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Kriegsverbrecherprozess in Stuttgart

4. Mai 2011

Noch nie wurde ein Mitglied der brutalen ruandischen Hutu-Miliz FDLR für die Verbrechen im Kongo verantwortlich gemacht. Jetzt hat in Stuttgart ein Prozess gegen zwei FDLR-Anführer begonnen.

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Der mutmaßliche afrikanische Kriegsverbrecher Straton Musoni trägt Anzug. Vor ihm steht ein Polizist. (Foto: AP)
Mutmaßlicher Kriegsverbrecher in Stuttgart vor Gericht: Straton MusoniBild: picture-alliance/dpa

Zu Prozessbeginn am Mittwoch (04.05.2011) warfen die Anwälte der beiden Milizenchefs der deutschen Justiz Parteilichkeit vor. "Das Strafverfahren gegen unsere Mandanten ist ein politischer Prozess", schreiben die Anwälte der beiden angeklagten Ruander Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni in einer gemeinsamen Erklärung.

Bei dem Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart werden den Anführern der ruandischen Rebellengruppe FDLR 26 Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 39 Kriegsverbrechen vorgeworfen - darunter auch gezielte Massenvergewaltigungen wie sie beispielsweise in dem kongolesischen Dorf Luvungi geschahen. Für die Verbrechen in Luvungi können die beiden Milizenchefs allerdings nicht angeklagt werden.

Was in dem Dorf geschah

Luvungi, das ist eines dieser kleinen Dörfer, tief im kongolesischen Dschungel. Ein paar hundert Lehmhütten mit Strohdächern schmiegen sich an die Hänge. Dahinter ragt der dunkle Regenwald empor.

Der Dschungel im Ostkongo - Rückzugsort für die Rebellen (Foto: DW/Schlindwein)
Der Dschungel im Ostkongo - Rückzugsort für die RebellenBild: Simone Schlindwein

Hier sind die Rebellen der ruandischen Hutu-Miliz FDLR die Herrscher. Sie graben in den Minen nach Gold. Sie kontrollieren die wenigen Zugangswege, die in den Wald hineinführen. Und sie malträtieren die Bevölkerung, berichtet Marie. "Die Attacke passierte im vergangenen Jahr, am 30. Juni. Die Rebellen kamen am späten Abend, so gegen elf Uhr“, erinnert sie sich. "Sie gingen in kleinen Gruppen von Haus zu Haus. Sie traten die Holztüren ein. Sie haben meinen Mann gepackt und festgehalten. Dann haben sie mich an den Haaren auf den Boden gezerrt“, erzählt sie leise. Marie wurde mehrfach vergewaltigt. Ebenso ihre dreijährige Tochter.

Eine gezielte Racheaktion

Was die FDLR-Rebellen den Frauen angetan haben, ist kein Einzelfall. Besonders erschreckend ist, dass die Taten von den FDLR-Kommandeuren befohlen, gezielt geplant und systematisch ausgeführt werden. Es ist eine Taktik, eine Waffe der Kriegsführung.

Mädchen mit Wasserkanister im Flüchtlingslager Muganga III in Goma, Ost-Kongo (Foto: DW/Schaeffer)
Gezielt Opfer von Gewalt: FrauenBild: Ute Schaeffer

Die Ermittlungen des hiesigen Polizeichefs Josephat Mutayongwa ergaben: Der Überfall auf Luvungi war eine gezielte Bestrafungsaktion. Der Angriff auf Luvungi und die umliegenden Dörfer war ein interner Konflikt. Die FDLR hatte zuvor ein Bündnis mit einer lokalen, kongolesischen Rebellengruppe geschlossen, den Mai-Mai unter Kommandeur Checka. Doch die beiden Gruppen hatten sich bei einem Streit um die Kontrolle der Goldminen überworfen. Mutayongwa fand heraus, warum die FDLR ausgerechnet Luvungi und die umliegenden Dörfer überfiel: "Checka und seine Anhänger stammen aus diesen Dörfern, ihre Eltern, Frauen und Kinder leben hier. Die Frauen systematisch zu vergewaltigen, das war eine Rache an Checka“, sagt er.

