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Interview mit Tanja Langer

19. November 2011

Heinrich von Kleist ging nicht allein in den Freitod. Mit ihm starb Henriette Vogel. Wer war diese Frau und wie verbrachten die beiden ihre letzte Nacht? Die Autorin Tanja Langer hat darüber eine Erzählung geschrieben.

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Buchcover Tanja Langer: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit (dtv)
Bild: picture alliance/dpa

Über Henriette Vogel, Freundin Kleists und seine Gefährtin im Tode, gibt es außer den Lebensdaten (1777 - 1811), ein paar Briefen und Dokumenten nur wenige Quellen. Auch wie die letzte Nacht der beiden ausgesehen hat, kann man nur mutmaßen. Die Berliner Schriftstellerin Tanja Langer beschäftigt sich schon länger mit Kleist – unter anderem hat sie das Libretto der Oper "Kleist" (Musik: Rainer Lubbert) geschrieben. In der Erzählung "Wir sehen uns wieder in der Ewigkeit" hat sie beschrieben, wie Heinrich von Kleist und Henriette Vogel die letzten 24 Stunden ihres Lebens verbracht haben könnten – bevor Kleist am 21. November 1811 erst die Freundin und dann sich selbst am Kleinen Wannsee zwischen Berlin und Potsdam erschoss.

DW-WORLD.DE: Tanja Langer, wie haben Heinrich von Kleist und Henriette Vogel ihre letzten Stunden verbracht, was weiß man darüber?

Die Autorin Tanja Langer (Foto: Cordia Schlegelmilch)
Tanja LangerBild: Cordia Schlegelmilch

Tanja Langer: Man weiß, dass sie sich eingemietet haben im Gasthof Stimming am Wannsee. Man hat nach diesem spektakulären 'Mord', wie das damals bezeichnet wurde, die Gastwirtsleute befragt und die haben Auskunft darüber erteilt, dass die beiden zwei Zimmer nebeneinander hatten, die durch eine Zwischentür getrennt war, dass sie in der Nacht mehrere Flaschen Wein getrunken haben und für acht Groschen Rum und dass Henriette um vier Uhr früh nach Kaffee verlangt hat. Ein Zimmermädchen des Hauses erinnerte sich daran, dass sie um diese Uhrzeit noch ihr Reisekleid anhatte.

Wer war diese Henriette Vogel, und warum wollte sie unbedingt mit Kleist sterben?

Über die reale Ebene kann man so viel nicht sagen. Es gibt diese Abschiedsbriefe von Henriette an ihren Mann und an den Freund Ernest Peguilhen, und darin sagt sie, dass sie des Lebens müde ist und dass Heinrich von Kleist, der ihr ein getreuer Gefährte im Leben wie im Tod sein möchte, diese 'Überkunft' besorgen wird.

"Mein treuer geliebter Louis! Nicht länger kann ich mehr das Leben ertragen, denn es legt sich mir mit eisernen Banden an mein Herz – nenne es Krankheit, Schwäche, oder wie du magst, ich weiß es selbst nicht zu nennen – nur so viel weiß ich zu sagen, dass ich meinem Tod als dem größten Glücke entgegensehe..."
Henriette Vogel an ihren Mann Louis, 20. November 1811

Alles andere, was man darüber sagen kann, ist ganz schwer zu belegen. Es gibt ja die These, die ich sehr problematisch finde, dass sie Gebärmutterkrebs hatte. Man hatte bei der Obduktion einen Tumor festgestellt. Die medizinische Diagnose war aber damals nicht so klar und einfach wie heutzutage, und es gibt zwei unterschiedliche Dokumente darüber, was die Ärzte zu ihr gesagt haben. Ein Arzt sagte: Nein, die war ganz munter, die Diagnose über eine unheilbare Krankheit kann ich nicht bestätigen. Ich habe versucht, nach anderen Gründen zu suchen, die die Unlust am Leben verständlicher machen.

Auf was für Gründe sind Sie gekommen?

