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"Brasilien setzt Belo Monte-Staudamm mit Gewalt durch"

5. Mai 2011

Der deutsche Dokumentarfilmer Martin Kessler erhebt schwere Vorwürfe im Zusammenhang mit dem umstrittenen Staudamm-Projekt am Xingu-Fluss, wo die brasilianische Regierung ein gigantisches Wasserkraftwerk bauen will.

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Luftaufnahme vom Xingu Fluß im Amazonas-Regenwald in Brasilien (Foto: AP)
Im Amazonasbecken am Xingu-Fluss soll das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt entstehenBild: Art Wolfe/SAVE

Eher zufällig war Kessler vor drei Jahren auf das Projekt Belo Monte aufmerksam geworden. Damals begann der Journalist und Dokumentarfilmer mit den Recherchen zu einem Film für das Weltsozialforum 2009. Der alternative Gegengipfel zum Weltwirtschaftsforum in Davos fand in dem Jahr in Belém do Pará statt und befasste sich schwerpunktmäßig mit dem Amazonas-Urwald.

Dort plant die brasilianische Regierung den Bau des drittgrößten Wasserkraftwerks der Welt. Sie begründet das Milliarden-Projekt am Xingu-Fluss im Bundesstaat Pará mit dem Energiehunger der boomenden Volkswirtschaft. Indigene Volksgruppen, Umweltschützer und Kirchenvertreter warnen vor irreparablen Schäden.

Sechs Monate lang drehte Kessler im brasilianischen Urwald, filmte den Alltag in den indigenen Gemeinden und in den Städten, die von dem umstrittenen Staudamm Belo Monte direkt betroffen sein werden. Das Ergebnis ist der Dokumentarfilm "Eine andere Welt ist möglich – der Kampf um Amazonien". Das Thema hat ihn auch nach Abschluss der Dreharbeiten nicht mehr losgelassen. Im Januar und Februar folgten weitere Aufnahmen für die Video-Dokumentation "Countdown am Xingu", die jetzt veröffentlicht worden ist.

Fischersiedlung am Ufer des Rio Xingu (Foto: AP)
Städte und Dörfer wie dieses am Ufer des Rio Xingu würden durch den Belo Monte Staudamm überfutetBild: APImages

Brasilien braucht preiswerte Energie

Im Gespräch mit DW-WORLD.de zeigte sich Kessler "geschockt darüber, mit welcher Brutalität auch die neue brasilianische Regierung dieses Projekt verfolgt, trotz der bekannten Mängel und Defizite im Genehmigungsverfahren." Gegen den Bau des Staudamms hatten 13 Nichtregierungsorganisationen im Dezember 2010 Klage bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eingereicht. Durch die geplante Überflutung von 500 Quadratkilometern Wald und Anbauflächen würden dort lebende Indianer existenziell bedroht, hieß es. Es sei "unbestritten, dass die Indigenen nicht ausreichend gehört worden sind", kritisiert Martin Kessler. Außerdem sie vollkommen unklar, welche Auswirkungen der Staudamm auf die Wasserqualität haben wird. "Es kann sein, dass ein toter Stausee entsteht, in dem sich die Moskitos vermehren so dass die Bevölkerung dann unter Malaria zu leiden haben wird", befürchtet der Journalist.

Demonstration von Angehörigen indigener Völker Brasiliens gegen den Belo Monte Staudamm (Foto: AP)
Im In- und Ausland protestieren Vertreter indigener Gemeinden gegen den Bau des Belo Monte StaudammsBild: AP

Doch trotz der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen die Vorabgenehmigungen wolle die brasilianische Regierung das Projekt "unbedingt vorantreiben, weil klar ist, dass die Brasiliens weitere wirtschaftliche Entwicklung von preiswerter Energie abhängt", so Kesslers Fazit. Der Belo-Monte-Staudamm ist das größte Projekt in dem Wachstumsbeschleunigungsprogramm, dass die brasilianischen Regierung für die kommenden Jahre aufgelegt hat. Die achtgrößte Volkswirtschaft erlebt zurzeit einen Wirtschaftsboom. Nach einem Wachstum von 7,5 Prozent im vergangenen Jahr rechnen Analysten mit einem konstanten Plus von 4,5 bis 5 Prozent für die kommenden Jahre.

Die Kommission für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat die brasilianische Regierung aufgefordert, das Genehmigungsverfahren und sämtliche Bauarbeiten an dem Projekt auszusetzen.

Europäische Interessen

Martin Kessler wirft Europa vor, aus wirtschaftlichen Interessen die Zerstörung des Amazonas-Urwalds billigend in Kauf zu nehmen. An dem Bau des Belo-Monte-Staudamms sind unter anderem der österreichische Anlagenbauer Andritz, der französische Alstom-Konzern und die deutsche Firma Voith Hydro, die zum Siemens-Konzern gehört, beteiligt. Alle diese Unternehmen "argumentieren rein formal, wenn sie sagen, Brasilien ist ein Rechtsstaat, und das Projekt sei genehmigt, deswegen können wir dieses Geschäft machen. Dabei wissen diese Firmen, die in Brasilien mit Niederlassung vertreten sind, sehr genau wie kontrovers diese Auseinandersetzung geführt wird und wie juristisch umstritten das Projekt ist", kritisiert der Dokumentarfilmer, den Europa "Doppelmoral" vorwirft.

Siemens Werk in Brasilien (Foto: AP)
Siemens ist über das Unternehmen Voith Hydra am Bau des Staudamms beteiligtBild: presse

So importieren europäische Autohersteller Aluminium aus Brasilien "und werben dann damit, es handele sich um einen umweltfreundlichen Werkstoff, weil er leicht ist und den Kraftstoffverbrauch senkt", so Kessler gegenüber DW-WORLD.de. "Früher hat man in Deutschland viel Aluminium hergestellt. Inzwischen ist das den Deutschen zu teuer, es verbraucht zu viel Energie, die Umwelt wird zu sehr belastet und dann ist man froh, wenn es in Amazonien stattfindet. Das aber sind Zusammenhänge, die man hier in der Öffentlichkeit in Deutschland überhaupt nicht diskutiert", bilanziert Kessler.

Doch trotz wachsender internationaler Kritik gibt sich der Brasilien-Kenner realistisch: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass Belo Monte gebaut wird. Brasilien braucht dringend preiswerte Energie für sein wirtschaftliches Wachstum." Gleichzeitig fordert Martin Kessler, man solle den Gerichten Zeit geben, den anstehenden Klagen nachzugehen. "In dieser Zeit müsste in der brasilianischen Gesellschaft intensiver darüber diskutiert werden, welche Art von wirtschaftlichem Wachstum man will und zu welchem Preis? Um den Preis der Naturzerstörung?"

Autorin: Nadia Pontes
Redaktion: Mirjam Gehrke