1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Chaos Computer Club wird 30

12. September 2011

Im Dschungel der IT-Technik hat sich in Deutschland der Chaos Computer Club (CCC) einen Namen gemacht. Die Organisation, die sich vom Hacker-Club zu einem Expertengremium wandelte, ist nun schon 30 Jahre alt.

https://p.dw.com/p/12UhN
Logo Chaos Computer Club
Das Logo des CCC, der "Chaosknoten"

Die Älteren können sich noch daran erinnern: Es gab einmal eine Welt ohne Internet. Dabei gab es durchaus schon Computer. Die hießen Commodore C 64 oder Atari. Sie hatten Rechenleistungen, die heute selbst vom kleinsten Mobiltelefon übertroffen werden.

Wau Holland (Foto: dpa)
Prägte den CCC fast zwei Jahrzehnte: Hackerlegende Wau HollandBild: picture-alliance/dpa

Drei Jahrzehnte ist das her. Doch den klügeren Köpfen unter den technikinteressierten Zeitgenossen dämmerte schon damals, welche Rolle die Informationstechnologie einmal spielen würde. Und einige dieser Köpfe aus dem links-alternativen Spektrum taten sich zusammen: Im September 1981 erschien im Kleinanzeigenteil der Zeitung "taz" ein Aufruf zu einem Treffen in Berlin am 12.09.: "Damit wir als Komputerfrieks nicht länger unkoordiniert vor uns hinwuseln", wie es in dem Text hieß. Tatsächlich fanden sich an jenem Samstag rund zwei Dutzend Leute in den Redaktionsräumen der "taz" ein und diskutierten laut Protokoll über "alternative Komputerspiele" oder die "Entmystifizierung des Komputers durch Aufklärung".

"Dass so viele Leute kommen würden, war ein Zeichen, dass es die richtige Idee zur richtigen Zeit gewesen war", meint Klaus Schleisik im Rückblick. Heute baut Schleisik elektronische Geräte für seismische Meeresforschung. Damals hat er als "Tom Twiddlebit" die Anzeige geschaltet, gemeinsam mit drei anderen – darunter Wau Holland. Der genialische Computer-Anarchist sollte über eineinhalb Jahrzehnte lang als Vorsitzender den Chaos Computer Club prägen, bis zu seinem Tod mit nur 49 Jahren 2001. Schleisik wollte eher ein politisches Aktionsbündnis. Wau Holland aber kam aus einer Ecke, "wo es darum ging, wie man Schlösser öffnet, wie man Telefone kostenlos benutzen kann", erinnert sich Schleisik. "Und daher kam diese ganze merkwürdige halbseidene Hackeratmosphäre."

Der legendäre "Btx-Hack"

Gerade als Hacker sollten die Leute vom Chaos Computer Club Bekanntheit erlangen. Zum ersten Mal im November 1984 mit dem sogenannten Btx-Hack:

Bildschirmtext-Prototyp (Foto: dpa)
Der Btx-Hack erschütterte den Glauben in die Sicherheit des SystemsBild: picture-alliance/dpa

Btx steht für Bildschirmtext, einen in den 1980er Jahren von dem damaligen Monopolunternehmen Bundespost betriebenen Datendienst. Hacker aus dem Umfeld des Computer-Clubs hatten sich die Zugangsdaten und das Passwort für den Btx-Zugang der Hamburger Sparkasse beschafft. Damit loggten sich die Hacker ins Btx-System ein und riefen eine Nacht lang immer wieder eine kostenpflichtige Seite des Chaos-Computer-Clubs auf. Am nächsten Morgen waren 135.000 D-Mark vom Konto der Sparkasse auf das des Hacker-Clubs gewandert. Der Chaos Computer Club machte die Sicherheitslücke öffentlich und gab das Geld zurück. Der CCC hatte sich einen Namen gemacht - und einen Todfeind: Die Bundespost.

