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Wachstumsdebatte

25. September 2011

Wie lange können wir das bisherige Wachstumsmodell, das mit Umweltverschmutzung und Ressourcenverbrauch verbunden ist, aufrechterhalten? Reichen technische Innovationen aus, um die Probleme unserer Zeit zu lösen?

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Vor dem RWE Kraftwerk Niederaussem grasen Kühe (Foto: AP)
Ob das Gras den Kühen noch schmeckt?Bild: AP

Der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel vergleicht das Wachstum mit einem Medikament: "Der Kranke wird gerne zu diesem Medikament greifen, erwartet er doch von diesem Medikament Erleichterung seiner Leiden, vielleicht sogar Heilung."

Ein Medikament mit Nebenwirkungen

Prof. Meinhard Miegel, Vorstand des Denwerks Zukunft (links) und Prof. Karl-Heinz Paqué, Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft an der Uni Magdeburg (Foto: DW)
Warnt vor den Folgen des Wachstums: Prof. Meinhard Miegel (links)Bild: DW

Inzwischen sei klar, dass dieses Medikament mit sehr beachtlichen Neben- und Folgewirkungen verbunden sei. Nicht nur Seen und Flüsse seien verseucht, auch die Weltmeere drohten zu kippen. Miegel nennt ein weiteres Beispiel: "Die Fläche, die landwirtschaftlich nutzbar ist, schrumpft seit einiger Zeit. Die Versteppung, die Versalzung der Böden dehnt sich aus." Die Ernährungsgrundlage der Menschen sei heute wesentlich schlechter als vor einigen Jahren, wenn wir sie in die Zukunft projizieren und berücksichtigen, dass zwei Milliarden Menschen voraussichtlich bis 2050 noch hinzukommen werden, sagt Miegel auf einer Podiumsdiskussion bei der Deutschen Welle, die von der FDP veranstaltet wurde.

Er schließt daraus, dass das Wirtschaftswachstum, so wie wir es heute haben, nicht mehr Basis unseres Wohlstandes sein könne, "sondern es ist ambivalent im Bezug auf unseren Wohlstand. Es fördert und es mindert." Und niemand wisse derzeit so genau, ob die negativen Wirkungen dieses Wachstums zurzeit größer, genauso groß oder kleiner seien als die Segnungen des Wirtschaftswachstums.

Der Nutzen ist größer als der Schaden

Prof. Karl-Heinz Paqué von der Uni Magdeburg (Foto: DW)
Wir können nicht auf das Wachstum verzichten: Prof. Karl-Heinz PaquéBild: DW

Karl-Heinz Paqué von der Uni Magdeburg ist fest davon überzeugt, dass der Nutzen des Wachstums den Schaden bei weitem übersteigt. Schließlich habe vor allem in den letzten zwei, drei Dekaden ein zum großen Teil qualitatives Wachstum stattgefunden: "Wer würde noch gerne mit einer Schreibmaschine schreiben statt mit dem Computer? Wer würde gerne die viel stärker Umwelt verschmutzenden Autos fahren wie vor zwanzig Jahren?" fragt er und antwortet darauf: "Niemand! Mit anderen Worten: Die Produktpalette, die wir heute in Deutschland herstellen, ist erheblich umweltfreundlicher." Es sei nicht nur schnöder Konsum, der zugenommen hat, sondern hier habe es Innovationen gegeben.

Die Umweltbelastung und den Ressourcenverzehr durch das Wachstum streitet der Wirtschaftswissenschaftler nicht ab. Er leitet daraus die Forderung ab, stärker auf ein Wachstum des Wissens zu setzen: "Dieses zusätzliche Wissen brauchen wir dringend, erstens um unseren Wohlstand zu erhalten, wenn möglich, zu mehren. Zum Zweiten, um die Probleme, die mit dem Wirtschaften verbunden sind, in den Griff zu bekommen." Er sei durchaus optimistisch, Wohlstand auch mit einem ökologischen Gleichgewicht zu verbinden. Aber das gehe nur mit einem vernünftigen Wachstum, so Paqué weiter.

Die Preise müssen stimmen

Podiumdiskussion bei der Deutschen Welle. von links: Prof. Meinhard Miegel, Prof.Karl-Heinz Paqué, Moderator Henrik Böhme und Prof. Carl Christian von Weizsäcker (Foto: DW)
Für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung: Prof. Carl Christian von Weizsäcker (rechts)Bild: DW

Wachstum hin, Wachstum her. Dass viele Länder dieser Welt Wirtschaftswachstum brauchen, um Armut zu bekämpfen und einen menschenwürdigen Lebensstandard zu erreichen, gilt als unstrittig. Doch müssen die wenigen reichen Länder, die bisher 80 Prozent der Weltressourcen beansprucht und die Weltatmosphäre am meisten verschmutzt haben, weiter wachsen, obwohl sie bereits im materiellen Überfluss schwelgen? Für den Ökonomen Carl Christian von Weizsäcker stellt sich die Frage nicht nach "müssen", "können" oder "dürfen", für ihn steht die Freiheit des Individuums an vorderster Stelle. Das bedeute, dass die Frage, welches Einkommen dieses Individuum erziele im Rahmen dessen, dass es andere nicht schädige, von ihm entschieden werde und "damit die Frage, wie hoch das Sozialprodukt ist oder wie schnell das Sozialprodukt wächst", sagt von Weizsäcker.

Denn das Wachstum einer Volkswirtschaft sei die Summe des Wachstums der Einkommen der einzelnen Bürger. Doch jede freiheitliche Wirtschaftsordnung brauche auch Regeln, betont von Weizsäcker. Dazu gehören Wettbewerb, eine Rechtsordnung und ein Preissystem, das die Knappheitsverhältnisse der Ressourcen widerspiegelt. Der Wirtschaftswissenschaftler denkt da vor allem an die endlichen Ressourcen wie die fossilen Energieträger: "Man braucht die richtigen Preise für Öl, Kohle und Gas." Und wenn das Preissystem richtig austariert sei, das heißt, auch die ökologischen Preise richtig installiert würden, "dann ist ein solches freiheitliches System funktionsfähig und ist dann auch dasjenige System, das den größten Innovationsanreiz gibt, der wiederum zur Problemlösung beiträgt."

Autorin: Zhang Danhong
Redaktion: Henrik Böhme