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Porträt des ermordeten Karsai-Bruder

12. Juli 2011

Er galt als zwielichtiger König von Kandahar. Der ermordete Präsidenten-Bruder Ahmed Wali Karsai hinterlässt in der umkämpften südafghanischen Provinz ein Machtvakuum.

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Porträt des ermordeten Präsidentenbruders ahmed Wali Karsai (Foto: AP)
Ahmed Wali KarzaiBild: AP

"Wer Kandahar kontrolliert, kontrolliert das Land", sagt man in Afghanistan. Insofern wirft die Ermordung Ahmed Wali Karsais am Dienstag (12.07.2011) durch einen mutmaßlichen "Schläfer" der Taliban in seinem Umfeld die alles entscheidende Frage auf: Wer hat die Macht in Afghanistan? Präsidenten-Bruder Ahmed Wali Karsai war in den vergangenen Jahren eine der schillerndsten politischen Figuren am Hindukusch.

Er wurde von vielen gebraucht – von Hilfe suchenden paschtunischen Familien genauso wie von der NATO. Ahmed Wali Karsai versuchte sich für alle unentbehrlich zu machen. Doch er war zwielichtig, und er galt als hochgradig korrupt. Es gab viele Situationen, in denen der jüngere Karsai im umkämpften Süden viel mehr Schlagzeilen machte als der Präsident in der Hauptstadt Kabul. Das Verhältnis der beiden galt als eng. Hamid Karsai hat Wali im Gegensatz zu den westlichen Medien nie als seinen Halbbruder bezeichnet, sondern immer seinen Bruder genannt.

Ihr gemeinsamer Vater, Abdul Ahad Karsai, war zu Zeiten des afghanischen Königs Zahir Schah eine wichtige politische Figur. Er war der Führer der Popolzai – eines mächtigen und geachteten Paschtunen-Stammes mit direkten Verbindungen zum afghanischen Herrscherhaus. Nach dem Sturz des Königs war Vater Karsai in den 1980er Jahren ein Gegner des kommunistischen Regimes und später ein Gegner der Taliban. Abdul Ahad Karsai wurde 1999 im Nachbarland Pakistan von den radikalen Islamisten erschossen. Mehr als 10 Jahre später haben die Taliban nun nach eigenen Angaben auch einen seiner Söhne aus dem Leben gerissen – den Sohn, der sich selber immer in der Rolle seines Vaters als Brückenbauer und als Diener seines Stammes gesehen hat.

Der König von Kandahar

Wie viele Mitglieder des Karsai-Clans hat auch der 1961 geborene Ahmed Wali Afghanistan nach dem Einmarsch der Sowjets verlassen. Seine Flucht führte ihn 1982 in die USA, wo er in Chicago mehrere Jahre ein afghanisches Familien-Restaurant betrieb. Als das kommunistische Regime 1992 besiegt war, kehrte er in seine Heimat zurück. Doch der kometenhafte wirtschaftliche und politische Aufstieg des Ahmed Wali Karsai in seinem Geburtsort Kandahar-Stadt (Hauptstadt der gleichnamigen Provinz) begann erst mit der Vertreibung der Taliban. Dass sein älterer Bruder Hamid nach der westlichen Intervention afghanischer Präsident wurde, spielte dem Jüngeren dabei in die Hände.

Gestikulierender Ahmed Wali Karsai in seinem Büro (Foto: AP)
Der ermordete Bruder des afghanischen PräsidentenBild: AP

Ahmed Wali Karsai hielt bis zu seiner Ermordung nur einen politischen Posten, der ihm nicht besonders viel Macht verlieh: Er war der Vorsitzende des Provinzrates von Kandahar. Dennoch galt er als einer der mächtigsten Männer in ganz Südafghanistan.

Sein Anwesen in Kandahar-Stadt war eine Pilgerstätte. In seiner Rolle als Führer der Popolzai schlichtete Ahmed Wali Karsai Streit. Er sprach Recht, er bestrafte, er spendete Trost, er schrieb wichtige Briefe, er gab Arbeit, er leitete den Stammesrat, er konsultierte die Älteren, er vergab Posten. Ahmed Wali Karsai war stets bemüht, nach außen das Bild des gütigen Oberhaupts zu vermitteln.

Ganz und gar nicht in dieses Bild passen die vielen Anschuldigungen, er sei ein Drogenbaron, ein Geldwäscher, ein Immobilienhai und ein hoch bezahlter Gehilfe des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA gewesen. Unter seiner Herrschaft soll sich in Kandahar, im Herzland des afghanischen Aufstands, ein korruptes, mafiaähnliches Netzwerk ausgebreitet haben, das sich über jedes Recht stellt.

Im April 2009 argumentierte der Wissenschaftler Carl Forsberg vom "Institute for the Study of War" in Washington in einer Studie, "dass Ahmed Wali Karsai's Einfluss in Kandahar das zentrale Hindernis" des Westens sei, seine Ziele zu erreichen. Der Bruder des Präsidenten trage entscheidend zur Diskreditierung der afghanischen Regierung bei und treibe die benachteiligten Paschtunen-Stämme jenseits seines Clans in die Arme der Taliban. In Kandahar und Kabul gebe es eine gefährliche Überschneidung von Familieninteressen und Staatsaufbau.