Heinrich von Kleist, Zeichnung, um 1808, von Anton Graff (1736-1813) -
Heinrich von KleistBild: picture-alliance / akg-images

Ich hab gedacht, sie ist 31 Jahre alt, es ist eine schwierige Zeit, Napoleon hat die Stadt besetzt, die Familie musste fliehen nach Königsberg, die Ehe war kompliziert. Es gab, wenn man ein bisschen nachforscht, komplizierte Liebesbeziehungen zwischen Henriette Vogel und Adam Müller im näheren Freundeskreis. Es gab eine generelle Traurigkeit in der Familie. Das ist eben nicht sehr bekannt, bzw. kommt jetzt allmählich ans Licht, dass sie eben nicht nur die eine Tochter Pauline hatte, sondern drei Kinder, die mit wenigen Monaten gestorben sind. Ich denke, so etwas hinterlässt auch Spuren. Und es gab eine allgemeine Zeit-Stimmung der Schwermut, die mit Todessehnsucht verbunden worden ist.

Weiß man etwas darüber, warum es für Kleist so wichtig war, nicht alleine zu sterben?

Es gibt viele Vermutungen darüber. Er hat ja immer wieder zeitlebens Freunde gefragt, ob sie nicht mit ihm sterben möchten. Es hat leider niemand darauf reagiert, also leider für ihn. Henriette war die erste, die sich darauf eingelassen hat, die selbst den Wunsch hatte, nicht mehr zu leben, und das hat die beiden enger zusammengeführt.

"Rechne hinzu, dass ich eine Freundin gefunden habe, deren Seele, wie ein junger Adler fliegt, wie ich noch in meinem Leben nichts Ähnliches gefunden habe; die meine Traurigkeit als eine höhere, festgewurzelte und unheilbare begreift, und deshalb, obschon sie Mittel genug in Händen hätte mich hier zu beglücken, mit mir sterben will..."
Heinrich an Marie von Kleist, 19. November 1811

Was war Ihr Motiv, eine Erzählung über die letzte Nacht von Heinrich und Henriette zu schreiben?

Zum einen war ich neugierig - wer war denn diese Henriette Vogel, die oftmals in den Biografien nur am Rande erwähnt worden ist. Es war auch sehr mühsam zu recherchieren, obwohl es Dokumente gibt. Und dieser gemeinsame Tod hat mir keine Ruhe gelassen, weil ich das Gefühl hatte, ich hab ihn noch nicht wirklich verstanden. Was hat die beiden wirklich bewegt, und warum heißt es, sie seien heiter aus dem Leben gegangen? Ich habe darüber nachgedacht, warum sie sich eigentlich kennengelernt haben. Sie haben sich mindestens eineinhalb Jahre vor dem Tod kennengelernt, wahrscheinlich sogar ein bisschen früher. Was verbindet zwei Leute die zusammen sterben wollen, wann kommt dieser Entschluss zustande?

Grab von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel in Berlin-Wannsee (Bild: cc-by-sa/Jochen Jansen, Quelle: Wikipedia)
Das Grab von Heinrich und Henriette am Kleinen WannseeBild: cc-by-sa/Jochen Jansen

Ich wohne ja in der Nähe vom Kleist-Grab, also da, wo sich die beiden das Leben genommen haben. Mich hat das einfach immer mehr beschäftigt (lacht): Wieso sind die denn extra in die Kutsche gestiegen und haben das nicht zu Hause in Berlin-Mitte gemacht? Warum sind die extra hier raus gefahren? Und mich hat diese Situation gereizt; das war ja im Grunde eine Theatersituation: zwei Zimmer mit einer Zwischentür im Zeitraum von 24 Stunden. In so einen letzten Tag kann man auch Reminiszenzen packen, das war als Kunstgriff reizvoll.

Was mich immer an Kleist fasziniert hat, war das große Thema Vertrauen, Misstrauen, Verrat, was er ja in seinem ganzen Werk durchdekliniert hat und ausgelotet hat wie kaum ein anderer. Ob vielleicht dieser Tod so eine Art letzter Vertrauensbeweis ist, dass sich jemand dem anderen so überlässt, dass er mit ihm stirbt? Vielleicht hat er darin mehr Erfüllung gefunden als in einer Liebesbeziehung.

Das Gespräch führte Gabriela Schaaf
Redaktion: Claudia Unseld

Tanja Langer: Wir sehen uns wieder in der Ewigkeit. Die letzte Nacht von Henriette Vogel und Heinrich von Kleist. Erzählung. München: DTV 2011. 232 S. 9,90 €