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Tunesien zwischen Facebook und Friedensdemo

1. März 2011

Politischer Hip Hop, Gitarrenpop oder engagierte Dokumentarfilme: Der Kreativität sind keine Grenzen mehr gesetzt - Tunesiens Jugend streift die Passivität ab, die das Ben Ali-Regime ihr aufgedrängt hatte.

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Tunesischer Rapper El Général(Foto: picture-alliance/dpa)
Der tunesische Rapper El Général rechnet musikalisch mit Ben Ali abBild: picture-alliance/dpa

"Hey, Präsident, dein Volk stirbt, die Menschen hungern und leben wie die Hunde - und Du lässt Deine Polizei auf sie los." Musikalisch gesehen hat er in Tunesien den Jasmin gesät: Rapper El Général. Sein Song Rayes Le Bled kursierte schon vor Ben Alis Sturz im Internet. Eine schonungslose, eine wütende Abrechnung mit Ben Ali. Dem Rapper bescherte der Track eine grauenvolle Zeit im Gefängnis - aber er war auch der Funke, der in den Köpfen vieler junger Tunesier die Empörung erst so richtig angefacht hat.

Heute fürchtet sich keiner mehr vor Ben Ali. Die jungen Tunesier schreiben, sie machen Filme, lachen über ihn. So wie auf dem Campus der Technischen Universität von Tunis. Ein Student imitiert den Ex-Präsidenten, der jammernd davon schwärmt, wie schön es doch war als Diktator auf den Hügeln von Karthago. Und der dann den Satz sagt, den der echte Ben Ali niemals über die Lippen gebracht hätte: "Es lebe das freie, demokratische Tunesien!" Ein grandioser Triumph.

Tunesiens Jugend räumt auf

Und natürlich bleibt die Jasmin-Revolution online: Demos, Kundgebungen, Veranstaltungen werden über Facebook, Twitter und in zahlreichen Blogs verbreitet - mit beeindruckender Wirkung. Das Netz hat dafür gesorgt, dass der Hörsaal der Uni voll ist bis unters Dach. Die Menge ist begeistert - feiert die Helden der Revolution - und sich selbst. Hier zeigt sich das neue Gemeinschaftsgefühl. Der Informatikstudent Walid staunt immer wieder, wie rasend schnell sich seine Generation verändert hat. Alles sei jetzt anders: "Die jungen Leute interessieren sich plötzlich nicht nur für ihr Studium, für den Sport oder für Parties - sie engagieren sich, organisieren Demos, haben kreative Ideen - kein Vergleich zu früher!"

Tunesiens Jugend ist aufgewacht. Darf endlich stolz sein auf ihr Land. Kein Sit-In, kein Marsch, kein Konzert ohne Fahne - und immer erklingt irgendwo die Nationalhymne.

In Tunis kehren studentische Reinigungskommandos symbolisch die Avenue Bourguiba (Foto: picture-alliance/dpa)
Der alte Dreck muss weg, finden Studenten in TunisBild: picture-alliance/dpa

In Tunis kehren studentische Reinigungskommandos symbolisch die Avenue Bourguiba. Eine klare Ansage. Die Jungen kommen, um aufzuräumen. Alle wollen dabei sein, ihr Bestes geben, Verantwortung übernehmen. Zu Ben Alis Zeiten habe sie sich wertlos gefühlt, sagt Seba, die Maschinenbau studiert. Nun hätten alle jungen Leute dringenden Nachholbedarf - was den Umgang mit der Freiheit angeht. Es sei nicht einfach zu begreifen, was gerade geschehe. "23 Jahre haben die Menschen in diesem Land keine Luft bekommen. Und jetzt ist es, als ob der Vogel aus seinem Käfig herausfliegen kann und noch nicht weiß, wie er das schaffen soll", erklärt Seba. Der Vogel müsse, ergänzt sie, ein paar Schritte Anlauf nehmen, und dafür bräuchten die Tunesier viel Mut.

Kraft für eine neue Generation

Eine ordentliche Dosis Mut verabreicht der Musiker Bendir Man bei seinen Konzerten. Unter Ben Ali konnte er nur im Untergrund spielen, bei geheimen Auftritten vor einer Handvoll Leuten. Heute kommen Tausende, um das Energiebündel mit der Baseball-Kappe und den politischen Texten auf der Bühne zu erleben. Natürlich werden Konzerttermine getwittert - und mitsingen kann sowieso jeder. Denn selbstverständlich ist Bendir Mans Musik auf Internetplattformen wie Youtube und Dailymotion zu finden. Auch sein Lied System, eine Satire auf die völlig erstarrte Politik und den Personenkult des Präsidenten, geistert schon lange durchs Netz.

Ein Demonstrant schwingt die tunesische Flagge. (Foto: AP Photo/Thibault Camus)
Tunesiens Jugend lässt sich nicht mehr einschüchternBild: AP

Bendir Man selbst ist überwältigt von den aktuellen Geschehnissen in seinem Land: "Das ist der Wahnsinn... das ist die pure Energie. Und ich trage meinen Teil dazu bei, dass diese Kraft die Leute auf ihrem Weg in ein neues Land weiterbringt!" Der Musiker warnt alle, die glauben, dass die jungen Tunesier nur kreative, aber harmlose Revolutionsparties feiern wollen. Diese Generation lasse sich nicht mehr einwickeln. Und ihre Künstler schon gar nicht. "Wenn die Politiker nicht Kurs halten, dann werden wir eben etwas nachhelfen... dafür sind wir schließlich da! Es liegt an uns, an der jungen Generation, dieses neue Tunesien aufzubauen."

Autor: Alexander Göbel
Redaktion: Carolin Hebig