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200 Jahre Krankenpflege

23. Juni 2011

Wie eine Gesellschaft mit ihren Kranken umgeht, sagt viel über ihren Charakter aus. Das zeigt eine Ausstellung der Charité in Berlin am Beispiel der Geschichte der Pflege in Krankenhäusern.

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Altem Mann werden die Haare gekämmt von Krankenschwester mit Handschuhen (Foto: Thomas Bruns)
Bild: Thomas Bruns

Eigentlich wollte die Bundesregierung noch vor der parlamentarischen Sommerpause ein Konzept für eine Reform der Pflegeversicherung verabschieden. Jüngst aber nahm Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr Tempo aus dem Vorhaben. Man stehe nicht unter Zeitdruck, da noch genügend Geld in der Kasse sei. Im Sommer würden zwar Eckpunkte einer Reform vorgestellt, in Kraft treten aber werde diese erst im Laufe und nicht schon zu Beginn des Jahres 2012.

Historische Gebäude der Charité in Berlin mit buntem Herbstlaub bewachsen (Foto: Dpa)
Die Charité in Berlin feierte 2010 ihr 300-jähriges BestehenBild: picture-alliance/ZB

Auch wenn der finanzielle Druck derzeit nicht so groß sein mag, der gesamtgesellschaftliche Druck ist es alle Mal. Mit welchem System wird Deutschland die Folgen des demografischen Wandels abfedern? Nach Zahlen einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) werden sich die Kosten für die Altenpflege in Deutschland bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Dann könnten Pflegekapazitäten knapp werden, warnt die OECD. Die Berliner Charité, das größte Klinikum Europas, leistet mit der Ausstellung "Who cares?" in seinem medizinhistorischen Museum einen gelungenen Beitrag zu dieser wichtigen Debatte.

Wie ein roter Faden zieht sich ein Punkt durch die Ausstellung: der Pflegenotstand in Deutschland hat Tradition. Vor 1800 wurden nur Arme oder Zugereiste in öffentlichen Häusern medizinisch betreut. Wohlhabende Bürger wurden zu Hause bei der Familie gepflegt. Ausnahmen bildeten sogenannte Cholera- oder Pesthäuser, in denen die Kranken von den Gesunden isoliert wurden. Als ein solches wurde auch die Charité 1710 gegründet. Krankenschwestern, wie wir sie heute kennen, gab es noch keine. Ihre Rolle wurde mehr schlecht als recht von den Wärterinnen übernommen. Doch es gab viele Klagen - und generell zu wenig Personal.

"Wilde Schwestern"

Bouillontasse und Tüllenbecher aus dem 18. Jahrhundert, Centrum für Anatomie der Charité - Universitätsmedizin Berlin (Foto: Christoph Weber)
Bouillontasse und Tüllenbecher aus dem 18. JahrhundertBild: Christoph Weber

1832 gründete der Berliner Mediziner Johannes F. Dieffenbach (1792-1847) die erste Krankenwartschule mit einer dreimonatigen Ausbildung und gab das Buch "Anleitung zur Krankenwartung" heraus. Der Berufszweig begann sich danach - wenn auch zögerlich - herauszubilden. Es dauerte aber bis ins 20. Jahrhundert, bevor ein einheitlicher Status entstand. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Status des Mediziners stark verbesserte und Ärzte zu hoch angesehenen Bürgern wurden, was sie bis heute sind. Das Image- und Verdienstgefälle zwischen Arzt und Pflegepersonal war und ist noch heute immens.

Parallel dazu gab es in Deutschland Krankenpflege in konfessionellen Häusern. Hier stand neben der Krankenpflege auch die Seelsorge im Mittelpunkt. Man grenzte sich stark von der staatlichen Pflege ab, indem man zum Beispiel die dortigen Schwestern als "wilde Schwestern" diffamierte. Die Krankenpflege wurde von Ordensschwestern durchgeführt, die ihr gesamtes Leben der Krankenpflege widmeten und auf Privatleben verzichteten, oft fanden hier auch von der Gesellschaft nicht gern gesehene unverheiratete Frauen eine Zuflucht. Erst nach 1945 wurde übrigens das Zölibat für die Schwestern aufgehoben! Sie leisteten eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, die heutzutage durch ein Drei-Schicht-System gewährleistet wird.

