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Kein Quadriga-Preis in diesem Jahr

17. Juli 2011

Tagelang gab es heftige Kritik an der geplanten Vergabe des "Quadriga"-Preises an den russischen Regierungschef Putin. Nun entschied das Kuratorium, die diesjährige Auszeichnung komplett auszusetzen.

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Die Quadriga wird seit 2003 alljährlich am Deutschen Nationalfeiertag verliehen an vier Persönlichkeiten oder Institutionen (Foto: diequadriga.com)
In diesem Jahr kein Quadriga-PreisBild: diequadriga.com

Der Verein "Werkstatt Deutschland" wird den diesjährigen Quadriga-Preis nicht vergeben. Die Preisverleihungen würden in diesem Jahr komplett ausgesetzt, teilte das Kuratorium, das die Ehrung vergibt, am Samstag nach einer Sitzung in Berlin mit. Damit werden auch die anderen Nominierten dieses Jahres nicht ausgezeichnet. Neben Wladimir Putin sollten der palästinensische Premierminister Salam Fayyad, die mexikanische Außenministerin Patricia Espinosa und die türkischstämmige Lehrerin und Autorin Betül Durmaz den Preis erhalten. Der ehemalige Präsident und jetzige Regierungschef Putin sollte für "seine Verdienste für die Verlässlichkeit und Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen" gewürdigt werden.

Öffentlicher Druck

Vergabe der "Quadriga 2009": Michail Gorbatschow, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der Musiker Marius Müller-Westernhagen, die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley und der ehemalige tschechische Staatspräsident Vaclav Havel (Foto: Selma Filipovic/ DW)
"Quadriga" 2009 (v.r.): Michail Gorbatschow, José Manuel Barroso, Marius Müller-Westernhagen (Musiker), Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley und Vaclav HavelBild: DW

Die Absicht, auch den russischen Ministerpräsidenten Putin auszuzeichnen, hatte für öffentliche Proteste und heftige Diskussionen gesorgt. Mehrere frühere Preisträger kritisierten die Entscheidung massiv, der dänische Künstler Olafur Eliasson gab seinen Preis zurück und der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel drohte mit der Rückgabe. Einige Mitglieder des Kuratoriums waren zurückgetreten, darunter der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir und Wikipedia-Gründer Jimmy Wales.

In seiner Erklärung zeigte sich das Kuratorium "betroffen von der massiven Kritik in den Medien und Teilen der Politik". Man habe sich bei den Nominierten entschuldigt und um Verständnis dafür gebeten, in diesem Jahr von einer Preisverleihung abzusehen. Der zunehmend unerträgliche Druck und die Gefahr einer weiteren Eskalierung hätten keine andere Wahl gelassen.

Menschenrechtsbeauftragter spricht von guter Nachricht

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP) begrüßte die Entscheidung des Kuratoriums als "gute Nachricht". Der Preis stehe für Freiheit, Bürgerrechte und Menschenrechte. Putin habe aber in Russland die Bürgerrechte eingeschränkt und die "Demokratie zurückgedreht", sagte Löning im ARD-Fernsehen.

Ein Sprecher Putins sagte der russischen Agentur Interfax, die Absage der Preisverleihung werde die deutsch-russischen Beziehungen nicht beeinträchtigen. Denn mit ihnen habe die Entscheidung des Kuratoriums nichts zu tun.

