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China bleibt Werkbank trotz steigender Löhne

22. März 2011

Chinesische Arbeiter bekommen mehr Lohn. Laut Meinung einiger Medien naht daher das "Ende der Billig-Jeans". Außerdem könnten die Bekleidungsproduzenten bald in andere asiatische Länder weiterziehen.

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Chinesische Näherinnen in einer Fabrik (Foto: AP)
China - Werkbank der westlichen BekleidungsindustrieBild: AP
Jürgen Matthes (Foto: Institut der deutschen Wirtschaft)
Jürgen Matthes: "Es trifft alle Branchen"Bild: IW Köln

Die Jeans für 19 Euro, das Hemd für gerade mal fünf Euro - möglich sind solche Schnäppchen nur wegen der niedrigen Löhne in China. Doch das könnte sich ändern, denn die Löhne in der Werkbank des Westens steigen.

Diese Entwicklung hat einen fast absurden Hintergrund: Selbstmorde von verzweifelten chinesischen Fabrikarbeitern des Apple Zulieferers Foxconn Mitte letzen Jahres haben viele Unternehmer und die Zentralregierung in Peking zum Umdenken gebracht. Man will sozialen Revolten entgegensteuern, denn auch die Verbraucherpreise in der florierenden Volksrepublik steigen kontinuierlich, und die jungen Chinesen sind immer besser ausgebildet.

Mehr Rationalisierung geht kaum

Der neue Fünfjahresplan des Volkskongresses hat deshalb eine Erhöhung des Mindestlohns um 13 Prozent pro Jahr beschlossen. Einige Firmen in den Industriezentren an der Ostküste packen da noch etwas drauf: Von 20 bis sogar 70 Prozent mehr Lohn ist die Rede. Für die Unternehmen, die in China produzieren lassen, steigen somit die Produktionskosten.

Das träfe alle Branchen - und in der Textilindustrie vor allem die Produzenten von Bekleidung, denn hier würde sehr viel Arbeit benötigt, so Jürgen Matthes vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Hier kann man eben schlecht rationalisieren, da sitzen meistens Näherinnen in einer großen Halle und nähen an ihren Maschinen."

Arbeitskräfte werden knapp

Ein Blick auf die Statistik verrät: Das weltweite Volumen chinesischer Textilexporte steigt konstant. Für die deutsche Bekleidungsindustrie ist China immer noch der größte Beschaffungsmarkt. Laut Modeverband German Fashion haben deutsche Unternehmen im Jahr 2010 beinahe zehn Prozent mehr Bekleidung in China fertigen lassen als im Jahr davor - auch das führt zu Problemen: "Dort wo die Unternehmen momentan produzieren, gibt es neben den Lohnsteigerungen auch eine Verknappung von Arbeitskräften, die uns Sorge bereitet", sagt Sven Eriskat vom Gesamtverband Textil und Mode, der 1300 deutsche Unternehmen vertritt.

Zieht die Karawane weiter?

Nach Einschätzungen von Wirtschaftsforschern ist deshalb jetzt der kritische Moment gekommen, in dem die Bekleidungshersteller in andere Länder ziehen, in denen die Arbeitskraft günstiger ist. "Im asiatischen Raum wird die Karawane jetzt weiterziehen in Länder, in denen die Arbeitskosten deutlich geringer sind", so Jürgen Matthes. "Das könnten Länder sein, die im Entwicklungsstand deutlich zurückliegen, wie beispielsweise Laos, Kambodscha, Vietnam oder Bangladesch."

Beim Gesamtverband Mode und Textil glaubt man aber nicht, dass diese Entwicklung auch auf die deutschen Unternehmen zutreffen wird. Wegen ihres Qualitätsanspruchs sind diese kurz- bis mittelfristig auf die chinesischen Produzenten angewiesen. "Es gibt wenige Länder dieser Welt, die diese Fertigungstiefe und damit auch diese Qualität anbieten," so Sven Eriskat. Allerdings könnten die chinesischen Unternehmen auch die Preissteigerung bei den Löhnen und beim Transport durch höhere Rohstoffpreise nicht kompensieren. "Deshalb wird es einen Effekt geben für den Konsumenten, aber ich sehe jetzt nicht diese große Flucht raus aus China in die anderen Regionen."

Bei 1,3 Milliarden Konsumenten will keiner fehlen

Hinzu kommt, dass der chinesische Absatzmarkt natürlich auch für die deutsche Bekleidungshersteller interessant ist. 1,3 Milliarden Konsumenten - da will keiner fehlen und Marktnähe ist schließlich auch für die Bekleidungsindustrie ein Wettbewerbsvorteil. Für den Schuh- und Sportbekleidungshersteller Adidas ist China mittlerweile der zweitgrößte Absatzmarkt. 2500 neue Adidas-Shops sollen dort entstehen. Einige Adidas-Produkte werden zwar auch in anderen asiatischen Ländern gefertigt. Ein Drittel lässt der Konzern aus Herzogenaurach aber in China herstellen.

Jan Runau, Unternehmenssprecher bei Adidas, geht deshalb davon aus, dass China nach wie vor das größte Produktionsland für Sportschuhe bleiben wird. Allerdings würde die Sportartikelindustrie weiter wachsen. "Dann braucht man auch neue Produktionskapazitäten, und die werden dann in anderen asiatischen Staaten entstehen, wie zum Beispiel in Indonesien, Kambodscha oder Vietnam." Die bestehende Schuhproduktion werde aber sicherlich in China bleiben.

China wird also auch 2011, zumindest was die deutsche Bekleidungsindustrie betrifft, die Werkbank des Westens bleiben. Durch höhere Löhne und Produktionsengpässe kann es auch sein, dass die Billig-Jeans anstelle von 19 bald 25 Euro kosten wird. Gut möglich aber auch, dass nicht einmal das der Fall ist. Denn viele chinesische Zulieferfirmen wollen nun verstärkt im stark provinziellen und verarmten Landesinneren produzieren. Dort sind die Lohnerwartungen nämlich noch niedriger. Der Apple-Zulieferer Foxconn macht da bereits den Anfang: 200.000 Arbeitsplätze sollen schon bald von der Ostküste ins Hinterland umsiedeln.

Autor: Nicolas Martin
Redaktion: Rolf Wenkel

Jan Runau - Unternehmenssprecher bei Adidas (Foto: Adidas)
Jan Runau: "Textilindustrie wächst"Bild: Adidas
Menschen in einer Einkaufsstraße (Foto: Eric Pawlitzky)
Viele potentielle KonsumentenBild: Eric Pawlitzky
Sven Ersikat vom Gesamtverband Textil und Mode (Foto: Gesamtverband Textil und Mode)
Sven Eriskat: "Effekt für Konsumenten"Bild: Gesamtverband Textil und Mode
Chinesischer Volkskongress (Foto: AP)
Der Mindestlohn steigt um 13 ProzentBild: AP