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Türkei sucht Rolle als Führungsmacht

14. September 2011

Der türkische Ministerpräsident Erdogan besucht Ägypten, Tunesien und Libyen. Die Rundreise soll den türkischen Anspruch auf eine Führungsrolle in der Region festklopfen.

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Hussein Tantawi, Chef des regierenden Militärrates in Ägypten, begrüßt den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan (Foto: AP)
Hussein Tantawi (r.), Chef des regierenden Militärrates in Ägypten, begrüßt ErdoganBild: dapd

Als Recep Tayyip Erdogan am Dienstagabend (13.09.2011) im Hauptquartier der Arabischen Liga in Kairo zum Rednerpult schritt, hätte man meinen können, einen feurigen Revolutionär vor sich zu haben. Von "mehr Freiheit, Demokratie und Menschenrechten" sprach er, von Diktaturen, die legitime Forderungen ihrer Bevölkerung brutal unterdrücken.

Der türkische Ministerpräsident Erdogan bei seiner Rede vor der Arabischen Liga (Foto: AP)
Der türkische Ministerpräsident Erdogan bei seiner Rede vor der Arabischen LigaBild: dapd

Dass seine Regierung lange Zeit eben solche Regime stützte und den Umbruch in der Region fast verschlafen hätte, erwähnte Erdogan lieber nicht. Der türkische Premier präsentierte sich in der ägyptischen Hauptstadt als Freund des Arabischen Frühlings und als Anwalt der Palästinenser. Dahinter stehen politische und wirtschaftliche Interessen Ankaras, die von Erdogan energisch vorangetrieben werden. Und das gefällt längst nicht allen in der Region.

Neue Osmanen?

Als westliche Demokratie und Marktwirtschaft mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit ist die Türkei in den vergangenen Monaten immer wieder als Vorbild für die Zukunft der Nahost-Staaten nach dem Ende der Diktaturen genannt worden. Die Türken fühlen sich geschmeichelt -und versuchen, ihr Image eines modernen Staates, dem die Synthese von Islam und Demokratie gelungen ist, in politische und wirtschaftliche Erfolge umzumünzen. Es ist kein Zufall, dass fast 300 türkische Unternehmer zusammen mit Erdogan auf die Rundreise nach Nordafrika gingen.

Übersichtskarte Länder des Nahen Ostens Türkei, Zypern, Syrien, Libanon, Irak, Iran Israel, Palästinänsische Autonomie Gebiete, Jordanien, Kuwait, Ägypten, Saudi Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Jemen, Oman (Karte: DW/Peter Steinmetz)
Die Türkei als Brückenkopf zur Arabischen Welt

Kritiker werfen der türkischen Regierung vor, sie betreibe eine "neo-osmanische" Außenpolitik, die sich an der Jahrhunderte währenden Herrschaft der Sultane im Nahen Osten orientiere. Sahin Alpay, Politologe in Istanbul, hält den Osmanen-Vorwurf für verfehlt. "Die sind ja nicht blöd", sagt Alpay über die türkischen Regierungspolitiker, denen sehr wohl bewusst sei, dass imperiale Nostalgie keinen neuen Einfluss sichere.

"Entscheidend ist die Wirtschaft"

Die regionalen Ambitionen der Türkei basieren auf dem kühl kalkulierten Bestreben, politische Interessen besser durchzusetzen und der türkischen Wirtschaft neue Wachstumsmärkte zu sichern. "Entscheidend ist die Wirtschaft", sagt Alpay. Im vergangenen Jahr ging fast ein Drittel der türkischen Exporte nach Nahost und Nordafrika. Die Ausfuhren sind wegen der politischen Unruhen in der Region zwar zuletzt gesunken. Aber die Geschäftsleute in Erdogans Tross wollen sicherstellen, dass ihre Unternehmen dabei sind, wenn es wieder aufwärts geht.

Politisch hat Erdogan auf seiner Reise mehrere Ziele. Langfristig geht es für ihn darum, die Türkei zu einer Art Mentor der neuen Regierungen zu machen. Schließlich ist er der erste Regierungschef eines großen Landes, der die drei wichtigsten Länder des Arabischen Frühlings bereist.

Israel am Pranger

Kurzfristig will sich Erdogan bei seiner Rundreise neue Verbündete für seine international umstrittene harte Haltung gegenüber Israel sichern. In Kairo unterstrich er, es gebe für ihn keinen Unterschied zwischen den neun türkischen Aktivisten, die beim israelischen Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte im vergangenen Jahr starben, und den fünf ägyptischen Beamten, die kürzlich bei der Verfolgung von radikal-palästinensischen Attentätern durch Israel ums Leben kamen.

Anti-israelische Demonstration in Istanbul im Juni 2010 (Foto: AP)
Anti-israelische Demonstration in Istanbul im Juni 2010Bild: AP

Offen hatte Erdogan vor seiner Reise von dem Wunsch gesprochen, über Ägypten in den Gaza-Streifen zu reisen. Vorbehalte der Ägypter und von Palästinenserpräsident Abbas hielten ihn davon ab. Um so nachdrücklicher warb Erdogan in Kairo um die Unterstützung für den kommende Woche anstehenden Antrag der Palästinenser auf Anerkennung durch die UN.

Nicht alle sind begeistert

Doch so beliebt wie bei den Bevölkerungen mancher arabischer Staaten, die Erdogan vor allem wegen dessen Israel-Politik wie einen Popstar verehren, ist der türkische Premier bei den Regierungen in der Region nicht. Arabische Staaten beobachten das türkische Streben nach einer Führungsrolle mit Misstrauen, selbst wenn dadurch der Einfluss des vielerorts gefürchteten Regimes im Iran schwindet.

Die politischen Umwälzungen, die von Erdogan in den höchsten Tönen gelobt werden, sind so manchem arabischen Herrscher unheimlich. Insbesondere die Regierungen in Saudi-Arabien und am Golf seien "bestürzt über den Arabischen Frühling und auch bestürzt über den türkischen Einfluss", sagt Alpay. Am Rednerpult in Kairo vermittelte Erdogan den Eindruck, dass ihm das reichlich egal ist.

Autor: Thomas Seibert, Istanbul
Redaktion: Daniel Scheschkewitz