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Frauen ans Steuer

17. Juni 2011

Mit einer Protestaktion wollten Frauen in Saudi-Arabien erreichen, was sie bisher nicht dürfen: Autofahren. Doch in konservativen Kreisen formiert sich Widerstand.

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Saudische Frau schleißt Fahrzeug auf (Foto: dpa)
Seltener Anblick: Frauen am Steuer riskieren HaftstrafenBild: dpa - Bildfunk

"Heiße, stickige Luft! Stau! Dicht an dicht stehende Autos! Ein Verkehr, der nur sehr, sehr langsam vorankommt! Eine Klimaanlage, die nichts nützt! Das sind die Bilder in meinem Kopf, wenn ich mich frage, ob ich unter diesen Umständen überhaupt Auto fahren kann oder will", schreibt eine saudische Facebook-Userin in einer Notiz. Sie beschreibt dabei eine kurze Autofahrt, die sie - als Beifahrerin - unternehmen musste, um ihren Namen bei einer Behörde einzutragen. Eine "banale" Erledigung, für die sie bisher nicht nur ein Auto, sondern auch einen gesellschaftlich akzeptierten Fahrer braucht: Frauen dürfen im erzkonservativen islamischen Saudi-Arabien kein Auto fahren.

Strenge Anstandskriterien

Im reichen Saudi-Arabien gibt es aber auch keine öffentlichen Verkehrsmittel, die den Anstandskriterien entsprechen, die Frauen dort abverlangt werden. Sie dürfen nur in wenigen Ausnahmen ohne Begleitung eines männlichen Verwandten ersten Grades oder des Ehemannes das Haus verlassen. Für die kurze Strecke zur Behörde ließ sich die Facebook-Userin, die ihre Notiz unter dem Pseudonym "Großes störrisches Mädchen" gepostet hat, von ihrem Vater fahren. "Aber wenn ich die dicken Schweißtropfen auf der Stirn meines alternden Vaters sehe, der die Luft der Klimaanlage nicht ertragen kann, dann erfüllt mich der Wunsch, ihn von dieser unnötigen Last zu befreien", schreibt sie.

Haftstrafe fürs Autofahren

'women2drive' (Screenshot: DW)
Die Kampagne "women2drive" ermutigt Frauen zum Autofahren

Das "Große störrische Mädchen" ist eine der Administratorinnen der Facebook-Seite "Wir alle sind Manal Sharif – Aufruf zur Solidarität mit den Frauenrechten in Saudi-Arabien." Die Seite mit über 27.000 Fans ist eine von mehreren Gruppen auf Facebook, die die Kampagne "women2drive" betreiben. Ihr Ziel: Frauen sollen auch in Saudi-Arabien Auto fahren dürfen. Sie riefen alle Frauen, die im Besitz eines internationalen Führerscheins sind, dazu auf, am 17. Juni demonstrativ auf saudischen Straßen selbst Auto zu fahren. "Das Risiko, das gleiche Schicksal wie Manal Sharif zu erleben, ist dabei allerdings überhaupt nicht gering", sagt Hayat, eine 30-jährige Saudi-Araberin, die ihren vollständigen Namen nicht nennen will. Manal Sharif, eine geschiedene Mutter, bekam Ende Mai Ärger mit den Behörden, als sie ihr Auto eigenständig durch den saudischen Straßenverkehr gesteuert hatte. Trotzdem setzte sie sich aus Protest gleich wieder ans Lenkrad. Die Folge: Sie musste zehn Tage in Haft, bevor sie gegen Kaution freigelassen wurde.

Der Fall Manal Sharif habe den Stein ins Rollen gebracht, sagt Hayat. Sie selber unterstütze die Kampagne, "weil es ein ganz einfaches Recht ist, mein eigenes Auto fahren zu dürfen, ohne auf jemanden angewiesen zu sein." Das sei doch keine Angelegenheit, die die Sicherheit oder Stabilität des Landes bedrohe, sagt sie. Doch das Thema verursacht große Aufregung in Saudi-Arabien. Die überwiegend männlichen Verfechter des Frauen-Fahrverbots haben längst Kampagnen in sozialen Netzwerken gestartet, darunter die "Kampagne des Ikal" - so heißt eine schwere Kordel, mit der die traditionelle Kopfbedeckung der Männer befestigt wird. Die Kampagne ruft die Männer dazu auf, Frauen mit dieser Kordel zu schlagen, sollten sie sich dem Fahrverbot widersetzen. Die Resonanz ist jedoch zumindest bei Facebook bescheiden. Keine der zahlreichen Seiten hat bisher die 100-Fans-Marke überschritten.