Die Massenvergewaltigungen geschahen im vergangenen Jahr, bereits nach der Verhaftung der Rebellenchefs in Deutschland. Sie können dafür also nicht angeklagt werden. Dennoch: Was in Luvungi geschah, das geschieht in den Wäldern der Demokratischen Republik Kongo jeden Tag. Seit 16 Jahren. Systematischer, von den Anführern befohlener Terror. FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und dessen Vize Straton Musoni sind jetzt dafür angeklagt: Für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vor Gericht gilt es zu beweisen, dass die beiden, bislang in Deutschland als Flüchtlinge anerkannten Ruander, das Kommando über die Miliz hatten. Die von den UN entwaffneten Rebellen können dies bestätigen.

FDLR-Chef gibt die Befehle aus Deutschland

Befragung von Ex-Rebellen im Auffanglager Mutobo (Foto: DW/Schlindwein)
Befragung von Ex-Rebellen im Auffanglager MutoboBild: Simone Schlindwein

Gesang hallt aus der Wellblech-Halle mit den Plexiglas-Fenstern. Mehr als 300 Männer sitzen auf Holzbänken, ehemalige Rebellen. Wenn die UN-Mitarbeiter hier in die Runde fragten und sich nach den Anführern der FDLR erkundigten – nach denen, die die Befehle geben und über Krieg und Frieden entscheiden – dann hörten sie stets einen einzigen Namen: Ignace Murwanashyaka. Er habe das Kommando, bestätigt ein hochrangiger FDLR-Major. Die FDLR-Verfassung besagt, die Miliz hat einen politischen und einen militärischen Flügel. Der gewählte FDLR-Präsident Murwanashyaka in Deutschland ist Chef des politischen Flügels, aber er hat auch die Hoheit über das Militär. Laut Statut ist er der Oberkommandierende. Der Major erklärt, "der nächste, ranghöchste General ist Sylvestre Mudacumura. Er ist sein treuer Untergebener und guter Freund von Murwanashyaka."

UN-Patrouille in Luvungi (Foto: DW/Schlindwein)
UN-Patrouille in LuvungiBild: Simone Schlindwein

Es war 2009, als die UN einen Funkspruch abfingen. Darin gab Militärchef Mudacumura den Befehl, beispiellosen Terror zu entfachen. Daraufhin kam es in den Dschungeldörfern zu einer Serie brutaler Massaker. Die Loglisten beweisen: Mudacumura kommunizierte vor und nach den Massakern mit Murwanashyaka in Deutschland. So auch am 9. Mai 2009. In dieser Nacht gingen die Häuser im Dschungel-Dorf Busurungi in Flammen auf. Fast 100 Menschen wurden getötet. Leutnant Ismael war in dieser Nacht dort. "Uns wurde befohlen, die Häuser anzuzünden“, gesteht er. Der Befehl habe gelautet: Erstens, die Bevölkerung zu zwingen, die Häuser zu verlassen. Zweitens: den Soldaten keine Verstecke zu bieten. Drittens: So viele Menschen wie möglich zu Flüchtlingen zu machen – damit die Menschen in Zukunft die Soldaten nicht mehr unterstützen. Leutnant Ismael erklärt, "Das ist unsere allgemeine Strategie. Dieser Befehl kam von oben und wurde an mich weiter gegeben. Ich war nur derjenige, der ihn ausführte.“

Dies war ein Befehl, der für sämtliche Angriffe galt und bis heute gültig ist. Ismael ist sich sicher, dass Murwanashyaka in Deutschland diesen Befehl gegeben habe. Und dafür müssen sich die Anführer in Deutschland nun vor Gericht verantworten. Der Prozess, der nun in Deutschland beginnt, ist ein Meilenstein. Denn nicht nur Marie aus Luvungi - sondern auch viele andere Menschen im Kongo hoffen, dass die FDLR für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird.

Autorin: Simone Schlindwein
Redaktion: Stefanie Duckstein