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Klassenkampf am Kapitol

29. Juli 2011

Zahlreiche US-Bürger protestierten in Washington gegen den Sozialabbau. Auch für die Pläne konservativer Politiker, die Schuldenobergrenze nur zu erhöhen, wenn die Steuern unverändert bleiben, fanden sie deutliche Worte.

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Demonstranten in Washington (Foto: DW)
Gegen die Unfähigkeit des KongressesBild: DW

"Hier herrscht Krieg", ruft Ralph Randall, einer der 4000 zwangsbeurlaubten Mitarbeiter der staatlichen Luftverkehrsüberwachung FAA, und macht seinem Ärger Luft. Von Klassenkampf redet er, davon, dass einige "radikale Politiker" Krieg führen gegen die arbeitende Bevölkerung, Familien und Staatsbedienstete in den USA. "Sie würden diesen Staat eher bankrottgehen lassen, mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit treiben und das soziale Netz löchriger machen als gemeinsam Opfer zu bringen."

Der Zwangsurlaub von Randall und seinen Kollegen ist dem Kongress zu verdanken, der den Etat der Behörde auf Eis gelegt hat. So wie ihm, fürchten die Demonstranten vor dem Kapitol in Washington, wird es vielen Staatsbediensteten gehen, wenn dem US-Finanzministerium das Geld ausgeht.

Und die Uhr tickt. Wenn der US-Kongress dem Finanzministerium nicht erlaubt, mehr Schulden zu machen, kann die US-Regierung am nächsten Mittwoch (03.08.2011)nicht mehr alle Rechnungen bezahlen. Sie muss dann Prioritäten setzen: Die Schulden und Zinsen werden weiter abbezahlt, soviel ist klar, einen wirklichen Staatsbankrott wird es nicht geben.

Aber da für jeden Dollar Ausgaben nur 60 Cent vorhanden sind, müssen 40 Prozent des Etats eingespart werden. Das Finanzministerium legt fest, wen es trifft - Arme, Alte, Kranke? Das Militär? Um ihrem Ärger über den Stillstand im Kongress und den von den Republikanern geforderten Sozialkürzungen Luft zu machen, versammelten sich am Donnerstag zahlreiche besorgte Bürger vor dem Kapitol in Washington.

Qualitätsverlust im Gesundheitswesen?

Jane Nygaard (Foto: DW)
Jane M. Nygaard: Asuverkauf der StaatsbedienstetenBild: DW

Jane M. Nygaard ist eine der Demonstrantinnen. Sie war 35 Jahre lang staatliche Krankenschwester und ist Vizepräsidentin der Gewerkschaft der Regierungsangestellten in Minneapolis. "Meine größte Sorge ist, dass wir bald keine qualifizierten Staatsbediensteten mehr haben werden, was den Öffentlichen Dienst schlechter machen wird."

Ärzte und Krankenschwestern an den staatlichen Krankenhäusern, führt sie aus, machten ihre Sache gut und seien nicht überbezahlt. Aber, so fürchtet sie, "wenn die Gelder weiter eingefroren werden und diese Hetze auf Staatsbedienstete weiter geht, dann will das keiner mehr machen."

Die "Tea Party" ist Schuld an der Misere, darin sind sich hier viele einig. Die Rufe der Ultrakonservativen nach möglichst wenig Staatsausgaben und geringen Steuern beeinflussen die Gesetzespolitik der Konservativen. Vielen "Tea-Party"-Abgeordneten sind die Vorschläge der etablierten Republikaner zu liberal. Die Gräben sind tief, Kompromisse mit den Demokraten scheinen zunehmend unmöglich.

Unklarheit schürt Angst

Doch nicht nur Staatsbedienstete machen sich Sorgen. Rentner, Arbeitslose, Studenten, Sozialhilfeempfänger, jeder, der staatliche Hilfe in irgendeiner Form bezieht, könnte betroffen sein. Wer genau - darüber hüllt sich die Regierung noch in Schweigen. Jay Carney, Pressesprecher des Weißen Hauses, sagte am Donnerstag: "Wenn wir näher an den Termin kommen, wird das Finanzministerium erklären, wie es mit dieser eigentlich unmöglichen Situation umgehen wird." Mehr Details habe er nicht, sagt Carney.

Protestierender Student (Foto: DW)
Tyce Herman fürchtet, dass Kreditraten für Studenten steigenBild: DW

Tyce Herman studiert an der Stetson Universität in Florida. Er verdient sich sein Studium in der Hauptstadt, indem er für einen Klimaschutz-Blog schreibt. Auch er glaubt, bald von einer Zinserhöhung betroffen zu sein: "Noch habe ich keinen Studenten-Kredit aufgenommen, aber ich gehe bald auf eine juristische oder weiterführende Universität, und ich weiß, dass ich dafür einen Kredit brauche." Seine Sorge: Die Zinsen steigen und Kredite sind nur noch schwer zu bekommen.

"Besteuert die Reichen"

Wenn die USA Pleite gehen, sagt Tyce Herman, werde jeder betroffen sein: "Es ist wichtig, dass das Problem gelöst wird." Er fordert einen Plan mit Ausgabenkürzungen und mehr Steuereinnahmen. "Es geht um eine Lösung und nicht um Politik." Doch noch dominiert die politische Rhetorik. Die Republikaner lehnen jegliche Steuererhöhungen ab. Was die Menge hier vor dem Kapitol davon hält, macht einer der vielen Zwischenrufe deutlich: "Besteuert die Reichen!" ist der Schlachtruf.

Demonstrantin am Kapitol (Foto: DW)
In schwarz - nichts sollte von Susan Meehans Botschaft ablenkenBild: DW

Ganz in schwarz gekleidet ist die 73-jährige Susan Meehan an die Stufen des Kapitols gekommen - um nicht von ihrer Botschaft abzulenken und als besorgte Bürgerin zu sprechen. Als Mitglied des "radikalen Zentrums", wie sie nur halb im Scherz sagt. Auch sie selbst werde direkt von der drohenden Zinserhöhung betroffen sein, die unweigerlich eintritt, wenn die USA in ihrer Kreditwürdigkeit herabgestuft werden. "Mein Mann und ich renovieren gerade unser Haus und müssen deswegen refinanzieren - das wird erheblich teurer werden, um mindestens 25.000 Dollar."

Susan Meehan befürchtet, dass ihre Enkel noch die Folgen der derzeitigen Krise spüren werden. Sie wünscht sich, dass Präsident Obama ein Machtwort spricht und die Schuldenobergrenze im Alleingang erhöht. Öffentlich hat der Präsident das bisher abgelehnt. Auch einige Verfassungsrechtler erklären, Obama hätte das Recht, so den gordischen Knoten zu durchschlagen – als letzte Rettung. Aber irgendwie hofft man in Washington immer noch, dass die Vernunft siegt.

Autorin: Christina Bergmann, Washington
Redaktion: Rob Mudge