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Bürgerforum 2011

23. Mai 2011

Bundespräsident Christian Wulff startete Anfang des Jahres in 25 Regionen das bisher größte Online-Bürgerbeteilungsprojekt in Deutschland: das Bürgerforum 2011. Nun ging die regionale Phase zu Ende - auch unweit Berlins.

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Plakat zum Bürgerforum 2011 mit Handschlag (Foto: DW/Scholz)
Plakat zum Bürgerforum 2011Bild: DW

Das Kreishaus von Luckenwalde ist ein schickes modernes Bürogebäude. Eine Seitenfront ist komplett verglast, so dass viel Licht nach innen fällt. Der Hof ist romantisch begrünt. Von hier aus wird die Politik für den Landkreis Teltow-Fläming gemacht.

Diskussionsszene beim Bürgerforum im Kreishaus von Luckenwalde (Foto: DW/Scholz)
Diskussionsszene beim Bürgerforum im Kreishaus von LuckenwaldeBild: DW

Wenn Demokratie immer so einladend, transparent und offen wäre wie dieses Gebäude, dann müsste es das Bürgerforum wohl gar nicht geben. Rund 100 Bürger sind an diesem schönen Mai-Tag zur Abschlussveranstaltung ihres regionalen Bürgerforums gekommen.

Das "Bürgerforum2011" geht auf eine Idee des Bundespräsidenten zurück - es kommt also von ganz oben. Christian Wulff hatte Anfang des Jahres dieses bisher größte Online-Bürgerbeteiligungsprojekt in Deutschland gestartet, um der weitverbreiteten und vielzitierten Politikverdrossenheit etwas entgegen zu setzen.

Große Themen

Seitdem haben 10.000 Freiwillige in 25 Regionen des Landes an ganz realen und vor allem virtuellen Stammtischen über die Themenbereiche Bildung, Demografie, Solidarität, Integration und Familie diskutiert - so auch in Luckenwalde.

Landrat Peer Giesecke (Foto: DW/Scholz)
Landrat Peer Giesecke bekommt die Ergebnisse des regionalen Bürgerforums überreichtBild: DW

Das seien natürlich grundsätzliche Themen, die maßgeblich nur vom Gesetzgeber auf Landes- und Bundesebene gestaltet werden können, sagt der Landrat von Teltow-Fläming, Peer Giesecke. "Aber die Auswirkungen sind bei uns und wir müssen sehen, wie wir damit zu Recht kommen." Das sähe man auch beim Thema Mindestlohn.

Tausende Menschen in Gieseckes Landkreis können von ihrem Arbeitslohn allein nicht leben und bekommen deshalb Finanzhilfe vom Staat. Bezahlen muss das die Kommune. Dieses Geld aber fehle angesichts der schlechten Finanzlage für Kindergärten und Büchereien, sagt Giesecke. Also wäre es doch besser, wenn es einen einheitlichen Mindestlohn gäbe und die Firmen so viel Lohn zahlen würden, dass die Leute keine Hilfe mehr bräuchten. Die Diskutanten im Ausschuss Solidarität sahen das genauso und gaben dem Mindestlohn-Vorschlag die meisten Punkte.

Abstimmen im Internet

Staatssekretät Albrecht Gerber (Foto: DW/Scholz)
Unterstützer des Forums: Staatssekretär Albrecht Gerber, Leiter der Staatskanzlei des Landes BrandenburgBild: DW

Die Punktevergabe fand im Internet auf der Website des Bürgerforums statt. Hier hatten die Bürger gemeinsam Vorschläge erarbeitet und darüber diskutiert. Ein sogenannter Bürgerredakteur führte dann die einzelnen Textbausteine online zusammen.

Das technische Knowhow dazu kam von der Bertelsmann-Stiftung, die seit Jahren im Bereich der so genannten E-Participation aktiv ist. Unterstützung bekamen die Bürger aus Teltow-Fläming zusätzlich von der Landesregierung in Potsdam. Mehr Bürgerbeteiligung sei wichtig, betont der Leiter der Staatskanzlei des Landes Brandenburg, Albrecht Gerber: "Politik muss auf jeden Fall stärker und frühzeitig Bürger jenseits von Parlamenten einbeziehen. Dazu müssen wir neue Formen und Wege finden. Das Format, das der Bundespräsident entwickelt hat, ist ein solches Format."

