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Kein "kubanischer Frühling" in Sicht

20. Juli 2011

Ein Volksaufstand wie die Revolutionen in der arabischen Welt zeichnet sich in Kuba derzeit nicht ab. Dissidenten beklagen die Schwächung der Opposition durch Zwangsausweisungen.

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Ein Protestmarsch der 'Frauen in Weiß' durch Havanna wird durch Regimeanhänger niedergebrüllt (Foto: AP)
Ein Protestmarsch der "Frauen in Weiß" durch Havanna wird durch Regimeanhänger niedergebrülltBild: AP

115 kubanische Dissidenten sind aus der Haft entlassen worden, seit die katholische Kirche im Juni 2010 Verhandlungen mit dem Castro-Regime aufgenommen hat. Unterstützt wurden die Gespräche von der spanischen Regierung, die sich bereiterklärte, die entlassenen politischen Häftlinge aufzunehmen. Die Europäische Union (EU) hat die Ausreise der Oppositionellen mit mehr als 600 Familienangehörigen als diplomatischen Erfolg gefeiert und die kubanische Führung dazu aufgerufen, "weitere Schritte hin zur vollständigen Wahrung der Menschenrechte" zu unternehmen, so die EU-Außenrepräsentantin Catherine Ashton.

Zu den letzten politischen Häftlingen aus Kuba, die Anfang April frei kamen, zählt auch Néstor Rodríguez Lobaina, der Gründer der Kubanischen Jugendbewegung für Demokratie. "Für mich war es sehr schwer, das Land meiner Geburt zu verlassen. Es war keine freiwillige Entscheidung. Man hat mich gezwungen zu wählen zwischen weiteren fünf Jahren Haft oder dem Zwangsexil. Angesichts meiner angeschlagenen Gesundheit hatte ich keine andere Wahl, als mein Land zu verlassen", so Rodríguez Lobaina im Gespräche mit DW-WORLD.DE.

Der Kampf geht weiter

Nestor Rodriguez Lobaina, kubanischer Dissident, lebt im Exil in Spanien (Foto: DW/ Mirjam Gehrke)
Der kubanische Dissident Néstor Rodríguez LobainaBild: DW

Insgesamt zehn Jahre hat der heute 47-jährige Néstor Rodríguez in kubanischen Gefängnissen verbracht. Zuletzt hatte Amnesty International ihn als gewaltlosen Gewissenshäftling "adoptiert". Jetzt lebt er, gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter, im südspanischen Malaga. "Wir setzen den Kampf für Demokratie und Freiheit von hier aus fort", so der von der Haft gezeichnete Dissident. "Die Welt soll wissen, welchen Übergriffen, welchen Erniedrigungen, welchen Folterungen politische Häftlinge in Kuba ausgesetzt sind." Rodríguez Lobaina selbst ist während der Haft schwer misshandelt worden: Ein Kieferbruch und ein Schienbeinbruch waren die Folge von Schlägen und Tritten durch die Polizei; die psychischen Folgen einer Scheinerschießung haben unsichtbare Narben hinterlassen.

Grund für die zahlreichen Verhaftungen, Einschüchterungen, Hausdurchsuchungen und Misshandlungen ist sein ungebrochener Einsatz für Demokratie und Meinungsfreiheit in Kuba. Er hat immer wieder zu Protestmärschen aufgerufen und Unterschriften gesammelt - um, wie in der kubanischen Verfassung offiziell vorgesehen, eine Volksabstimmung über Gesetzesänderungen zu beantragen.

Nach Informationen der kubanischen Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung (CCDHRN) ist es allein im ersten Halbjahr 2011 zu über 1700 willkürlichen, vorübergehenden Verhaftungen gekommen. Die Verbreitung dieser Informationen hat sich auch die kubanische Journalistin Lamasiel Gutiérrez zur Aufgabe gemacht. Sie musste ihre Heimat vor sieben Monaten verlassen, zusammen mit ihrem Ehemann Rolando Jiménez Posada, der mehrere Jahre im Gefängnis gesessen hatte. "Sein Gesundheitszustand war sehr schlecht, er hatte Herzprobleme und hätte weitere sieben Jahre Haft, die ihm noch bevorstanden, nicht überlebt. Bedingung für seine Freilassung war, dass auch ich Kuba verließ", so Lamasiel Gutiérrez, die heute in Prag im Exil lebt.

Die Rolle der Kirche

Die Freilassung der Opfer des "schwarzen Frühlings" 2003 war das Ergebnis langwieriger Verhandlungen zwischen der katholischen Kirche - vertreten durch den Erzbischof von Havanna, Kardinal Jaime Ortega - und der Regierung von Raúl Castro. Damals waren in einer zweiwöchigen Verhaftungswelle 90 Regimekritiker festgenommen worden, darunter 27 Journalisten. 75 von ihnen wurden später zu bis zu 30 Jahren Haft verurteilt. Die spanische Regierung beteiligte sich an den Verhandlungen und bot an, den Häftlingen und ihren Familien Asyl zu gewähren.

Die kubanische Führung gewährte die vorzeitige Haftentlassung und die Ausreise. Europäische und lateinamerikanische Beobachter bewerteten dies als eine Geste Havannas sowohl an die Adresse der USA als auch der EU mit dem Ziel, beide Seiten zur Wiederaufnahme des politischen Dialogs zu bewegen.

Auch wenn er dank der Vermittlung seine Freiheit wiedererlangt hat, steht Néstor Rodríguez der Rolle der katholischen Kirche in Kuba äußerst kritisch gegenüber. Wer die Freilassung als Erfolg feiere, der unterschlage, dass sowohl Spanien als auch die Kirche akzeptiert hätten, dass es sich um eine Ausreise ohne Rückkehrrecht handelt. So werde die Opposition auf Kuba systematisch geschwächt.

