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Starbatty Interview

4. Juli 2011

Der Ökonom Joachim Starbatty hat gemeinsam mit anderen Professoren Verfassungssbeschwerde gegen den Euro-Rettungsschirm eingelegt. Im Gespräch mit DW-WORLD.DE erklärt er, was dahinter steckt.

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Joachim Starbatty (Foto: dpa)
Schon gegen den Euro, nun gegen den Rettungsschirm: Joachim StarbattyBild: dpa

DW-WORLD.DE: Herr Professor Starbatty, Sie haben gemeinsam mit anderen so genannten Euro-Rebellen vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen den Euro-Rettungsschirm eingelegt. Wogegen genau richtet sich Ihre Klage?

Joachim Starbatty: Erstens sind wir keine Rebellen, sondern wir kämpfen für Recht und Ordnung und für die Einhaltung der Verträge. Darauf lege ich Wert. Wir klagen gegen die Griechenland-Hilfe und gegen den Rettungsschirm, weil diese beiden Maßnahmen der Bundesregierung und auch der europäischen Regierungen, die in der Eurozone versammelt sind, gegen europäisches Recht und gegen das Grundgesetz verstoßen.

Inwiefern gegen das Grundgesetz?

EU-Flagge und Justizia (Foto: DW)
Verstoß gegen nationales und europäisches Recht?Bild: DW

Im Grundgesetz ist vorgesehen, dass einmal das Eigentum der Bürger erhalten bleiben soll - insbesondere das Geldvermögen. Und das Geldvermögen geht bei Inflation den Bach herunter, um es salopp zu formulieren. Und die Europäische Zentralbank (EZB) hat eine Politik betrieben, die außerordentlich gefährlich ist. Wenn sie marode Staatsanleihen ankauft, dann monetarisiert sie Staatsschuld. Sie finanziert also Staatschulden, sie druckt Geld, um die Staatsschulden des Staates zu finanzieren. Das führt langfristig zu Inflation und damit zur Entwertung des Geldvermögens.

Und was noch hinzukommt: Das Aufspannen des Rettungsschirms, dessen Konsequenzen ja im Einzelnen gar nicht kalkulierbar sind, verstößt gegen Artikel 38 unseres Grundgesetzes, wonach der einzelne Abgeordnete seinen Wählern gegenüber verpflichtet ist - also seinen Wählerauftrag wahrzunehmen hat. Und hier verstößt das, was die Regierungen auf die Schiene gesetzt haben, gegen das hoheitliche Budgetrecht des Parlaments. Dem Parlament sind die Hände gebunden. Und das kann nicht Sinn der europäischen Entwicklung sein, dass im Zuge der Euro-Zone und der Gefährdung des Euros dem Parlament die zentralen Rechte der Budgethoheit genommen werden.

In europäischer und europarechtlicher Hinsicht führen Sie als Argument ja die no-bail-out-Klausel an, von der das Bundesverfassungsgericht im vorvergangenen Jahrzehnt schon gesagt hat, dass sie konstituierend sei für die gemeinsame Währung. Was meinen Sie damit?

Diese no-bail-out-Klausel ist die Grundverfassung einer Stabilitätsgemeinschaft. Stabilitätsgemeinschaft bedeutet, dass alle Länder in der Lage sind, einen stabilen Geldwert auszuhalten und dass die Situation auch so stabil ist, dass es nicht zu Transfers innerhalb der Währungsunion kommt oder dass ein Land gewissermaßen erdrosselt wird. Das ist der Sinn der no-bail-out-Klausel. Das heisst, dass weder ein Mitgliedsstaat noch die Gemeinschaft für die finanziellen Verpflichtungen eines anderen Mitgliedsstaates aufkommen.

Aber die Politik sagt, es handele sich hier um einen freiwilligen Beistand, um den Euro zu stabilisieren, und es sei keine Verpflichtung.