Gegenkampagne mit Verschwörungstheorien

Saudische Frauen (Foto: picture-alliance)
Frauen fordern mehr GleichberechtigungBild: picture alliance/dpa

Die Befürworter des Fahrverbots warnen in Twitter-Tweets, Videobotschaften und Facebook-Notizen vor dem "Verderben" der Gesellschaft und nehmen das große Interesse westlicher Medien an "women2drive" als Beleg dafür, dass die Frauen-Kampagne vom Ausland gesteuert werde. Sie sehen eine "Verschwörung" ausländischer Mächte und bringen dabei, wie üblich, auch Israel ins Spiel. Ziel sei es, durch eine "Manipulation" der Frauen den "Zusammenhalt der frommen islamischen Gesellschaft" zu schwächen. Auch über die tiefere Bedeutung des Termins wird munter spekuliert: Als 1991 die erste Kampagne dieser Art gestartet wurde, war Saudi-Arabien in den Golfkrieg verwickelt. 2011 fühlt es sich von den arabischen Revolutionen bedroht. Auch dies wird als "Beweis" für eine ausländische Agenda herangezogen.

Die in den USA lebende saudische Journalistin und Frauenrechtlerin Hala Aldosari hält diese Argumente für absurd. Sie hat zusammen mit anderen Frauen einen offenen Brief an den saudischen König Abdallah verfasst mit dem Ersuchen, gesetzlich eine Fahrerlaubnis für Frauen zuzulassen. Von einer Manipulation durch das Ausland könne keine Rede sein, betont auch Aktivistin Hayat. Es gehe um gesellschaftlichen Fortschritt: "Die Kampagne für das Autofahren ist nur ein Symbol für den Kampf um die Frauenrechte in Saudi-Arabien", erklärt die 30-Jährige. "Ein Kampf dafür, dass ich die gleichen Zivilrechte bekomme wie die Männer und dass ich zum Beispiel in jedes öffentliche Gebäude gehen kann."

Blick auf Riad (Foto: dpa)
Blick auf die Dächer von Riad: konservative Gesellschaft in modernem GewandBild: picture-alliance/dpa

"Es wird immer Widerstände geben"

Die Argumente der Kampagnen-Gegner wundern die Frauen nicht. "Jede fortschrittliche Entwicklung hat Gegner, die diese stoppen wollen", erklärt Hayat: "Auch im Westen war der Widerstand groß, als man die Sklaverei abschaffen wollte, auch wenn man das sicherlich nicht ohne weiteres direkt miteinander vergleichen kann." Ihre Mitstreiterin Hala Aldosari ist dennoch optimistisch, dass das Anliegen der Frauen beim König auf ein positives Echo stoßen wird. Allerdings wäre auch dann noch mit Widerstand zu rechnen, sagt sie: "Das war schon so, als unser König den Mädchen den Zugang zur Bildung erlaubt hatte. Da musste der Staat die Schulgebäude sogar durch Polizisten schützen lassen." Die saudische Facebook-Userin "Großes störrisches Mädchen" will sich auch ihrem Vater zuliebe an der Frauen-Fahraktion beteiligen. "Mein lieber armer Vater", notiert sie, "du musst Mutter vom Krankenhaus und danach meine kleine Schwester von der Schule abholen. Danach musst Du die andere Schwester zur Uni fahren: Vier Frauen, die Du hin und her fahren musst, trotz der Hitze, die Dir zu schaffen macht. Für Dich, Vater, und für mich, will ich selbst Auto fahren."

Autor: Khalid El Kaoutit
Redaktion: Rainer Sollich