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Prozessauftakt Kepiro

5. Mai 2011

Einer der letzten NS-Verbrecher steht ab Donnerstag (5.5.) in Budapest vor Gericht wegen der Ermordung serbischer Zivilisten 1942. Die ungarische Justiz hat sich mit der Prozessaufnahme Zeit gelassen, so Kritiker.

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Nazi-Kriegsverbrecher Sandor Kepiro (Foto: dpad)
Sandor Kepiro ist zum dritten Mal wegen des Massakers von Novi Sad vor GerichtBild: dapd

Der 97-jährige Sandor Kepiro muss sich nun doch wegen der Ermordung von etwa 1.200 Serben, Juden und Roma aus dem nordserbischen Novi Sad im Januar 1942 verantworten. Kepiro war zu der Zeit Hauptmann der ungarischen Gendarmerie in dem von Nazi-Deutschland und dem faschistischen Ungarn besetzten Serbien. Mehrmals in Ungarn zu Haftstrafen verurteilt, entging er allerdings dem Strafvollzug, weil er über Österreich nach Argentinien flüchten konnte, wo er 50 Jahre lebte. Vor 15 Jahren kehrte er dann unbehelligt nach Ungarn zurück. Seitdem warten nicht nur die Überlebenden des Massakers darauf, dass die ungarische Justiz Kepiro den Prozess macht. Auf der Liste von Nazi-Jäger Efraim Zuroff vom "Simon-Wiesenthal-Zentrum" in Jerusalem ist Kepiro einer der fünf letzten noch lebenden NS-Verbrecher.

Ungarn - Land der Gegensätze

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban vor mehreren ungarischen Flaggen (Foto: AP)
Quo vadis Ungarn unter Orban?Bild: AP

Der Umgang der Justiz mit diesem Fall ist nur ein Beispiel für so manchen Antagonismus in Ungarn, das zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. So haben die jüngsten Ereignisse in dem EU-Land schon mehrfach Unmut bei den europäischen Nachbarn ausgelöst. Zunächst waren es die Änderungen des Mediengesetzes, nach denen mehr staatliche Kontrolle eingeführt wurde. Dann gab es Ausschreitungen von Rechtsextremen gegen Roma im Osten des Landes. Und schließlich wurden Verfassungsänderungen im Eilverfahren gebilligt. Im Mittelpunkt der Kritik stand, dass in die Verfassung der christliche Glaube als Staatsreligion und der ungarische Nationalstolz aufgenommen wurden.

Dem Fernsehjournalisten Gabor Bodis aus Budapest zufolge ist die Verfassungsänderung weder wegen ihres Inhalts problematisch noch zweifelt er ihre Gesetzmäßigkeit an, weil die Regierungspartei Fidesz eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament hat. Er hält indes einen ganz anderen Punkt bei der Verfassungsänderung für äußerst kritisch. "Höchst umstritten ist, dass die Oppositionsparteien nicht an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt wurden. Der Verfassungsentwurf ist darüber hinaus in der Rekordzeit von vier bis sechs Wochen vorbereitet worden, " so Bodis.

Die Journalistin Zsuzsanna Szerences aus Novi Sad beobachtet als Angehörige der ungarischen Minderheit in Serbien die Ereignisse in Ungarn intensiv und reist auch häufig dahin. Sie sagt, dieses Land sei sehr gegensätzlich. "Diese Gegensätze werden sehr leidenschaftlich ausgetragen - bis hin zu gegenseitigem Hass. Die gesamte Gesellschaft ist sehr gespalten", meint Szerences.

Tabu-Thema Kepiro

Ermordete Serben, Juden und Roma im Schnee. Sie wurden durch faschistische ungarische Truppen im 2. Weltkrieg in Novi Sad ermordet (Foto: Museum Vojvodina)
Beim Massaker von Novi Sad gemordert zu haben, leugnet KepiroBild: Museum Vojvodina

Szerences zufolge ist der Grund für diese Gegensätze die internationale Finanzkrise, wegen der Ungarn in einer schweren Wirtschaftskrise steckt. Die Regierung hat zur Bekämpfung der Krise ein striktes Sparpaket eingeführt und die öffentlichen Ausgaben stark eingeschränkt. Die meisten Ungarn seien darüber sehr unzufrieden, durch diese Krise sei der Alltag für die Menschen schwer zu bewältigen. Dass es zu wenige freie Stellen auf dem Arbeitsmarkt gebe, erleichtere die Lage zahlreicher Arbeitssuchender auch nicht. All diese Umstände wirkten sich negativ auf die Gesellschaft aus. "Dieses Milieu begünstigt gerade die Stärkung der extremen Rechten. Zugleich bereitet sich Gleichgültigkeit aus und lähmt jegliches gesellschaftliche und politische Engagement, das eine offene Gesellschaft ausmacht", sagt Zsuzsanna Szerences.

Symptomatisch für diese Gleichgültigkeit sei auch der Umgang mit dem Fall Kepiro. Der Prozessauftakt finde in ungarischen Medien kaum statt, sagt Gabor Bodis. "Das ist einThema in unabhängigen Medien. Die beschränken sich aber immer mehr auf das Internet. Ihr Internetauftritt wird auch immer populärer. Dort wurde der Prozess schon angekündigt, allerdings nicht sehr hoch gehängt. Interessant wird zu beobachten sein, wie vor allem die regierungsnahen Medien den Prozess verfolgen werden und die Medien, die noch weiter rechts stehen als die Regierung von Viktor Orban", so Bodis. Ihm zufolge ist es schwer einzuschätzen, ob der Fall Kepiro bewusst verschleppt wurde, "frei nach dem Motto, das Problem werde schon die Biologie lösen. Tatsache ist aber, dass die ungarische Justiz langsam ist", sagt Gabor Bodis. Die Langsamkeit der Justiz - so Zsuzsanna Szerences - lege die Vermutung nahe, dass vielleicht sogar erwartet wurde, dass sich das Problem von alleine lösen und der nunmehr 96-jährige Kepiro sterben würde und so kein Gericht über Kepiros Schuld entscheiden müsse.

Dass die Aufnahme des Prozesses im Fall Kepiro sich solange hingezoge habe, sei verwunderlich, wenn man die ungarische Vergangenheit berücksichtige, meinen die beiden Journalisten. Denn gleich nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Ungarn sehr wohl über die im Krieg begangenen Verbrechen sprechen können. Heute ist das Land in der EU und damit auch Mitglied einer Wertegemeinschaft, doch nun scheint es viel weniger Willen in der Gesellschaft zu geben, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Autoren: Dinko Gruhonjic / Mirjana Dikic
Redaktion: Robert Schwartz