Das habe ich wohl gehört. Aber als ich vor einiger Zeit mal gewagt habe, zu zweifeln, ob die no-bail-out-Klausel eine eherne Verfassung ist, da sind alle Politiker über mich hergefallen und haben gesagt: "Herr Starbatty, wo denken Sie hin, das wird niemals gebrochen werden." Und jetzt sagt Herr Schäuble, wenn man es freiwillig tue, dürfe man es tun. Wenn Herr Schäuble freiwillig sein eigenes Geld einsetzt, dann darf er es tun. Aber er setzt ja das Geld der Steuerzahler ein und da muss er zunächst die Steuerzahler fragen, ob er so freigiebig mit ihrem Geld umgehen darf. Das sollte sich Herr Schäuble als Finanzminister wirklich einmal überlegen, der zunächst den deutschen Steuerzahlern gegenüber verpflichtet ist.

Sie haben eben ausgeführt, dass die Wirtschaft des einen Landes nicht stranguliert werden darf. Als man den Euro einführte, wusste man doch, dass es ganz unterschiedliche Staaten mit unterschiedlichen Systemen sind, die unter einen Währungsschirm kommen. War das der Grundfehler?

Euromünzen (Foto: picture-alliance/dpa)
Stabile, neue Währung - nun gefährdetBild: picture alliance/dpa

Das war ein ganz wesentlicher Grundfehler, denn eine Währungsunion der Ungleichen kann nicht funktionieren. Entweder platzt die Währungsunion oder es kommt zu einer Transferunion. Das war bekannt, das war bei einigen Ländern bekannt. Aber dann hätten die Vertreter der kleineren Länder, denen man es hätte nachweisen können, sagen können: "Ja, die großen Länder haben auch kreative Buchführung betrieben. Also darf man gar nicht mit einer Währungsunion anfangen." Also hat man entschieden: Schwamm drüber, das wird sich schon irgendwie regeln. Dann können wir jetzt beginnen. So war die etwas laxe Haltung der damaligen Politik.

Deutschland profitiert ja auch vom Euro. Was spricht denn gegen eine Transferunion, wenn man sich darauf einigt?

Eine Transferunion ist wider die Verträge, dann müssen die Verträge geändert werden. Denn eine Transferunion bedeutet den Einstieg in den Bundesstaat. Das ist völlig klar. Und der Lissabon-Vertrag sieht das nicht vor. Wenn also die Bundesregierung den Einstieg in die Transferunion will, dann muss der entsprechende Vertrag geändert werden. Und Transferunion gilt ja nicht nur gegenüber den Ländern innerhalb der Euro-Zone. Diese Transferunion gilt dann ja gegenüber allen 27 Mitgliedsstaaten. Das muss man sich mal vorstellen, was das bedeutet. Insofern muss da eine Vertragsänderung her.

Was wäre die Konsequenz, wenn das Gericht Ihnen Recht geben würde?

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Foto: picture-alliance/dpa)
Signal aus Karlsruhe - Wirkung auch für BrüsselBild: picture-alliance/ dpa

Das Gericht wird einmal genau sagen, dass das parlamentarische Budgetrecht durch den jetzt geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht außer Kraft gesetzt werden darf. Wegen dieses Mechanismus dürfen nicht einfach Tranchen ausgegeben werden, da muss bei jeder Tranche das Parlament gefragt werden. Und wenn das Gericht sagen würde, dass alles, was jetzt gemacht wird, nicht rechtens ist, dann würde Griechenland aus der Währungsunion ausscheiden müssen. Dann würde eine Umschuldung gemacht werden müssen. Daran kommt man nicht vorbei.