"Datenschleuder" fürs Verfassungsgericht

Constanze Kurz (Foto: bundestag.de)
Trägt das CCC Know-How in die Gesellschaft: Sprecherin Constanze KurzBild: Kurz

Nach 30 Jahren ist der Chaos Computer Club inzwischen als Expertengremium geschätzt. Seine Sprecherin Constanze Kurz sitzt in der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestags. Sowohl Kurz als auch ihr Sprecher-Kollege Frank Rieger schreiben regelmäßig über digitale Technik in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Für Klaus Schleisik "ist der Chaos Club in der Mitte der Gesellschaft angekommen" – und zwar seitdem das Bundesverfassungsgericht die "Datenschleuder" abonniert hat.

Seit 1984 gibt der Chaos Computer Club sein "wissenschaftliches Fachblatt für Datenreisende" heraus, wie sich das Vereinsblatt "Datenschleuder" im Untertitel nennt. Schon in der ersten Ausgabe hieß es kämpferisch: "Wir stinken an gegen die Angst- und Verdummungspolitik in Bezug auf Computer sowie die Zensurmaßnahmen von internationalen Konzernen und Postmonopolen". Passend dazu wurde Hardware für Hacker vorgestellt.

Inzwischen liegt die 94. Ausgabe der "Datenschleuder" vor - und gleich im ersten Satz des Vorworts wird die Frage aufgeworfen, ob der Club inzwischen arriviert sei. Club-Initiator Schleisik ist jedenfalls stolz auf die Rolle, die der Chaos Computer Club inzwischen in der Gesellschaft einnimmt: "Weil der Club letztlich ein Zusammenschluss von Technik-Experten ist. Und wann immer hier eine Frage über Rechner auftaucht, dann ist es innerhalb des CCC sehr einfach, jemanden zu finden, der sich wirklich damit auskennt und dazu was Vernünftiges sagen kann."

Experten für Datensicherheit

Sandro Gaycken (Foto: Mirja Arndt)
Sandro Gaycken von der Freien Universität BerlinBild: Mirja Arndt

Hier sieht auch der Berliner Technikphilosoph Sandro Gaycken die Funktion des CCC: "Denn wir haben eigentlich keine unabhängigen, nicht-staatlichen, nicht-wirtschaftlichen Gremien, die sich mit den Belangen auseinandersetzen, die an das Internet und das digitale Zeitalter gestellt werden."

Der CCC hat zum Beispiel auf Schwächen bei der Verwendung von Wahlcomputern aufmerksam gemacht. Er hat Sicherheitslücken beim neuen digitalen Personalausweis offengelegt. Vor allem im Bereich Datenschutz hat sich der CCC einen Namen gemacht. Club-Experten wurden vom Bundesverfassungsgericht beim Verfahren um die sogenannte Vorratsdatenspeicherung Anfang 2010 angehört.

Technikphilosoph Gaycken sieht hier sogar eine Ausstrahlung des CCC über Deutschland hinaus: "Wir haben im Datenschutz mit nicht unwesentlicher Hilfe des CCC einen sehr eigenen und festen Stand in Europa bekommen und damit auch in der Welt. Da gucken sehr viele drauf!"

Wie sehr der CCC seiner Zeit voraus ist, zeigt noch einmal ein Blick in die 27 Jahre alte erste Ausgabe der "Datenschleuder". Da wird in der Rubrik "Wusstet ihr schon" darauf hingewiesen, dass "an den ca. 8000 Großrechnern des Pentagon die ganze US-Rüstungsindustrie hängt und etwa eine Million Menschen zu 'geheimen' Daten Zugriff haben dürfen". Das erinnert doch sehr an die Vorgänge um die gestohlenen Botschaftsdepeschen der USA. Auch zu diesem vertraulichen Material hatten rund 800.000 Menschen Zugang - und heute die ganze Welt.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Hans Spross / Hartmut Lüning