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David, Kasparow und Donald Duck

Oliver Samson12. Mai 2004

Er ist 13 Jahre alt, sieht noch viel jünger aus und spielt Schach, dass sich die Alten fürchten: Der Norweger Magnus Carlsen ist Schachgroßmeister - und soll nun zurück auf die Schulbank.

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Sie sehen einen GroßmeisterBild: dpa

Die Dubai Chess-Open sind ein renommiertes und dementsprechend hoch dotiertes Schachturnier. Auf den ersten beiden Plätzen standen am Ende zwei erfahrene Schach-Profis. Einen halben Punkt dahinter eine Gruppe mit elf Großmeistern - und Magnus Carlsen. Der 13-Jährige war bei dem Turnier Anfang Mai 2004 ungeschlagen geblieben. Seit der achten Runde des Turniers, einem Schwarzremis gegen Alexei Fedorov, kann sich das Wunderkind nun Großmeister nennen - und hat damit den Aufstieg in den elitären Zirkel der 250 besten Schachspieler weltweit geschafft.

Der Großmeistertitel ist eine Ritterschlag des Denksportes. Er wird nach einer "auf der Gauß'chen Glockenkurve basierenden Formel verliehen", sagt Norbert Heymann, Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Deutschen Schachbund (DSB). "Ich selbst verstehe die auch nicht ganz." Grob gesagt werden dabei Spielergebnisse mit der Stärke der Gegner verrechnet - wie etwa bei der Tennisrangliste.

Der Zweitjüngste

Carlsen ist der bislang zweitjüngste Großmeister überhaupt - Garri Kaspararow schaffte dies beispielsweise erst mit 17. Noch ein wenig früher als Larsen holte sich nur der Ukrainer Sergey Karjakin 2002 den Großmeistertitel - im Alter von exakt zwölf Jahren und sieben Monaten. Die beiden sind sich noch nicht am Brett begegnet, viele Experten halten Carlsen aber für noch talentierter.

Die Erwartungen an das Wunderkind am Brett sind dadurch nicht unbedingt kleiner geworden. "Er wird Kasparow in zwei oder drei Jahren verprügeln", kündigt der Trainer des Wunderkindes, Simon Adgestein, an. Beim Schnellschach-Turnier in Reykjavik bekam der seit fast zwei Jahrzehnten die Weltrangliste anführende Russe im März 2004 die Qualitäten seines potenziellen Nachfolgers schon zu spüren: David brachte den Goliath zwar nicht zu Fall, "aber er kam ihm mit der Steinschleuder verdammt nahe", wie der englische Ex-Vizeweltmeister Nigel Short bemerkte. Carlsen trotzte dem Meister der Großmeister ein Remis ab.

Wundergeschichten vom Wunderkind

Da zirkulierten in Schachkreisen längst Wundergeschichten über das Wunderkind. Schon als Fünfjähriger soll Magnus aller 430 Bezirke Norwegens gekannt haben, samt ihrer Einwohnerzahl und Fläche - selbstverständlich auf den Quadratmeter genau, wie das Fachblatt "News in Chess" berichtete. Als Bettlektüre soll sich Magnus Schach-Eröffnungsbücher zu Gemüte führen, um dann am nächsten Morgen seinen Trainingspartnern die neue Eröffnung zu servieren. Die "Washington Post" jubelte Carlsen zum "Mozart des Schachs" hoch.

Doch anders als das musikalische Genie begann der in Lommedal bei Oslo geborene Schüler vergleichsweise spät, seine Hochbegabung zu entdecken - mit acht Jahren. Doch schon kurze Zeit später unterlag Vater Henrik, selbst ein starker Amateurspieler, seinem Nachwuchs. Er übergab seine Betreuung in die Hände von Simon Adgestein. Adgestein, bis zu einer schweren Knieverletzung norwegischer Fußballnationalspieler, ist der einzige norwegische Schachspieler von Format - und hat damit eine Chance von dem Wunderkind als Trainer akzeptiert zu werden. "Acht bis zehn Stunden Schach-Training am Tag sind auf diesem Niveau unerlässlich", meint Heymann vom DSB. Hinzu komme bei Magnus "eine phantastische visuelle und mathematische Begabung", welche die mangelnde Erfahrung offensichtlich ausgleichen könne.

Kleiner Meister gegen Großmeister

Richtig in Schwung kam die Karriere im Laufe des letzten Jahres: Adgestein besorgte mit Microsoft einen Sponsor und ließ Magnus von der Schule beurlauben. Seitdem zieht der Carlsen-Tross mit Trainer, Vater und Wunderkind von Turnier zu Turnier. Beim holländischen Schachfestival in Wijk aan Zee gab es Anfang 2004 schließlich die ersten großen Erfolge. Magnus wurde mit überragenden 10,5 Punkten aus 13 Partien Sieger in der C-Gruppe, wobei er sogar den georgischen Großmeister Merab Gagunashvili schlug.

Im Herbst 2004 geht das Wunderkind erstmal wieder zurück auf die Schulbank, obwohl ihn das - außer dem Sportunterricht - eigenem Bekunden nach schrecklich langweilt. "Bei der nächsten Weltmeisterschaft in Libyen wird er noch keine überragende Rolle spielen", meint Heymann. In fünf bis sieben Jahren sei Carlsen alles zuzutrauen. "Dann wird man sehen, ob seine Talent und seine Motivation die Pubertät überstanden haben." Ob das Wunderkind dann schließlich auch zum jugendlichen Star werden kann, wird sich in den nächsten Jahren entscheiden. Schließlich sind schon viele Wunderkinder am Erwartungsdruck gescheitert.

Bisher scheint sich dieser Druck aber nicht allzu sehr auf Magnus auszuwirken. Außer dem Schach widmet er sich durchaus altersgemäßen Beschäftigungen: Er spielt begeistert Fußball. Und seine Lieblingslektüre sind Donald-Duck-Taschenbücher.