Denn was wir jetzt machen, damit lösen wir keine Probleme. Griechenland weiter Geld zu geben, so dass es seine Gläubiger bedienen kann, bedeutet ja nichts anderes, als dass Griechenland immer stärker in die Schuldenfalle hineingestoßen wird. Das ist nichts Anderes als ein bail-out für die Banken, ohne dass wirklich das europäische Rettungssystem gerettet wird. Dagegen wehre ich mich und wenn das Bundesverfassungsgericht in diese Richtung weist, dann können die europäischen Bürger dem Gericht dankbar sein, weil dann die Probleme angepackt werden und nicht weiter verschoben werden.

Das heißt, es geht eigentlich gar nicht um Griechenland, Spanien, Irland, sondern es geht eigentlich um - auch - deutsche Banken?

Natürlich. Jede Umschuldung würde deutsche Banken treffen und solange gezahlt wird, gibt es keine Umschuldung, also kann man den vollen Nennwert der Anleihen für sich reklamieren und gewinnt dann auch noch dabei.

Wenn Griechenland die Drachme wiedereinführt, fürchtet man den so genannten Domino-Effekt. Was sagen Sie dazu?

Der Domino-Effekt bezieht sich ja nicht auf die Niederlande oder auf Deutschland, sondern bezieht sich nur auf Länder, von denen man annimmt, dass sie auch in Zukunft Schwierigkeiten haben werden. Das wäre dann wirklich ein Ende mit Schrecken, aber alles andere wäre ein Schrecken ohne Ende.

Die Schulden bleiben aber doch - und zwar in Euro?

Die Schulden sind alle in Euro denominiert. Da muss man natürlich genau über die Schuldenquote sprechen, denn es ist nicht zumutbar, dass dann komplett in Euro gezahlt wird. Aber es ist ja nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Staaten konkurs sind und ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Da muss man sich an einen Tisch setzen, eine Schuldenquote aushandeln und dafür sorgen, dass diese Länder wieder auf einen grünen Zweig kommen. Sie müssen wieder wirtschaftlichen Boden unter die Füße bekommen und Überschüsse erwirtschaften können, um ihre Schulden zurückzuzahlen. Ein Land, das verschuldet ist und sich weiter verschuldet, wird niemals seine Schulden zurückzahlen können. Alles andere wäre besser als das, was wir zurzeit machen.

Wäre es für die Exportnation Deutschland nicht von Nachteil, wenn viele Staaten zu ihrer Ursprungswährung zurückgehen?

Ja, das sagen die Unternehmen - jetzt neulich auch in einer großen Werbeanzeige. Das Gegenteil davon ist richtig: Die Deutschen würden von der Aufwertung natürlich profitieren, weil dann der Euro oder die D-Mark, je nachdem was kommt, in der Welt ja viel mehr Wert wären. Und wir exportieren ja keine Bananen, wo schon ein Zehntel Prozentpunkt die Nachfrager dazu veranlasst, eine andere Sorte Bananen zu wählen. Wir verkaufen Hochtechnologie-Produkte, die die Welt braucht, wenn sie sich entwickeln will. Diese Produkte können Sie nur in ganz wenigen Staaten kaufen und an sich können Sie die nur bei uns kaufen.

Da verstehe ich jetzt nicht, warum die Industrie so viel Theater macht. Das ist völlig klar, hier würde eine Aufwertung von zehn oder 15 Prozent nur unwesentlich etwas ändern. Aber was entscheidend wäre, ist, dass die Deutschen das bekämen, was sie früher einmal hatten: die so genannte Sozialdividende. Dass im Zuge der größeren Produktivität der Volkswirtschaft auch die Bürger davon profitieren, indem ihre Währung in der Welt mehr wert ist als früher.

Wie hoch schätzen Sie Ihre Erfolgsaussichten in Karlsruhe ein?

Wir gehen voller Erwartung nach Karlsruhe. Die Karlsruher Richter haben unsere Klage angenommen, wir werden darüber verhandeln und wir gehen davon aus, dass das Gericht ein faires Urteil im Sinne der Bürger fällen wird.

Interview: Daphne Grathwohl
Redaktion: Nicole Scherschun