1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Tunesien Militär

11. Oktober 2011

Die arabischen Revolutionen zeigen: Armeen können Bürger unterdrücken, aber auch Diktatoren stürzen. Ein deutsch-tunesisches Seminar in Tunis brachte Offiziere und Experten zusammen.

https://p.dw.com/p/12pw7
Syrische Truppen stürmen Widerstandshochburg Daraa (Foto: dapd)
Unterdrückungsinstrument des Staates: syrische Truppen gehen gegen Widerständler vorBild: dapd

Die Sitzordnung in dem Konferenzraum im Norden von Tunis ist symbolträchtig. Den Kern bildet die Zivilgesellschaft, vertreten durch Rechtswissenschaftler, Sicherheits-Fachleute und Politikexperten. Drumherum gruppieren sich Angehörige aus tunesischer Marine, Luftwaffe und Heer. Man beäugt sich interessiert. So viel Tuchfühlung ist selten. Klaus D. Loetzer ist hochzufrieden. "Hier wird Geschichte gemacht - das ist das erste Mal, dass Zivile und Militärs direkt und öffentlich miteinander sprechen", betont der Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung, die die Tagung zusammen mit dem Zentrum für Mittelmeerstudien organisiert hat. Thema ist die "Entwicklung der arabischen Armeen nach der Revolution". Der tunesische Verteidigungsminister schaut kurz vorbei, zwei Admirale sind gekommen, ebnenso viele höhere Offiziere.

Der Untertitel der Veranstaltung "Hin zu einer demokratischen Verwaltung und Kontrolle" sorgt zunächst für einigen Unmut unter den Offizieren. "Man muss sich natürlich fragen", sagt Chafik Said, Juraprofessor an der Universität Tunis, "inwieweit eine Armee, die auf Befehl und Gehorsam gegründet ist, überhaupt demokratiefähig ist." Die Uniformierten grummeln, ein Oberst greift nach dem Mikrofon und sagt, dass ihm hier zu viel über die angeblichen Demokratiedefizite des Militärs geredet wird. "Wir sind doch am ehesten dazu in der Lage, zu verstehen, was Demokratie ist", sagt er erregt. "Das beste Beispiel dafür ist doch, dass wir unseren Präsidenten weggejagt haben."

Türkei oder Deutschland als Vorbild?

Tunesische Soldaten im Gespräch mit Bürgern (Foto: dpa)
Zeigen Bürgernähe: tunesische SoldatenBild: picture alliance/dpa

Das tunesische Militär ist tatsächlich eines der am wenigsten belasteten in der arabischen Welt. "Die Armee hat sich immer der Politik untergeordnet", sagt Rechtswissenschaftler Said. Auch in Ägypten hatte sich das Militär auf die Seite der Protestbewegung gestellt, aber aus ganz anderen Motiven. "Dort war die Armee eine der Säulen der Macht und hat lieber Hosni Mubarak geopfert, als sich selbst verdrängen zu lassen", stellt Eduard Soler vom Zentrum für Internationale Studien und Dokumentation in Barcelona fest. Beide Länder haben Wehrpflichtarmeen - auch dies habe den Befehlshabern erschwert, auf die eigene Bevölkerung schießen zu lassen. Im Kontrast dazu steht die Repression in Syrien: Die oberen Ränge des Militärs sind - ebenso wie in der Politik - vornehmlich mit Angehörigen der alawitischen Minderheit besetzt, der auch Präsident Bashar Al-Assad angehört. Die Armee ist eines der wichtigsten Unterdrückungsinstrumente des Staates.

Wo es so unterschiedliche Voraussetzungen gibt, können keine einfachen Antworten folgen. Was lässt sich aus dem Beispiel der Türkei lernen, wo sich das Militär als Hüter der Verfassung sieht, aber selbst nicht demokratisch legitimiert ist? Und ist vielleicht sogar das deutsche Modell des "Staatsbürgers in Uniform" auf die arabische Welt übertragbar? Phillipe Droz-Vincent, Verfassungsrechtler aus Bordeaux, verweist in diesem Zusammenhang auf die Lehren aus den unterschiedlichen Militärdiktaturen in Südamerika: "Wenn die demokratischen Kontrollen nicht gut funktionieren, schlittert man sofort in die nächste Krise". Die Experten und Militärs diskutieren angeregt darüber, unter welchen Bedingungen Armeen grundsätzlich am ehesten bereit wären, sich demokratisch kontrollieren zu lassen - und welche Strukturen dafür nötig wären.

Nicht am Tisch: die Polizei

Diskussion in Tunis: tuneische und europäische Armeeangehörige (Foto: Heiner Kiesel)
Diskussion in Tunis: tunesische und europäische Armeeangehörige und ExpertenBild: Heiner Kiesel

Der spanische Experte Eduard Soler macht am Beispiel Tunesien auf einen weiteren, schwierigen Machtfaktor aufmerksam: "Die Tunesier haben eine völlig überdimensionierte Polizei". Deren Reform sei weitaus wichtiger als die der Armee - und auch heikler: "Das ist ein gefährliches Problem. Und wenn wir hier Erkenntnisse am Beispiel der Streitkräfte gewinnen, dann machen die noch mehr Sinn in Bezug auf die Sicherheitskräfte im Innern", so Soler. Die aber werden wohl noch eine Weile brauchen, bis sie bereit sind, sich mit Vertretern der Zivilgesellschaft an einen Tisch zu setzen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat bereits Interesse signalisiert, auch dies zu organisieren.

Autor: Heiner Kiesel
Redaktion: Rainer Sollich