Rotkreuz-Schwester aus München in Feldausrüstung, 1915 (Foto: Verband der Schwesternschaften vom DRK e. V.)
Rotkreuz-Schwester, 1915Bild: DRK

Die dritte Säule in der Geschichte der deutschen Krankenpflege bildet die Kriegskrankenpflege vor allem durch die Schwesternschaft des Roten Kreuzes. Sie pflegten Kriegsverletzte und sicherten die Neutralität von Lazaretten. Initiator dieser Bewegung war der Schweizer Geschäftsmann Henry Dunant, der 1859 unfreiwillig Zeuge einer Schlacht wurde und sich fortan der Betreuung von Verletzten widmete.

Spiegel der Gesellschaft und der Politik

Seit 1902 gibt es eine Schwesternschaft an der Charité in Berlin. Der chronischen Unterversorgung versuchte man damit zu entgehen, indem bürgerliche Töchter höherer Stände angeworben wurden. Doch die Resonanz blieb verhalten.

Schwestern-Speisezimmer an der Charité um 1910 (Foto: Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité)
Schwestern-Speisezimmer an der Charité, um 1910Bild: Charité

1907 konnte das erste Mal ein Examen nach einer einjährigen Ausbildung abgelegt werden. Die Fortschritte im Ansehen des Berufes zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden durch die Gründung der NS-Schwesternschaft 1934 zunichte gemacht. Die Arbeit der Krankenschwestern wurde unter ein ideologisches Diktat gestellt. Gemeindeschwestern meldeten auffällige Kinder. In den Krankenhäusern fanden Zwangssterilisationen, Menschenversuche und Tötungen statt.

Bereits 1946 wurde in der sowjetisch besetzten Zone der Krankenhausbereich radikal verstaatlicht und die Ausbildung von Krankenhauspersonal auf ein akademisches Niveau gehoben. In den 1950er-Jahren wurde die Ausbildung an Fachschulen verlegt, 1981 dann sogar ein Diplom-Studiengang eingerichtet. In Westdeutschland wurde die Krankenpflege erst allmählich verstaatlicht. Prägend blieben zunächst die großen Schwesternschaften, also die konfessionelle Pflege.

Wenig Anlass zu Nostalgie

Alltagstracht des Agnes-Karll-Verbands um 1950 (Foto: Thomas Bruns)
Alltagstracht des Agnes-Karll-Verbands, um 1950Bild: Thomas Bruns

In der Ausstellung sind viele interessante historische Arbeitsutensilien zu sehen. Hier wird deutlich, wie sehr die Arbeitsbedingungen auch vom technischen Fortschritt abhängen. Eine große Erleichterung waren beispielsweise die Einführung von Gummimatten als Krankenbettunterlage oder die Einführung von Einwegspritzen, wodurch sich der Sterilisationsaufwand erheblich verringerte. Mehr Wert wurde früher auf Medikamentenlöffel oder Brüh-Tassen gelegt. Das martialisch anmutende Operationsbesteck eines Chirurgen allerdings lässt nostalgische Momente beim Ausstellungsbesucher schnell wieder verschwinden.

Verschwunden aus dem Arbeitsalltag sind die früher getragenen strengen Trachten, die typischen Ordensbroschen und die pflichtgemäße Kopfbedeckung. Die heutige Arbeitskleidung muss vor allem praktisch sein. Seit 2003 wurde die offizielle Berufsbezeichnung verändert in "Gesundheits- und Krankenpflege", um das Image zu verbessern. Ein Knochenjob aber bleibt dieser Beruf auf jeden Fall, wie es die Ausstellung eindringlich zeigt. Nahrungsaufnahme und -entsorgung bei Kranken zum Beispiel bleibt ein Bereich, der nicht von Maschinen geleistet werden kann. Die Begegnung mit dem Tod bleibt eine Grenzerfahrung, die zum Alltag in Krankenhäusern gehört.

Droht neuer Personalmangel?

Zwei Krankenpflegerinnen um einem Patienten an der Charité, 2011 (Foto: Thomas Bruns)
Krankenpflege an der Charité, 2011Bild: Thomas Bruns

Die Zivildienstleistenden haben in der Vergangenheit die Personalsituation im Kranken- und Pflegebereich erheblich aufgebessert. Zudem entschieden sich nicht wenige von ihnen, später einen Beruf in diesem Bereich zu ergreifen. Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht und dem Ende des klassischen Zivildienstes wird der Gesundheitsbereich aktuell wieder mit einem Nachwuchsproblem konfrontiert. Bleibt zu hoffen, dass der geplante Bundesfreiwilligendienst, der offiziell am 1. Juli 2011 startet, zu einer Entlastung führt.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Pia Gram