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Anti-Roma Demonstrationen in Bulgarien

28. September 2011

Seit Tagen versammeln sich tausende Menschen zu Anti-Roma Protesten in ganz Bulgarien. Auslöser: Der Tod eines 19-Jährigen, der von einem Roma überfahren wurde. Politiker bangen nun um den ethnischen Frieden im Land.

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Randalierer vor dem brennenden Haus vom Roma-Klan Raschkov (Quelle: EPA/VASSIL DONEV +++(c) dpa - Bildfunk+++
Eine aufgebrachte Menge zündete das Haus von Zar Kiro anBild: picture-alliance/dpa

Ein Kriminalfall, an dem Roma und Bulgaren beteiligt waren, ließ die seit Jahren angestaute ethnische Spannung in Bulgarien wieder hoch kochen. In dem kleinen Dorf Katunitsa in Süd-Bulgarien wurde am vergangenen Freitag (23.09.2011) der 19-jährige, slawischstämmige Angel Petrov überfahren. Am Steuer des Minibusses saß ein Mitglied des Roma-Clans um Kiril Raschkov, genannt auch "Zar Kiro" (König Kiro). Dem Vorfall sei ein Streit zwischen der Familie des getöteten Jungen und dem Roma-Baron vorausgegangen, berichten Augenzeugen.

Kiril Raschkov ist der reichste Mann in Katunitsa und in ganz Bulgarien bekannt. Sein Vermögen verdankt er nach Berichten von Medien und Einwohnern illegalen Geschäften, unter anderem mit schwarz gebranntem Alkohol. Dafür musste er sich aber bislang nie vor Gericht verantworten. Kiril Raschkov habe außerdem ungestraft seit Jahren das Dorf terrorisiert, klagen die Einwohner.

Gewaltsame Demonstrationen

Menschen bei der Trauerfeier für den getötetetn Angel Petrov (AP Photo/Valentina Petrova)
Die Beerdigung von Angel Petrov in Katunitsa sollte ungestört bleibenBild: AP

Der Tod von Angel Petrov hat die Menschen von Katunitsa aufgebracht. Sie versammelten sich vor den Häusern der Roma-Familie und zündeten sie an. Fußballhooligans aus dem benachbarten Plovdiv, der zweitgrößten Stadt Bulgariens, schlossen sich den gewaltsamen Ausschreitungen an. Es kam zu Auseinandersetzungen mit den angerückten Polizisten. Dabei starb ein 16-jähriger Junge, angeblich an Herzversagen. Fünf Menschen wurden verletzt, etwa 130 Randalierer festgenommen. Gegen einige der Festgenommenen wurden schnell erste Strafen erlassen.

Damit aber fingen die Spannungen erst an. Menschen aus dem ganzen Land fanden sich auf Facebook zusammen und organisierten Gruppen zur Unterstützung der Einwohner von Katunitsa. Der virtuelle Protest übertrug sich schnell auf die Straße. Tausende versammeln sich seitdem in den Großstädten. Vor allem Jugendliche, darunter viele Minderjährige, ziehen wiederholt mit rassistischen und nationalistischen Parolen wie "Zigeuner zu Seife" oder "Alle Zigeuner raus" durch die Straßen und liefern sich Gefechte mit der Polizei. Hunderte von Menschen wurden bisher verhaftet.

Kein Beispiel für den ethnischen Frieden

Bulgarien, in dem große türkische und Roma-Minderheiten leben, stellt sich selbst gern als Beispiel für den ethnischen Frieden auf dem Balkan dar. Jetzt scheint aber dieser Frieden gefährdet. Tatsache ist, dass die Ressentiments gegen die Roma-Minderheit schon seit mindestens zwei Jahrzehnten stetig ansteigen. Und Vorfälle wie der in Katunitsa führten dabei immer wieder zu ethnischen Spannungen auf lokaler Ebene, sagt die Soziologin Anna Mantarova. Sie hat sich mit dem Thema in mehreren Studien beschäftigt.