Die Vorwürfe

Im Oktober 2009 schrieb dann die "New York Times" nach umfangreicher Recherche, dass Ahmed Wali Karsai der CIA beim Aufbau der sogenannten "Kandahar Strike Force" maßgeblich geholfen habe. Diese paramilitärische Einheit kämpft auf direkte Anweisung der CIA gegen Aufständische und ist in dem Anwesen untergebracht, in dem auch US-amerikanische Spezialkräfte und Geheimdiensteinheiten ihre Zelte aufgeschlagen haben.

Hamid Karsai (Foto: AP)
Präsident Hamid KarsaiBild: AP

Das Gelände gehörte früher Taliban-Führer Mullah Omar. Der getötete Karsai soll dafür bezahlt worden sein, dass die Amerikaner es benutzen dürfen. Seit 2001 soll es eine intensive Zusammenarbeit zwischen CIA und Ahmed Wali Karsai gegeben haben.

Der jüngere Bruder des afghanischen Präsidenten kümmerte sich außerdem um die Logistik und Sicherheit von Großprojekten im Süden. Er war an mehreren afghanischen Unternehmen beteiligt (unter anderem Asia Security Group und Watan Risk Management), in denen ihm nahestehende Stammesmilizen aufgegangen sind. Diese privaten Armeen hätten eigentlich entwaffnet werden müssen. Heute sichern sie stattdessen den Nachschub der NATO, der über Pakistan ins Land kommt. Sie kontrollieren die wichtigen Straßen im Süden und sollen dabei auch Zivilisten abkassieren.

Über diese Straßen soll Ahmed Wali Karsai einen millionenschweren Drogenhandel betrieben haben. Im Jahr 2007 ist er von Teilen des afghanischen Parlaments offen als Drogenhändler gebrandmarkt worden. Doch sein Bruder, der Präsident, hat stets seine schützende Hand über ihn gehalten. Gegenüber dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sagte Hamid Karsai im Mai 2008: "Das ist kompletter Unsinn." Er habe alle Vorwürfe gegen seinen Bruder gründlich untersucht, "nichts davon ist wahr."

Taliban-Kämpfer mit Gewehren (Foto: dpa)
Ahmed Wali Karsai - kein Freund der Taliban?Bild: picture-alliance/dpa

Vermutlich war es kein Zufall, dass die nachgewiesenen Wahlmanipulationen zu Gunsten Hamid Karsais bei der Präsidentschaftswahl 2009 im Machtbereich Ahmed Wali Karsais gravierend hoch waren.

Die Gegenrede

Ahmed Wali Karsai hat sich bis zu seinem Tod heftig gegen alle Vorwürfe zur Wehr gesetzt. Im Gespräch mit der britischen Tageszeitung "The Independent" sprach er von "sehr schmerzhaften" Anschuldigungen. "Das einzige Verbrechen, dessen man mich noch nicht bezichtigt hat, ist die Prostitution." Er bestritt vehement, für viel Geld für den US-amerikanischen Geheimdienst zu arbeiten.

Ahmed Wali Karsai erinnerte stattdessen immer wieder daran, dass seine Familie schon lange vor den westlichen Verbündeten gegen die Taliban gekämpft habe. Er sei nur ein Stammesführer und werde ehrlich seine Pflicht tun, egal, was andere Leute über ihn sagten. Alle Vorwürfe gegen ihn und seine Familie seien politisch motiviert.

In der Bevölkerung Kandahars war Ahmed Wali Karsai eher gefürchtet als geliebt. Die Menschen wussten um seine Macht und um seine Kontakte. Wenn es ihm und seinen Geschäften nützte, soll er auch mit den Taliban zusammengearbeitet haben. Der Übergang zwischen Freund und Feind soll fließend gewesen sein. Vor den tödlichen Schüssen in seinen eigenen vier Wänden hatte der "König von Kandahar" mehrere Attentatsversuche überlebt. Nach den wenigen zur Verfügung stehenden Meinungsumfragen hat noch nicht einmal ein Viertel aller Menschen in Kandahar Vertrauen in den afghanischen Staat, den auch Ahmed Wali Karsai repräsentierte.

Für die CIA hingegen schien er ein unverzichtbarer Partner gewesen zu sein. Da es der NATO-geführten, internationalen Schutztruppe ISAF nach eigenen Angaben aber darum geht, die Herzen und Köpfe der Menschen in Afghanistan zu gewinnen, war der Ermordete ein schwieriger Verbündeter. Die Obama-Administration hat ziemlich erfolglos versucht, sich von seinem Einfluss zu befreien. Jetzt muss das Machtzentrum, das Ahmed Wali Karsai füllte, neu besetzt werden.

Autorin: Sandra Petersmann
Redaktion: Sabine Faber