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Eskalation in Ägypten

28. Januar 2011

Die Regierung in Kairo stemmt sich mit Macht gegen die sich zuspitzenden Massenproteste. Präsident Mubarak moblisierte das Militär und verhängte eine nächtliche Ausgangssperre, Internet und Mobilfunk wurden gekappt.

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Demonstranten mit einem Poster des verhassten Präsidenten Mubarak (Foto:AP)
Demonstranten mit einem Poster des verhassten Präsidenten MubarakBild: AP

Mehr als 100.000 Ägypter sind in Kairo, Alexandria, Suez und vielen anderen Städten des Landes nach den Freitagsgebeten (28.01.2011) gegen die fast 30-jährige Herrschaft von Staatspräsident Husni Mubarak auf die Straße gegangen. In Kairo skandierte die Menge: "Geh, geh, Mubarak, dein Flugzeug wartet auf dich". Augenzeugen berichteten von Demonstranten, die auf Postern mit Fotos des Präsidenten herumtrampelten. Die Polizei setzte Schlagstöcke, Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer gegen die Menge ein.

Nächtliche Ausgangssperre in ganz Ägypten

Eine von Präsident Mubarak zunächst für Städte Kairo, Alexandria und Suez verhängte nächtliche Ausgangssperre wurde nach kurzer Zeit auf das ganze Land ausgedehnt. Zu einer Beruhigung der aufgeheizten Stimmung trägt diese Maßnahme aber bislang nicht bei. Mubarak ordnete erstmals den Einsatz des Militärs zur Unterstützung der Polizei an. Panzer bezogen an zentralen Punkten Kairos Stellung. Tausende Demonstranten versuchten in der Hauptstadt das Außenministerium und das Gebäude des Staatsfernsehens zu stürmen. Die Zentrale der ägyptischen Regierungspartei wurde in Brand gesetzt. Im Stadtzentrum fielen nach Beginn der Ausgangssperre Schüsse. In Alexandria setzten Demonstranten den Sitz des dortigen Gouverneurs in Flammen. Auch in Suez rückte nach gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften das Militär mit Panzern ein. Ärzte berichten von landesweit mehreren Hundert Verletzten. Mehrere Menschen sollen ums Leben gekommen sein.

El Baradei beim Freitagsgebet in Kairo - kurz vor seinem Hausarrest (Foto:AP)
El Baradei beim Freitagsgebet in Kairo - kurz vor seinem HausarrestBild: AP

Auch der erst am Donnerstag in seine Heimat zurückgekehrte Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei, ehemals Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), und seine Anhänger schlossen sich den Protestaktionen in Kairo an. Von Wasserwerfern beschossen, zogen sich El Baradei und seine Vertrauten in eine Moschee zurück. Dort wurden sie von Sondereinsatzkräften der Polizei belagert und am Verlassen des Gebäudes gehindert. Inzwischen wurde er unter Hausarrest gestellt. El Baradei hatte zuvor erklärt, er sei bereit, eine mögliche Übergangsregierung in Ägypten anzuführen.

Mobilfunk und Internet eingestellt

Kurz vor den Massenkundgebungen an diesem Freitag wurden der Zugang zum Internet und verschiedene Mobilfunknetze gekappt. Die vier großen Internetprovider - Link Egypt, Vodafone/Raya, Telecom Egypt und Etisalat Misr - stoppten den Datenverkehr kurz nach Mitternacht.

Nach Angaben des britischen Telekom-Konzerns Vodafone wurden alle Mobilfunk-Betreiber von den ägyptischen Behörden angewiesen, das Mobilfunknetz in bestimmten Teilen des Landes abzuschalten. Textnachrichten konnten nicht mehr versendet werden. Webseiten wie Twitter, Facebook und der Email-Dienst von Google waren vollständig blockiert. Auch die Server für Webseiten der ägyptischen Regierung und der US-Botschaft in Kairo waren laut CNN unterbrochen. Nach ägyptischem Recht sind die Behörden befugt die Unterbrechung von Internet und Mobilfunk anzuordnen. Offenkundiges Ziel der ägyptischen Staatsführung ist es, die Massenproteste zu ersticken.