Der ukrainische Politiker und ehemalige Präsident Viktor Juschtschenko, Preisträger im Jahr 2006, nannte die Diskussion über die Preisvergabe "üblich" für offene Gesellschaften. Er selbst wolle sich aber als Preisträger nicht über die Nominierten äußern, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Kritik aus Russland

Der russische Regierungschef Wladimir Putin mit erhobenem Daumen - im Februar 2011 bei der EU in Brüssel (Foto: dapd)
Umstritten: Wladimir PutinBild: dapd

Dagegen kritisierte der Moskauer Deutschland-Experte Wladislaw Below auch mit Blick auf die deutsch-russischen Regierungskonsultationen ab Montag (18.07.2011) in Hannover das Vorgehen des Kuratoriums. Der Politologe vom Europainstitut der Akademie der Wissenschaften in Moskau bezeichnete die Absage der Preisverleihung als Gesichtsverlust für den russischen Regierungschef. "Für Putin ist das ein Affront, sein Image wird dadurch beschädigt", sagte Below der Nachrichtenagentur dpa. Dem Kuratorium warf der Politologe erhebliche Fehler vor:

Wer Putin auszeichnen wolle, müsse im Voraus wissen, worauf er sich einlasse. Die Preisverleiher hätten von Anfang an in ihrer Begründung sehr deutlich machen müssen, dass Putin "bei aller berechtigter Kritik unbestreitbare Verdienste um das deutsch-russische Verhältnis" habe. Putin spreche nicht nur Deutsch, sondern habe sich schon vor seiner Zeit als Präsident sowie als Regierungschef um enge Kontakte verdient gemacht. Jetzt stehe Putin da wie der autoritäre weißrussische Staatschef Alexander Lukaschenko, der als "letzter Diktator Europas" kritisiert werde. Schäden für das deutsch-russische Verhältnis erwarte er aber nicht, sagte Below: "Die Beziehungen sind fest und gut."

Der russische Menschenrechtler Lew Ponomarjow am Telefon (Foto: Sergej Morozow)
Menschenrechtler Lew PonomarjowBild: Sergej Morozow

"Ohrfeige für die Demokratie"

Bügerrechtler und Menschenrechtsgruppen in Russland hatten die zunächst geplante Preisverleihung als "Ohrfeige für die Demokratiebewegung" bezeichnet. Putin passe nicht in die Reihe bisheriger Preisträger, sagte der Vorsitzende der russischen "Bewegung für die Menschenrechte", Lew Ponomarjow, unter Hinweis auf frühere Träger der Auszeichung wie die deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl und Gerhard Schröder oder Ex-Präsidenten Michail Gorbatschow und Václav Havel.

Und Elena Panfilowa, die Vorsitzende von Transparancy International in Russland, vermutete hinter der geplanten Ehrung gar wirtschaftliche Interessen in Deutschland. Offenbar habe man sich Begünstigungen bei Gaslieferungen erhofft, so Panfilowa.

Eine Meinung verrtrat der russische Politologe Dmitrij Oreschkin: Die Abhängigkeit Europas und insbesondere Deutschlands vom russischen Gas – sprich: von Wladimir Putin – sei offensichtlich. Im Gegenzug habe sich Putin wohl "europäisches Flair" im russischen Wahlkampf erhofft, sagte der Politologe.

Preis einflussreicher Interessenvertreter

Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor, im Hintergrund die gläserne Kuppel des Reichstages (Sitz des Deutschen Bundestages) (Foto: dpa)
Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor, im Hintergrund die gläserne Kuppel des ReichstagesBild: dpa

Der "Quadriga"-Preis, der an die Figur der Quadriga auf dem Brandenburger Tor in Berlin erinnert, wird seit 2003 vom Verein "Werkstatt Deutschland" verliehen an Vorbilder, die Aufklärung, Engagement und Gemeinwohl verpflichtet sind. Überreicht wird die Auszeichnung, an die keine Geldsumme gebunden ist, stets am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit.

Die 35 Mitglieder repräsentieren nach eigenen Angaben "prominente Vertreter aus allen Parteien, Chefredakteure und Intendanten sowie namhafte Repräsentanten der Wirtschaft". Im Kuratorium sitzen neben dem ehemaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Wolf-Ruthart Born auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder sowie zahlreiche Politikberater.

Über die Zukunft des Preises nach der diesjährigen Absage soll in den kommenden Wochen beraten werden.

Autor: Hartmut Lüning (afp, dapd, dpa, epd)
Redaktion: Susanne Eickenfonder