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Hunger in reichen Staaten

7. November 2011

Hunger ist ein Problem der Entwicklungsländer, aber auch in reichen Industriestaaten gibt es Hunger, verursacht durch Armut. In der EU ist jedes fünfte Kind von Armut bedroht.

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Ein Obdachloser mit einer Schild mit der Aufschrift 'Für das Leben' bittet in München um Geld (Foto: dpa)
Ohne Obdach: Ein Bettler in MünchenBild: dpa

Hunger gibt es in den relativ wohlhabenden Staaten der Europäischen Union nur in geringem Umfang. Es gibt aber durchaus Menschen, die dauerhaft unterernährt oder fehlernährt sind. Das betrifft vor allen Dingen Menschen, die keine Wohnung haben und auf der Straße leben. Ihre Zahl ist klein, verglichen mit den 500 Millionen Menschen, die insgesamt in der Europäischen Union leben. Nach unsicheren Schätzungen sind zwischen 100.000 und einer Million Menschen in der EU ohne Obdach. Erst im September hatte das Europäische Parlament erneut gefordert, die Obdachlosigkeit in Europa bis zum Jahr 2015 zu beseitigen.

Weiter verbreitet, als viele denken, sind Armut und Vernachlässigung, die nicht direkt zu Hunger, wohl aber zu sozialer Ausgrenzung und zu mangelnder Bildung führen. Nach Angaben der EU-Kommission sind 20 Prozent der Kinder in der EU von Armut bedroht. In Deutschland liegt diese Zahl etwa bei 16 Prozent.

Hungrig und arm

Mittagstisch des Kinderschutzbundes in Schwerin
Schwerin: Mittagessen in der ArmenkücheBild: picture-alliance/ dpa

Einige dieser Kinder gehen zum Beispiel in Schwerin morgens mit leerem Magen zur Schule. Um sie kümmert sich in einer speziellen Armenküche der ehrenamtliche Helfer Peter Grosch. "Hunger bei Kindern gibt es wirklich", erzählt Peter Grosch in einer ARD-Fernsehdokumentation.

"Wenn ich zum Beispiel an einen Direktor einer Schule denke. Der hat uns berichtet, dass Kinder morgens in die Schule kommen ohne Frühstück, und dass sie ja bis 16 Uhr am Schulleben teilnehmen müssen ohne irgendwelche Nahrung", so Peter Grosch in der ARD. Ob sie dann zu Hause etwas zu essen vorfinden, sei dann auch noch fraglich. Wenn die Armenküche solche Kinder versorgen müsse, dann sei das eigentlich eine Schande für das an sich reiche Land.

Roma oft von Armut betroffen

Abgeschobene Roma aus Frankreich stehen vor ihrem Haus in Rumänien
Zu Zehnt in einer Hütte: Roma in RumänienBild: picture alliance/dpa

Als arm gilt in der Europäischen Union, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient. Diese Definition ist mit der Begriffsbestimmung, die in Entwicklungsländern gilt, nicht zu vergleichen. Eine größere geschlossene ethnische Gruppe, die in der EU von Armut betroffen ist, sind die Roma. In Osteuropa leben sie oft in verwahrlosten, Ghetto-artigen Siedlungen. Der zuständige Sozial-Kommissar Lazlo Andor gab im Mai 2011 unumwunden zu: "Millionen von Roma leiden unter wirtschaftlicher und sozialer Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus." In Ungarn etwa lebt eine Roma-Familie mit zwei Kindern von 200 Euro im Monat, der Vater, Janos Gizella, hat kaum eine Chance, eine reguläre Arbeit zu finden. "Die Situation ist chaotisch. Ich denke immer, es gibt keinen Ausweg. Es ist hoffnungslos."