"Freitag der Wut"

Wütende Demonstranten in Suez (Foto: epa)
Wütende Demonstranten in SuezBild: picture alliance/dpa

Die Regierungsgegner hatten zu einem "Freitag der Wut" aufgerufen. Da Demonstrationen in Ägypten meist nicht geduldet werden, benutzten die Ägypter auch in der Vergangenheit immer wieder das Freitagsgebet, um sich trotzdem zu versammeln. Das Polizeiaufgebot in Kairo und anderen Städten ist groß. Die Sicherheitskräfte sind angewiesen, notfalls auch zur Waffe zu greifen. "Die Polizei hat klare Anweisungen erhalten, jede Demonstration zu verhindern und notfalls auch direkt auf mögliche Demonstranten zu schießen", hieß es aus Sicherheitskreisen.

Zahlreiche Oppositionelle, darunter nach Angaben aus Sicherheitskreisen 25 führende Mitglieder der islamistischen Muslimbruderschaft, wurden festgenommen. Die offiziell verbotene Muslimbruderschaft, die in der Vergangenheit größte Oppositionsbewegung des Landes, hatte ihre Anhänger nach tagelanger Zurückhaltung aufgerufen, sich den Protesten anzuschließen. Viele liberale Ägypter fürchten nun, dass die Muslimbrüder, die für eine Islamisierung des Staates eintreten, auf den fahrenden Protestzug aufspringen, der nicht von ihnen, sondern hauptsächlich von Studenten und jungen Arbeitslosen in Gang gesetzt worden war.

Mubarak abgetaucht

Mubarak:Noch ist er offenbar nicht bereit, die Macht abzugeben (Foto: AP)
Noch ist er offenbar nicht bereit, die Macht abzugebenBild: AP

Der 82-jährige Präsident Mubarak ist seit den ersten Demonstrationen am vergangenen Dienstag nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. Berichte, dass der Sohn des unter Druck stehenden Präsidenten das Land bereits verlassen hat, sah sich die Regierung bereits am Donnerstag gezwungen, zurückzuweisen. Viele Ägypter gehen davon aus, dass Mubarak nach fast dreißigjähriger Herrschaft seinen 47-jährigen Sohn Gamal zu seinem Nachfolger machen will.

Kritik aus dem aus Ausland

In den USA wächst die Unruhe über die sich zuspitzende Lage in Ägypten. "Wir sind sehr besorgt über den Einsatz von Gewalt durch ägyptische Polizisten und Sicherheitskräfte gegen Demonstranten und rufen die ägyptische Regierung auf, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die Sicherheitskräfte zurückzuhalten", sagte Außenministerin Hillary Clinton. Auch an die Demonstranten appellierte Clinton, sich friedlich zu verhalten. Präsident Barack Obama beriet mit seinem Sicherheitskabinett über die Lage in Ägypten. Das Land gilt als einer der wichtigsten Verbündeten der Amerikaner in der Arabischen Welt. Das stürzt die USA in ein Dilemma. Sie möchten die Reformbewegung unterstützen, zugleich aber ihrem Verbündeten nicht schaden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte die ägyptische Regierung auf, den Einsatz von Gewalt gegen friedlich Protestierende zu beenden. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), sprach von einem Schlag ins Gesicht für alle, die für Menschen- und Bürgerrechte in Ägypten eintreten.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die Internetzensur in Ägypten. „"Ich glaube, eines der obersten Gebote der Demokratie sollte der Schutz der Redefreiheit der Bürger sein", sagte er. Politische Führer sollten die Proteste zum Anlass nehmen, auf legitime Bedenken ihrer Bürger einzugehen.

Autor: Ulrike Quast (dpa,dapd,afp,rtr)
Redaktion: Sabine Faber