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SPD fordert "Marshallplan" für Südeuropa

27. Oktober 2011

Erleichterung über den Schuldenerlass, aber Sorge um die wirtschaftliche Zukunft Griechenlands - in Deutschland sieht man die Beschlüsse von Brüssel als Atempause.

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Sigmar Gabriel am Rednerpult im Bundestag (Foto: Wolfgang Kumm)
Sigmar Gabriel: Brüsseler Schuldenschnitt reicht nichtBild: picture alliance/dpa

Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linken, die den Euro-Rettungsschirm prinzipiell ablehnt, begrüßten den in Brüssel beschlossenen Schuldenerlass für Griechenland. Allerdings wiesen sie darauf hin, dass der Schlüssel zur Lösung des Problems in der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Begrenzung der Staatsverschuldung Griechenlands und anderer Krisenstaaten liege.

In der Unionsfraktion im Bundestag wurden die Führungsqualitäten der CDU-Kanzlerin gelobt. Sie habe ihre eigenen Positionen weitgehend durchgesetzt. Verhaltene Zustimmung kam auch von jener Minderheit im Regierungslager, die seit Wochen für Aufsehen sorgt, weil sie Merkels Kurs nicht mitträgt.

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach (Foto: Gero Breloer/dpa)
Rettungsschirm-Kritiker Wolfgang Bosbach (CDU)Bild: picture-alliance/ dpa

Man sei dabei "sich der Realität mehr anzunähern", sagt der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, der vor weiteren Bürgschaftsrisiken für Deutschland warnt und im Bundestag gegen die Erweiterung des Rettungsschirmes gestimmt hatte. Laut Bosbach ist der Schuldenschnitt zwar notwendig, aber nicht ausreichend. Entscheidend sei, ob Griechenland seine Wirtschaft stärke und genügend Steuereinnahmen erreiche, um aus eigener Kraft an die Finanzmärkte zurückzukehren. Aber "im Moment sieht es nicht danach aus", erklärte Bosbach.

Sozialdemokraten spotten über konservative Kehrtwende

Der Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, fordert deshalb nun ein Wachstumsprogramm für Südeuropa. Das Geld für diesen "Marshallplan" sollte unter anderem aus einer Finanztransaktionssteuer kommen, wie sie Deutschland international durchsetzen will. Die Beschlüsse von Brüssel seien längst überfällig gewesen, sagte Gabriel im Deutschlandfunk: "Ich bin zufrieden damit, dass Frau Merkel und vor allem auch andere konservative Regierungschefs gestern Nacht eine 180-Grad-Wende gemacht haben. Das Bittere daran ist, dass das ganze Zaudern und Zögern die Operation sehr, sehr teuer gemacht hat und die Risiken natürlich auch gestiegen sind."

Besser wäre gewesen, einen Schuldenschnitt für Griechenland zu machen, als Italien und Frankreich noch nicht im Visier der Spekulanten waren, kritisierte der SPD-Chef, dessen Partei jedoch das Verhandlungsmandat des Parlaments für Kanzlerin Merkel in Brüssel unterstützt hatte. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten betonte, die deutschen Arbeitnehmer hätten großes Interesse daran, dass "Europa nicht pleitegeht", weil es als Exportmarkt deutsche Arbeitsplätze sichere. Unterstützung kam auch von den oppositionellen Grünen. Ihr finanzpolitischer Sprecher Gerhard Schick erwartet allerdings noch "Monate der Unsicherheit", weil die Frist zu lang sei, die die Regierungschefs den Banken einräumten, um ihre Kapitaldecke zu erhöhen.

Liberale sehen positive Resonanz an Börsen

Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Rainer Brüderle (Foto: dpa)
Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Rainer BrüderleBild: picture-alliance/dpa

Für die mitregierende FDP sagte deren Fraktionschef im Bundestag, Rainer Brüderle, die Umschuldung Griechenlands habe bereits Auswirkungen an den Märkten, denn die Börsen in Fernost hätten bereits erste positive Signale gegeben. Brüderle verglich die Umschuldung mit den berühmten Brady-Anleihen, die der damalige US-Finanzminister Nicholas Brady Ende der 1980er Jahre in Uruguay und anderen Ländern angewandt hatte, um dort einen Staatsbankrott zu verhindern. Das Prinzip sei dasselbe: Die Banken verzichteten auf die Hälfte ihrer Forderungen und bekämen für die andere Hälfte Darlehen, die eine höhere Wertigkeit hätten.

Auch Brüderle, bis vor kurzem noch Wirtschaftsminister im Kabinett Merkel, sieht das Kernproblem in der realwirtschaftlichen Schieflage: "Die griechische Misere ist, dass das Land nicht wettbewerbsfähig und nicht in der Lage ist, sich das zu erarbeiten, was man glaubt, sich auf der Ausgabenseite erlauben zu können. Das muss in Schritten verändert werden."

Obwohl der sogenannte Schuldenschnitt mit 50 Prozent größer als gedacht ausfällt, gab es erste positive Reaktionen aus dem Finanzsektor. Der Vorstandschef des weltgrößten Rückversicherers, der Münchner Rück, Nikolaus von Bomhard, sprach von einer kurz- und langfristig "sinnvollen Entscheidung".

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Nils Naumann