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Beck Kosovo

16. September 2011

Laut Marieluise Beck, Mitglied der Deutsch-Südosteuropäischen Parlamentariergruppe, sollen Belgrad und Pristina in der Kosovo-Frage zunächst praktische Probleme lösen.

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Marieluise Beck, MdB, Bündnis 90/Die Grünen, im Porträt (Foto: Presse)
"Alles eine Frage von Verhandlungen", sagt Marieluise BeckBild: Presse

Das Kosovo hat vor drei Jahren seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Serbien erkennt diese jedoch nicht an. In Nord-Kosovo, wo eine kompakte serbische Minderheit lebt, wird die albanisch-dominierte Regierung in Pristina abgelehnt. Kosovo-albanische Behörden haben im Norden praktisch keinen Einfluss. Dem wollen die UN-Verwaltung und die EU-Rechtsstaatsmission EULEX im Kosovo ein Ende setzen.


DW-WORLD.DE: Frau Beck, wie schätzen Sie die Lage in Nord-Kosovo ein?

Marieluise Beck: Wir haben ja das Problem, dass sowohl auf Belgrader als auch auf der Seite von Pristina beide Regierungen nun darauf setzen, dass sie ihre Interpretation des Rechts und ihre Interpretation der Statusfrage durchsetzen. Und das wird ja immer durchaus auch der Bevölkerung durch Politik und Medien nahegebracht.

Wer oder welche Institution ist in der Lage, zwischen den Konfliktparteien - den Serben und Albanern - zu vermitteln?

Dass es Vermittlungsmöglichkeiten gibt - auch durch die internationalen Institutionen - sieht man am besten in den serbischen Enklaven im Süden von Kosovo. Auch dort haben wir serbische Minderheitsbevölkerung, von der man davon ausgehen könnte, dass sie sich ähnlich massiv wehrt, wie weite Teile der serbischen Bevölkerung im Norden des Kosovo. Das tun sie aber nicht mehr, weil sie doch gesehen haben, dass über Gewährung von Minderheitenrechten ihre Situation in einem Staat, einem souveränen Kosovo, durchaus so ist, dass man dort leben kann. Und dass diese Situation im Norden nicht hergestellt werden kann, hängt damit zusammen, dass dort mächtig geheizt wird in Richtung nationalistischer Gefühle.

Welche Lösungen sehen Sie für Nord-Kosovo?

Im Augenblick ist von einer abschließenden Lösung, glaube ich, nicht zu sprechen. Klar muss sein, dass es keine Verschiebung von Grenzen geben wird. Das wird auf dem Balkan eine Büchse der Pandora öffnen, die niemand wieder zubekommt. Und dass im Bezug auf das Kosovo die Unabhängigkeit entschieden worden ist, hat alleine damit zu tun, dass unter Milosevic dieses Volk so unterdrückt worden ist, dass man eine Rückkehr unter das serbische Dach diesem Volk nicht mehr zumuten konnte. Aber alles andere sind jetzt Fragen von Verhandlungen, Autonomierechten, Minderheitenrechten und auch eine Frage, wie durchlässig werden Kosovo und Serbien als Staaten. Wir haben ja in Deutschland Erfahrungen mit zwei Staatsgebilden, die sich gegenseitig nicht anerkennen wollten, nämlich die DDR und die Bundesrepublik Deutschland. Der deutsche Diplomat (und Kosovo-Beauftragter der EU bei den Statusverhandlungen – Anm. d. R.) Wolfgang Ischinger hat in den Kosovo-Verhandlungen immer wieder vorgeschlagen, man möge doch einmal dieses Modell sich anschauen. Also nicht mit der hoch aufgeladenen symbolischen Frage der Souveränität beginnen, sondern mit der Klärung der praktischen Fragen. Das wäre, wenn man sich einigen will, ein guter Weg für Serbien und Kosovo.

Das haben Belgrad und Pristina dann auch gemacht, und dann kam auch bei einer der ersten Einigungen, als es um die Zollstempel ging, auch schon der erste Konflikt.

Das heißt, aber dass es immer - nach wie vor - Kräfte gibt, die sich mit der Situation, wie sie entstanden ist, nicht zufrieden geben wollen. Das ist das, was ich mit "heizen" bezeichne. Wenn immer wieder symbolische Fragen aufgeladen werden und zu nationalistischen Auseinandersetzungen führen, dann ist ein Einigungswille nicht da. Das heißt, erst einmal muss die Bereitschaft da sein, Konflikte nicht mehr auf die Spitze zu treiben.

Aber das muss doch bis in die Bevölkerung vermittelt werden.

Die Bevölkerung hat zum Teil ihren eigenen Kopf, aber ist auch nicht unabhängig von dem, was ihr erzählt wird. Ich habe auf meiner letzten Reise junge, serbische Studenten aus dem Norden des Kosovo getroffen, die mir ganz ernsthaft gesagt haben, sie könnten sich überhaupt nicht vorstellen, in einem kosovarischen Staat zu leben. Ich glaube, westliche Demokratien haben gezeigt, dass auch für Minderheiten das Leben in einem demokratischen Staat durchaus angenehm sein kann und dass wir sowieso zunehmend in multiethnischen Staaten leben. Mit solchen vernünftigen Beispielen sollte man sich auseinandersetzen, statt nationalistische Gefühle anzuheizen, hinter denen immer noch mal andere Interessen stehen.

Mit welchen Eindrücken sind Sie von Ihrer letzten Reise ins Kosovo Ende August, als der Grenzkonflikt dort noch schwelte, wiedergekommen?

Dass das Wichtigste, meines Erachtens, Zeit ist, die wirken kann, wenn die Bereitschaft zur Einigung da ist. Wenn allerdings aus verschiedensten Gründen Fragen auf die Spitze getrieben werden, insbesondere um symbolhafte Fragen einer Entscheidung zuzuführen, dann wird es immer ein kalter Friede sein, der über Nacht durch kleine Explosionen wieder in eine heiße Auseinandersetzung ausbrechen kann.

Was meinen Sie mit symbolhaften Fragen?

Entscheidungen, bei denen man weiß, sie sind symbolisch. Also die Frage: Ist Kosovo wirklich ein souveräner Staat - ja oder nein? Das ist eine dieser Fragen, die man zu einer Gretchen-Frage, zu einer Entscheidungsfrage hochstilisieren kann, statt jetzt zu sagen, wir haben unterschiedliche Interpretationen in Belgrad und in Pristina. Wir versuchen jetzt aber trotzdem im Interesse der Menschen und im Interesse von Stabilität und Frieden, praktische Lösungswege zu finden.

Das Interview führte Mirjana Dikic
Redaktion: Robert Schwartz