Ehrliche Diskussionen

Gespannt ist Staatssekretär Gerber, welche Ergebnisse das Forum für die Politik in Deutschland haben wird. Auf jeden Fall sei das Internet das richtige Medium für ein solches Projekt - zumindest für die Diskussion im Vorfeld von Entscheidungen. "Am Ende verhandeln muss man von Mensch zu Mensch, man muss die Gestik und Mimik sehen können. Deshalb wird und kann das Internet auch nicht die Parlamente ersetzen."

Hier klingt an, was in den Berichten über E-Participation immer wieder zu finden ist, nämlich ein gewisser Kontrollverlust für die Politiker. Deshalb hätten die meisten Parteien in Deutschland vor allem auch im internationalen Vergleich bisher noch recht wenig Erfahrungen mit solchen Internet-Tools, meint Dominik Hierlemann, der bei der Bertelsmann-Stiftung das Projekt für das gesamte Bürgerforum leitet.

Mitmachen erwünscht

Insgesamt sei das Bürgerforum perfekt organisiert gewesen, lobt Christiane Witt aus dem Kreishaus in Luckenwalde, die vor Ort für die Organisation zuständig war. Dafür sei der Aufwand aber auch ziemlich hoch gewesen.

Christiane Witt, Kreisverwaltung Luckenwalde (Foto: DW/Scholz)
Christiane Witt von der Kreisverwaltung Luckenwalde hofft auf mehr Begeisterung für PolitikBild: DW

Rückblickend hätte sie sich noch mehr aktive Bürger gewünscht, vor allem mehr junge Leute. Vielen fehle wohl einfach die Zeit für die Demokratie, sagt Witt. Wichtig sei, die Mitbürger dazu zu bewegen, ihre Sorgen und Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. "Die Dinge würden sich viel schneller entwickeln, wenn die Bürger nicht nur zuhause und vorm Fernseher diskutieren, sondern miteinander ins Gespräch kommen."

In Luckenwalde wurde im Laufe des Samstag auch das eine oder andere Ventil geöffnet. Die Probleme könnten nicht gelöst werden, ohne das ganze System zu verändern, lautete eine der Meinungsäußerungen. Eine andere: Politiker könnten eh nichts bewirken. Das seien doch alles nur Sprechblasen hier - und so weiter. Volkes Stimme ist manchmal eben auch eher deftig. Aber wo Wut ist, da ist auch Leidenschaft. Und bei manchen ist dann der Weg in die Politik nicht mehr weit.

Mehr Bürger zur politischen Teilhabe zu animieren sei auch eines der langfristigen Ziele des Bürgerforums, sagt Projektleiter Hierlemann. In Luckenwalde wurde - wie in allen anderen Regionen auch - aus den Vorschlägen ein regionales Bürgerprogramm generiert, das jeder Kreistagsabgeordneter vorgelegt bekommt, sagt Landrat Giesecke. Und Christiane Witt hofft, dass nun einige Bürger beim Herbstforum oder den anderen ehrenamtliche Initiativen im Kreis mitmachen werden. Um die Bürger mit den Initiativen zu vernetzen, soll es sogenannte Engagementmarktplätze geben, so steht es in der Anleitung zum Bürgerforum.

Friede-Freude-Eierkuchen?

Als eine Erkenntnis aus dem Bürgerforum nennen einige Teilnehmer aus Luckenwalde aber auch, dass der Politiker-Beruf offenbar gar nicht so einfach sei. Schließlich hätten sie ja lernen müssen, für Vorschläge Mehrheiten zu finden und bei Problemen auch andere Blickwinkel einzubeziehen. Pia Weber zum Beispiel erinnert sich, wie schwierig es manchmal gewesen sei, einen Kompromiss bei den langwierigen Online-Diskussionen zu finden.

Dominik Hierlemann, Bertelsmann-Stiftung (Foto: Bertelsmann-Stiftung)
Dominik Hierlemann, Projektmanager bei der Bertelsmann-StiftungBild: Bertelsmann-Stiftung

"Das ist auch kein Friede-Freude-Eierkuchenprojekt. Demokratie zu lernen, ist manchmal recht anstrengend", sagt dann auch Dominik Hierlemann von der Bertelsmann-Stiftung.

Der demokratische Prozess beim Bürgerforum 2011 geht nach der an diesem Samstag beendeten regionalen Phase weiter: Nun wird im bundesweiten Forum über sechs finale Vorschläge abgestimmt, die dann abschließend feierlich dem Bundespräsidenten in Berlin überreicht werden. Vielleicht ist da ja dann auch etwas von den Leuten im Landkreis Teltow-Fläming - und auch für sie - dabei.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Hartmut Lüning