personen und Organisationen zu beobachten, die die freiheitliche demokratische Grundordnung in Deutschland gefährden oder gar zerstören wollen. Dazu gehört die Beobachtung von Rechtsextremisten. Der Verfassungsschutz sammelt dabei völlig selbstständig Informationen und soll auf Ermittlungen der Polizei gar nicht angewiesen sein. Aufgabe der Polizei in Deutschland ist es lediglich, die Täter von Straftaten ihrer Strafe zuzuführen und dazu die Beweise zu sammeln. Im Gesetz sind die Befugnisse von Verfassungsschutz und Polizei eindeutig getrennt. Es gibt zwar im Landesverfassungsschutzgesetz die Möglichkeit, dass der Verfassungsschutz personenbezogene Daten und Erkenntnisse an die Polizei übermitteln darf, aber keine Vorschrift, dass er seine Informationen an die Polizei weiterleiten muss. In welchen Fällen Informationen zwischen Polizei und Verfassungsschutz ausgetauscht werden, und ob diese Zusammenarbeit immer regelmäßig erfolgt, ist selbst bei Insidern umstritten.

Mangelnde Kompetenz

Im Fall der rechtsradikalen Mordserie verweisen die Polizeibehörden darauf, dass es nie Bekennerschreiben zu den Taten gegeben habe. Auch seien die Morde mehrheitlich im Westen Deutschlands begangen worden.

Puzzleteil unter Lupe (Foto: dpa)
Oft geht es um mangelnde Zuordnung von InformationenBild: picture alliance/dpa

Man habe sie also nicht mit ausländerfeindlichen Attacken in Verbindung gebracht, die es vorwiegend in Ostdeutschland gibt. Dort sind aktive Neonazis in der Partei NPD sogar in Landesparlamente gewählt worden.

Dieses "Schubladen-Denken" bei der Polizei hat also die kriminalistischen Ermittlungen eingeengt. Umso mehr wäre es auf die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes angekommen. In jener Behörde vermochten die Mitarbeiter aber ihre Informationssammlungen nicht richtig zu bewerten.

Von einem "chronischen Versagen" der Geheimdienste spricht der Landespolitiker Bodo Ramelow (Die Linke). Und der Journalist Jürgen Roth, der jahrelang die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz analysierte und in seinem Buch "Ermittlungen verboten" zusammenfasste, bringt es auf den Punkt: "Die können es einfach nicht." Besonders beim Verfassungsschutz in Thüringen und in Sachsen gebe es zudem mangelhafte Ausbildung und viel Frust bei den Mitarbeitern. In Bayern sei der Verfassungsschutz den Aufgaben besser gewachsen. Man könne die Missstände also nicht verallgemeinern. Mit Personalmangel hätten die Probleme ebenfalls wenig zu tun, eher mit dem fehlenden politischen Willen, konstatiert Roth.

Pannen mit geheimen Verbindungsleuten

Neonazis mit Fahne (Foto: picture alliance/ZB)
Neonazis versammeln sich in DresdenBild: picture alliance/ZB

Um möglichst nah an verfassungsfeindliche Kräfte heranzukommen, wirbt der Verfassungsschutz schon seit Jahren Menschen an, die Mitglieder in extremistischen Organisationen sind. Oftmals sind es sogar Mitglieder in führenden Positionen. Dabei hat es wohl auch schon Versuche gegeben, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes verdeckt und gezielt in die Organisationen einzuschleusen. Häufig ist viel Geld im Spiel, und es geht um hohe Gefahren für die so genannten "V-Leute", die Spitzel. Oft kommt es daher zu Interessenskonflikten.

Das eingesetzte Geld soll sich lohnen. Die geheimen Verbindungsleute sollen so lange wie möglich geplante Aktivitäten der Extremisten verraten. Das zwingt den Verfassungsschutz dazu, lange eine schützende Hand über die Verbindungsleute zu halten. Zwei der Rechtsextremisten, die dem braunen Mörder-Netzwerk zugeordnet werden, hatten eindeutig Kontakt zu einem Verbindungsmann des Verfassungsschutzes. Der Verdacht, die mutmaßlichen Mörder könnten selbst vom Verfassungsschutz angeworben worden sein, würde vielleicht erklären, warum die Rechtsextremisten so lange unbehelligt im Untergrund bleiben konnten. In ihrer Wohnung wurden jedenfalls "legale illegale Papiere" gefunden. Solche Papiere bescheinigen legal eine neue Identität - derartige Identitätspapiere werden legal von Geheimdiensten für verdeckte Ermittler erstellt. Der Verfassungsschutz bestreitet jedoch einen Zusammenhang.

Zudem bezweifelt der Journalist Jürgen Roth aufgrund seiner Recherchen, dass Verbindungsleute im rechtsextremen Lager überhaupt sehr hilfreich sein können. "Viele Informationen aus diesen Kreisen waren in der Vergangenheit schlicht falsch".

"Wegsehen" gehörte zum Programm

Die entscheidende Fehlentwicklung bei den Verfassungsschutz-Ämtern einiger Bundesländer sei aber, dass die Ermittlungsschwerpunkte in den letzten Jahren zu sehr auf den linken und den islamistischen Terror ausgerichtet wurden. Da habe man vieles im rechten Spektrum nicht mehr mit der nötigen Aufmerksamkeit verfolgt, sagen ehemalige Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden, die nicht genannt werden möchten.

Im Fall des Verfassungsschutzes von Thüringen soll die Haltung gegenüber dem rechtsextremen Terror sogar mit dem ehemaligen Präsidenten zusammenhängen. Helmut Roewer, der die Behörde von 1994 bis zum Jahr 2000 leitete, wurde kein besonderer Ehrgeiz nachgesagt, Rechtsextreme zu verfolgen. Das habe mit dazu geführt, dass Roewer das Amt verlassen musste. Ob es seinem Nachfolger gelungen ist, manche Haltung in der Behörde nachhaltig zu verändern, werden die eingeleiteten Ermittlungen jetzt zeigen.

Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Hartmut Lüning