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Biosprit mit Nebenwirkung

11. April 2011

"Der Biospritboom in Europa macht uns krank." Das jedenfalls behaupten nicaraguanische Landarbeiter. In Deutschland suchen sie deshalb Beistand gegen das mächtigste Unternehmen ihres Landes.

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Landarbeiter bei der Zuckerrohrernte (Foto: dpa)
Zuckerrohrernte in ChinandegaBild: picture-alliance/dpa

"Für uns sind die Zuckerrohrfelder die Mutter der Krankheit". Carmen Rios sagt es in der leisen, sanften Tonlage der Landbewohner. Die kleine, etwas füllige Frau stammt aus einem kleinen Örtchen El Viejo in der Provinz Chinandega an der nikaraguanischen Pazifikküste. Dort erstrecken sich die Plantagen des nikaraguanischen Zuckerimperiums Pellas, die nach Ansicht von Carmen Rios untrennbar verbunden sind mit dem schleichenden Tod.

Vor neun Jahren starb ihr Mann, vor fünf Jahren der Bruder, vor nicht einmal einem Jahr raffte es den Vater dahin. Zwei andere Brüder sind erkrankt, sagt sie. Immer dieselbe Diagnose: IRC. Es ist das spanische Kürzel für chronisches Nierenversagen (Insuficiencia Renal Crónica).

Pestizide als Krankheitsursache

Carmen Rios ist unsicher, ob sie selbst die Krankheit, die erst im späten Stadium Beschwerden macht, nicht ebenfalls in sich trägt. In Deutschland will sie sich untersuchen lassen. Denn die 55jährige hat zwar nicht in den Plantagen gearbeitet, aber sie hat das Brunnenwasser getrunken, in dem Gutachter verschiedenste Pestizide nachgewiesen haben. Sie hat den Qualm eingeatmet, der entsteht, wenn vor dem Schneiden des Zuckerrohrs die chemikaliengetränkten Blätter der Pflanzen abgebrannt werden.

Carmen Rios führt heute die "Vereinigung an Niereninsuffizienz Erkrankter" ANAIRC (Asociación Nicaragüense de Afectados por Insuficiencia Renal Crónica) an. Es ist der Zusammenschluss von mehr als 300 betroffenen ehemaligen Zuckerrohrarbeitern, die sich mit der wirtschaftlich mächtigsten Familie Nicaraguas anlegen, den Pellas. Sie haben Klage eingereicht, veranstalten seit fast zwei Jahren ein Protestcamp in der Nähe des Unternehmenssitzes in Managua und fordern im Internet zum Boykott der beliebten Rumsorte "Flor de Cana" auf.

Schinderei in glühender Hitze

Nicaraguaner Carmen Rios und Camilo Navas auf dem Balkon des Berliner Pressehauses (Foto: DW) Foto:Bernd Gräßler
Carmen Rios und Camilo Navas: Suche nach UnterstützungBild: DW

Dem Pellas-Unternehmen Nicaragua Sugar Ltd. werfen die IRC-Opfer vor, dass die Schinderei in glühender Hitze, ohne sauberes Trinkwasser und inmitten der von Chemikalien verseuchten Zuckerrohrplantagen daran Schuld seien, wenn in der Pazifikregion um die Städte Chinandega und Leon massenhaft Menschen an chronischem Nierenversagen dahinsiechen. Sie wollen Entschädigung, bessere Arbeitsbedingungen und einen völligen Verzicht auf Pestizide beim Zuckerrohranbau. Das Problem für die Opfer-Vereinigung: Bisher gibt es kein wissenschaftliches Gutachten, das die Arbeit in der Zuckerfabrik San Antonio als eindeutige Ursache für das Siechtum Tausender definiert.

Die Indizien dafür hält jedoch nicht nur Carmen Rios für ausreichend, auch zahlreiche entwicklungspolitische Organisationen in Deutschland tun das. Und so tourt Carmen Rios derzeit gemeinsam mit einem Journalistikstudenten aus Managua, der mit den Landarbeitern sympathisiert, auf Einladung des Heidelberger Nicaragua-Forums durch Deutschland, um kund zu tun: Den Biospritboom in Europa bezahlen wir Nikaraguaner mit unserer Gesundheit. Denn Ihr Europäer seid schuld daran, wenn statt Mais, Reis, Weizen immer mehr Zuckerrohr angebaut wird und zwar auf gesundheitsschädliche Weise.

Bioethanol für Europa

Rumflasche "Flor de Cana"; Quelle: commons.wikimedia.org
Boykottaufruf gegen "Flor de Cana"Bild: by-sa/Purple-editor

Bekannt ist, dass Nicaragua seit drei Jahren Bioethanol nach Europa liefert, für die Saison 2009/2010 waren 80 Millionen Litern avisiert. Nach den Richtlinien der Europäischen Union muss dieser Biosprit nachhaltig produziert sein, hieß es auch im Bundestagsausschuss beruhigend. Doch über den Gesundheitsschutz derjenigen, die das Zuckerrohr ernten, aus dem später der Sprit entsteht, steht in den eruopäischen Nachhaltigkeitsrichtlinien nichts.

5341 IRC-Tote hat die nikaraguanische Opferorganisation ANAIRC seit 2005 registriert, über 8-tausend Erkrankte gebe es. Laut einer Studie der Universität Boston liegt die IRC-Rate in den Regionen Chinandega und Leon zehnmal höher als in den USA. Der nicaraguanische Staat habe in den letzten Jahren einiges getan, um das Schicksal der Kranken zu erleichtern, sagte Carmen Rios. So gebe es im Krankenhaus von Chinandega mittlerweile immerhin 40 Dialyse-Plätze und eine bessere Medikamentenversorgung.

Hat sich die Lage verbessert?

Zuckerunternehmer Pellas läßt im Internet verbreiten, heute setze man auf seinen Plantagen gar keine oder kaum noch Pestizide im Zuckerrohranbau ein, es gebe Schutzkleidung und die Arbeiter müssten nicht mehr stundenlang in der Mittagshitze schuften, um auf ihr Geld zu kommen. Doch Carmen Rios hält das für unwahr:

Auf den Plantagen von "San Antonio" habe sich nicht viel geändert, behauptet sie. Die Pflanzenblätter würden weiter vor dem Schnitt abgebrannt, erkrankte Arbeiter berichteten immer wieder, mit welchen Chemikalien sie zu tun gehabt hätten. Allerdings untersuche das Unternehmen regelmäßig die Blutwerte der Beschäftigten: Um sie beim Anzeichen einer Erkrankung zu entlassen.

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Martin Muno