In der Slowakei kam es 2004 sogar zu Plünderungen in Supermärkten. Hungrige Roma-Familien sahen keinen anderen Weg, sich Nahrung zu beschaffen. EU-Kommissar Lazlo Andor will die Lage der Roma und anderer armer Menschen in der EU entscheidend verbessern, kündigte er mehrfach an. Noch ist seine Bilanz aber eher düster. "Die Zahl der Menschen in Armut hat sich in den letzten Jahren nicht verringert, sie ist im Gegenteil gestiegen. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise sind etwa 80 Millionen Menschen in der EU in der Gefahr, arm zu bleiben oder zu werden", so Lazlo Andor auf einer Fachtagung der EU. Bis zum Jahr 2020 sollen 20 Millionen der rund 80 Millionen von Armut bedrohten Menschen sich wieder selbst erhalten können, verspricht die Europäische Union.

Arbeit ist der Schlüssel

Warteschlange vor Arbeitsamt in Madrid
Schlangen vor einem Arbeitsamt in Madrid: 20 Prozent sind ohne Job - die höchste Rate in WesteuropaBild: AP

Entscheidend für eine Verbesserung der Lage ist eine Rückführung der Arbeitslosigkeit. Zurzeit sind rund 23 Millionen Menschen in der EU ohne Job, rund sieben Millionen mehr als vor der Wirtschafts- und Finanzkrise. In 20 der 27 EU-Mitgliedsländer ist das Armutsrisiko für Kinder aus Familien ohne Erwerbstätige besonders hoch. Nicht nur in den neuen Mitgliedsstaaten, auch in reichen Industriestaaten wie Italien, grassiert die Armut.

Am Bahnhof Termini in Rom lagern Dutzende von obdachlosen Jugendlichen. Dort arbeitet Fabrizio als Sozialarbeiter. Auch für ihn ist es entscheidend, den Jugendlichen irgendwie einen Job zu verschaffen, damit sie sich wieder eine Wohnung leisten können. Verhungern müsse natürlich niemand: "Wenn man Menschen ihre Arbeit und ihr Heim nimmt, dann verlieren sie nicht nur ihr Dach über dem Kopf, sondern jeden Schutz. Sie verlieren alles", sagt Fabrizio in einer Dokumentation der EU-Kommission.

Finanzkrise verschärft das Problem

Lazlo Andor
Lazlo Andor, EU-Kommissar für SozialesBild: AP

Für den zuständigen Sozialkommissar Lazlo Andor ist klar, dass es innerhalb der EU ein klares Armutsgefälle gibt: Je weiter nördlich oder westlich in Europa, desto besser ist Lage auch der ärmeren Bevölkerung. Die ärmsten Gegenden der EU sind das östliche Polen, Bulgarien und Rumänien sowie Teile der Slowakei. "In einigen Mitgliedsstaaten haben die Bedürftigen keinen Zugang zu Hilfe oder sie nehmen ihre Ansprüche nicht wahr. Andere sind von Zuwendungen abhängig, die es nicht möglich machen, aus der Armut herauszukommen", so Lazlo Andor.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise zwingt viele Staaten dazu, ihre Sozialleistungen einzuschränken. Das wird die Armen und Notleidenden besonders hart treffen, befürchtet der EU-Sozialkommissar. Die EU verteilt überschüssige Nahrungsmittel aus der Überproduktion der europäischen Landwirtschaft über Suppenküchen an Bedürftige. Diese Mittel wurden jedoch vor einigen Wochen drastisch gekürzt, weil die Nahrungsmittelspenden rechtlich als unzulässige staatliche Subventionen angesehen werden.

Armut in den USA steigt

Relativ gut gekleidete Amerikaner essen in einer Suppenküche
Verarmende Mittelschicht: Suppenküche in den USABild: AP

Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA nehmen Fehlernährung und Armut zu. Nach Angaben der Organisation "Feeding America", die 200 Armenküchen in allen 50 Bundesstaaten betreibt, können 37 Millionen Amerikaner ihre Ernährung nicht ausreichend sicherstellen und sind deshalb auf staatliche Hilfe oder gemeinnützige Organisationen angewiesen. Seit 2005 hat sich die Zahl der Menschen, die von "Feeding America" mit versorgt werden, fast verdoppelt. Bei etwa einem Drittel der Hilfsbedürftigen ist die Möglichkeit, Essen zu besorgen so gering, dass von zeitweisem "Hunger" gesprochen werden müsse, so "Feeding America" in Chicago.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Matthias von Hein