Nach dem Vorfall in Katunitsa sehe sich die Mehrheit der Bevölkerung in ihren Vorurteilen gegenüber den etwa 500.000 in Bulgarien lebenden Roma bestätigt, sagt sie: "Über 90 Prozent der slawischstämmigen Bulgaren glauben, dass die Roma auf Kosten des Staates leben wollen. Außerdem glauben fast genau so viele Menschen, dass die Roma die Gesetze nicht respektieren." Dazu kämen noch die ineffektiven Maßnahmen des Staates - die Kriminellen würden nicht zur Rechenschaft gezogen und könnten unbestraft weiter die Gesetze verletzen. "Der angestaute Frust projiziert sich jetzt auf diese eine ethnische Gruppe der Roma", sagt die Soziologin.

Der Graben wird tiefer

Dass ein Großteil der aufgedeckten Diebstähle, Einbrüche und Körperverletzungen von Roma begangen wurde, belegten Statistiken von 1998, als zuletzt die ethnische Zugehörigkeit von Kriminellen erfasst wurde, sagt Anna Mantarova. Das habe sich seitdem kaum geändert, auch wenn dazu keine Daten mehr erhoben würden. Gerade gegenüber diesen Verbrechen aber reagieren die Menschen am empfindlichsten, fügt die Soziologin hinzu. Auch die schwierigen Lebensverhältnisse in einem der ärmsten EU-Mitgliedstaaten trügen zu ethnischen Spannungen bei. Die Bürger seien dementsprechend besonders gereizt, wenn es um die Umverteilung von staatlichen Leistungen gehe – und die Roma-Minderheit lebt von solchen Leistungen.

Die Roma gehören zu den ärmsten Schichten der Bevölkerung, leben in desolaten Zuständen, oft ausgegrenzt in Ghettos. Um den existierenden Graben zwischen den slawischstämmigen Bulgaren und den Roma zu veranschaulichen, zitiert Anna Mantarova aus ihren Studien aus den vergangenen Jahren: "Acht von zehn Bulgaren fühlen sich von den Roma in einem gewissen Maße bedroht." Die Form des gewaltsamen Protests findet die Soziologin aber nicht adäquat.

Polizeikette im bulgarischen Dorf Katunitsa (Quelle: EPA/VASSIL DONEV +++(c) dpa - Bildfunk+++)
Massives Polizeiaufgebot soll die Eskalation der Gewalt verhindernBild: picture-alliance/dpa

Droht eine Eskalation?

Es gibt im Land durchaus friedliche Proteste, an denen Punks, Rocker, Fußballfans, Juppies sowie Mütter mit Kindern zusammen beteiligt sind. Diese Menschen sehen die Situation differenziert: "Ich glaube nicht, dass man hier zwischen Roma und Bulgaren unterscheiden muss, sondern zwischen Kriminellen und normalen Bürgern", sagt eine Demonstrantin in Sofia. Ein junger Mann gibt die Schuld für die Eskalation der Gewalt in Katunitsa der Gesetzlosigkeit im Land: "Und das schlimmste ist, dass wir dafür mit Menschenleben bezahlen."

Die Politiker versuchen die Situation einzudämmen. Der amtierende Staatspräsident Georgi Parvanov und der Premierminister Bojko Borissov, die selten einer Meinung sind, traten gemeinsam vor die Kameras und warnten vor einer Verschärfung der ethnischen Spannungen. Eine Eskalation würde das Land in die Isolation führen, betonte Borissov. Der stellvertretende Innenminister Vesselin Vuchkov appellierte zudem an die Vernunft aller politischen Kräfte im Lande: "Ich hoffe, dass alle Politiker, zumindest in diesem Fall, versuchen werden, auf der Höhe ihrer politischen Verantwortung zu handeln und den tragischen Vorfall für ihre Zwecke nicht zu missbrauchen."

Gemeint ist der Wahlkampf in Bulgarien, der gerade angelaufen ist. Am 23. Oktober sind die bulgarischen Bürger aufgefordert, einen neuen Präsidenten und neue Kommunalparlamente zu wählen.

Autorin: Blagorodna Grigorova
Redakteur: Alexander Andreev