"Die katholische Kirche steht beim kubanischen Volk in einer historischen Schuld", urteilt der Gründer der kubanischen Jugendbewegung für Demokratie, "denn sie hat sich auf die Seite der Mächtigen gestellt und nicht auf die der Unterdrückten. Ich bin vom Kardinal persönlich abgewiesen worden, als ich ihm eine Petition mit Tausenden von Unterschriften überreichen wollte, in der wir die Wiedereröffnung der katholischen Universität verlangten, die die Kommunisten 1961 kurz nach der Revolution geschlossen haben." Vier Jahre sei es jetzt her, dass er in dieser Angelegenheit beim Erzbischof von Havanna vorstellig wurde, bis heute sei nichts entschieden.

Massive Zensur

Die kubanische Journalistin Lamasiel Gutiérrez (Foto: DW/K. Danetzki)
Die kubanische Journalistin Lamasiel GutiérrezBild: DW

Kuba ist ein junges Land, das Durchschnittsalter der elf Millionen Einwohner der Karibikinsel liegt heute bei knapp 35 Jahren. Rund 80 Prozent der Bevölkerung sind mit und unter der Revolution groß geworden. Aus ihrem Exil in Prag attestiert die Journalistin Lamasiel Gutiérrez der Jugend ihres Landes keinen unbedingten Willen, gegen die herrschenden Verhältnisse aufzubegehren. "Die kubanische Jugend ist enttäuscht. Viele haben keine Chance auf einen Studienplatz. Es reicht schon, wenn ein Familienmitglied, und sei es ein entfernter Verwandter, mit der Opposition in Verbindung gebracht wird, um das Recht auf einen Studienplatz zu verlieren." Dann wiederum gebe es andere, so Lamasiel Gutiérrez, die zwar über Zugang zum Internet und über Informationen über das Weltgeschehen verfügen. "Aber diese jungen Menschen sind Anhänger des Regimes, teils aus Überzeugung, teils aber auch aus Interesse, denn die Regimetreue ermöglicht ihnen den Zugang zum Internet. Für ein paar Online-Stunden am Tag sind sie bereit, Journalisten und Dissidenten im Netz zu diffamieren."

Eine Massenbewegung, die der verbreiteten und zunehmenden Unzufriedenheit vor allem über die wachsenden wirtschaftlichen Probleme auf der Straße Ausdruck verleihen würde, kann Lamasiel Gutiérrez in Kuba derzeit nicht ausmachen. "95 Prozent der kubanischen Bevölkerung haben keinen Zugang zum Internet. Die verfügbare Literatur und Information ist vollkommen zensiert und zeichnet ein Zerrbild der Realität." Das kubanische Regime "manipuliert die Berichterstattung über die Proteste in der arabischen Welt", fügt Néstor Rodríguez hinzu. "Im kubanischen Fernsehen wird behauptet, die Revolten in der arabischen Welt seien ein Aufstand gegen den Kapitalismus und nicht gegen die Jahrzehnte alten, überkommenen Diktaturen in der Region."

Kubanische Dissidenten beklagen fehlende Unterstützung

Der Sacharow-Preis 2010 an den kubansichen Dissidenten Guillermo Fariñas wurde in Abwesenheit des Preisträgers verliehen (Foto: dpa)
Der Sacharow-Preis 2010 an den kubansichen Dissidenten Guillermo Fariñas wurde in Abwesenheit des Preisträgers verliehenBild: picture-alliance/dpa

Zwar hat das EU-Parlament bereits drei Mal den Sacharow-Preis für Menschenrechte an kubanische Dissidenten vergeben, zuletzt 2010 an den Regimekritiker Guillermo Fariñas. Doch Journalisten und Menschenrechtler auf Kuba benötigten mehr als moralische Unterstützung, beklagt Nestor Rodríguez Lobaina. "Als die EU ihren 'gemeinsamen Standpunkt' gegenüber dem Castro-Regime definiert hat, haben einige europäische Botschaften ihre Türen für Dissidenten, Blogger, Journalisten und andere Vertreter der Zivilgesellschaft geöffnet und ihnen zum Beispiel freien Zugang zum Internet ermöglicht. Aber dieses Angebot gibt es nicht mehr", bedauert Rodríguez, der nicht ausschließen möchte, "dass hinter dieser Entscheidung wirtschaftliche Interessen stehen."

In den vergangenen Jahren war es vor allem die spanische Regierung unter Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero, die sich für eine Aufweichung der gemeinsamen Position der EU gegenüber Kuba ausgesprochen hat und stattdessen auf bilaterale Verhandlungen setzt. Widerstand gegen diesen Kurswechsel kommt vor allem aus dem konservativ dominierten EU-Parlament sowie aus Schweden und der Tschechischen Republik.

"Es ist bedauerlich, dass die Internationale Staatengemeinschaft nicht mit einer Stimme spricht. Auf internationalen Konferenzen werden die Menschenrechtsverletzungen in Kuba angeprangert, aber auf der anderen Seite stärken sie das Regime, indem sie den Handel mit Kuba fördern. Das trifft weniger auf die Länder Osteuropas zu, die den Totalitarismus am eigenen Leib erlebt haben, sondern auf Westeuropa, auf Länder wie Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien", kritisiert Néstor Rodríguez.

In die Erleichterung über seine wiedergewonnene Freiheit mischt sich für den kubanischen Menschenrechtler auch ein bitterer Beigeschmack: "Das Zwangsexil für viele führende Köpfe der Opposition ist selbstverständlich ein herber Schlag für die demokratische Bewegung, aber das heißt noch lange nicht, dass es keine Opposition in Kuba gibt."

Autorin. Mirjam Gehrke
Redaktion: Anne Allmeling/Ursula Kissel