1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Opposition wirft Merkel Populismus vor

19. Mai 2011

Die Bundeskanzlerin kritisiert die Renten- und Urlaubsregelungen in hoch verschuldeten Euro-Ländern und löst damit Empörung aus. Derweil wird in Deutschland bereits über die Rente mit 69 diskutiert.

https://p.dw.com/p/11Jbh
Bundeskanzlerin Angela Merkel blickt während einer Presse-Konferenz mit leicht geöffneten Mund und fragenden Blick nach oben (Foto: AP)
Ihre Äußerungen schlugen hohe WellenBild: AP

Eigentlich wollte Angela Merkel schon 2010 ihre Partei-Freunde im Sauerland besuchen, musste den Termin jedoch kurzfristig absagen. Worüber sie damals gesprochen hätte, ist nicht überliefert. Hingegen ist das, was sie am Dienstag (17.05.2011) auf dem Familienfest der Christdemokraten (CDU) in der Kreisstadt Meschede zum Besten gab, Tage danach noch Gesprächsthema in halb Europa. Im Zusammenhang mit der Schulden-Krise mahnte die deutsche Regierungs-Chefin, es gehe nicht nur darum, keine Schulden zu machen. "Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen."

Die Reaktionen der politischen Opposition folgten prompt. Angela Merkel setze wieder einmal auf Populismus und Stimmungen statt auf sachliche Argumente, kritisierte der sozialdemokratische (SPD) Partei-Vorsitzende Sigmar Gabriel. "Damit schürt sie antieuropäische Ressentiments", sagte er "Spiegel Online". Ähnlich äußerte sich der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir. Merkels Kritik entspreche nicht der Wirklichkeit in Ländern wie Griechenland oder Portugal.

Griechen und Deutsche arbeiten fast gleich lang

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spricht mit erhobener Hand im Deutschen Bundestag (Foto: picture-alliance/dpa)
Sigmar Gabriel: "Merkel schürt antieuropäische Ressentiments"Bild: picture alliance/dpa

Ein Blick auf die Zahlen scheint Özdemirs Behauptung zu belegen. So liegt das tatsächliche Renten-Eintrittsalter in Griechenland bei 61,4 Jahren, in Deutschland bei 61,7. Trotz dieses nur geringen Unterschiedes rechtfertigte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans die Äußerungen Angela Merkels. Man rede nicht über "irgendeinen Einfall, irgendeine Idee", sagte er unter Hinweis auf einen Ende März gefassten Beschluss des Europäischen Rates. Dabei handele es sich um einen Maßnahmen-Katalog im Interesse der Stabilität des Euro-Raums und der Wettbewerbsfähigkeit aller Länder, insbesondere der schwächeren, erläuterte Steegmans.

Unterstützung von Außenminister Westerwelle

Rückendeckung erhielt Angela Merkel auch von ihrem freidemokratischen (FDP) Koalitionspartner. Außenminister Guido Westerwelle sagte, es sei kaum erklärbar, dass die Menschen in Deutschland mit 67 in Rente gehen sollen und gleichzeitig Länder um Hilfe bitten würden, die "aber selbst entsprechende Anpassungen beim Renten-Eintrittsalter bislang nicht vornehmen möchten". In der Tat werden Arbeitsnehmer in Deutschland von 2012 an länger berufstätig sein müssen, um in den Genuss der vollen Rente zu gelangen. Stufenweise wird der gesetzliche Renten-Beginn heraufgesetzt, im Jahre 2029 soll dann die Rente ab 67 für alle gelten.

Außenminister Guido Westerwelle während eines Interviews mit der Deutschen Welle (Foto: DW-TV)
Guido Westerwelle: "Renten-Unterschiede kaum erklärbar"Bild: DW-TV

Ginge es nach dem Sachverständigenrat der Bundesregierung, sollten die Menschen in der Zeit danach sogar bis 69 arbeiten, weil ihre Lebenserwartung immer mehr zunehme. In ihrem am Mittwoch (18.05.2011) in Berlin vorgestellten Gutachten verweisen sie darauf, dass Ruheständler heutzutage durchschnittlich gut 18 Jahre lang Rente bezögen, 1960 seien es lediglich zehn Jahre gewesen. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), zugleich Stellvertreter der Bundeskanzlerin, begrüßte die Empfehlungen des Sachverständigenrates. Die Lebenserwartung steige, die Menschen blieben länger gesund. "Dieses Geschenk müssen wir nutzen, um unsere Arbeitsmärkte und Sozialsysteme fit zu machen für die Zukunft", sagte Rösler.

Die anderen sollen sich "wirklich anstrengen"

Die von Angela Merkel ausgelöste Debatte dreht sich neben der Rente um ein weiteres Thema: Urlaub. Auch hier pocht die deutsche Regierungs-Chefin auf eine europäische Angleichung. "Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig", sagte sie bei ihrem Auftritt im Sauerland. Einige Länder hätten sich nicht an die Regeln für den Euro gehalten. Deutschland helfe, aber nur dann, "wenn sich die anderen wirklich anstrengen, und das muss nachgewiesen werden", verlangte Merkel.

Mit ihrem Vorstoß provoziere sie antideutsche Stimmungsmache in Europa, wetterte der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst. "Wenn die Menschen Europa mit Schrumpflöhnen, Schrumpfrenten und längeren Arbeitszeiten identifizieren, dann hat die europäische Idee keine Zukunft", sagte der ehemalige Gewerkschafts-Funktionär. Ernst hatte vor einigen Jahren die Sozialdemokraten verlassen, weil er deren als "Agenda 2010" bezeichnete Sozialpolitik ablehnt.

Der unter dem damaligen SPD-Bundeskanzler Gernhard Schröder eingeleitete Paradigmen-Wechsel führte unter anderem zur Anhebung des Renten-Einstiegsalters von 65 auf 67 Jahre. Beschlossen wurde diese Reform 2007 von der einer Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten. Bundeskanzlerin war damals schon Angela Merkel.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Sabine Faber