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Das Erfolgskonzept der Menschenrechtswächter

Eva Mehl13. März 2004

Human Rights Watch schlägt mit Foltervorwürfen Alarm. Prompt, wenn auch zähneknirschend, beziehen die US-Streitkräfte Stellung: Wie es einer NGO gelingt, in Sachen Menschenrechte den Ton anzugeben.

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HRW-Sprecher José Miguel VivancoBild: AP

59 Seiten lang ist der Bericht "Enduring Freedom" von Human Rights Watch (HRW). Von Freiheit ist darin allerdings nicht viel zu lesen. Stattdessen schildern ehemalige Gefangene der US-Armee in Afghanistan, was ihnen während der Haft angetan wurde. Sie seien heftig geschlagen, mit eisigem Wasser übergossen und extremen Temperaturen ausgesetzt worden. Viele seien gezwungen worden, lange Zeit in "schmerzhaften Positionen" zu stehen oder zu knien. Schlafentzug sei ebenfalls vorgekommen. Die US-Armee reagierte prompt auf die Vorwürfe, wies die Anschuldigungen als "unzutreffend" zurück. Mittlerweile protestieren jedoch auch rund 250 Stammesführer in Kabul gegen Misshandlungen und Übergriffe durch US-Streitkräften. Sie berufen sich auf den HRW-Bericht.

Glaubwürdigkeit?

"In Zeiten, in denen die amerikanische Öffentlichkeit die Welt in Gut und Böse einteilt, gewinnen die Folterwürfe gegen US-Kräfte an besonderer Brisanz", sagt Wolfgang Heinz vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Umso wichtiger sei, dass die Anschuldigungen der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hieb- und stichfest sind. "Beruhen Informationen auf falschen Behauptungen, fliegt eine NGO schnell auf". Das Erfolgskonzept von HRW: "Ihre Berichte sind zu hundert Prozent seriös", urteilt der Politologe.

Informationsmonopol in Krisengebieten

Ein Team aus etwa 180 Anwälten, Journalisten und Länderexperten ist weltweit für HRW einsatzbereit. Sie arbeiten schnell und vor allem sehr gründlich, erklärt Urmi Sha von HRW in London. Alle Informationen, die veröffentlicht werden, stammen aus erster Hand und niemals nur aus einer Quelle. Die Experten recherchieren vor Ort, in über 70 Ländern. Oftmals sprechen sie Landessprachen wie arabisch oder persisch und führen gezielt Interviews mit Augenzeugen in den Krisengebieten. "Mit ihrer langfristigen und professionellen Länderarbeit füllt HRW eine Nische", sagt Wolfgang Heinz. Indem die NGO zeitlich begrenzte Büros in Krisengebieten einrichtet, kann sie der Welt über Monate hinweg ständig aktualisierte Informationen liefern.

Mitsprache beim Völkerrecht

Seit 1993 hat HRW einen Konsultativstatus bei den Vereinten Nationen. Staatswissenschaftlicher Jost Delbrück stellt in einer Studie fest, dass internationale Gerichte verstärkt die Expertise der NGO für die Aufklärung von Streitfällen heranziehen. So beruhten sechs der sieben Anklagepunkte, die 1999 gegen den Jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic erhoben wurden, auf Fällen, die HRW im Kosovo dokumentiert hatte. Auch am Gesetz gegen Kinderarbeit und am Landminenverbotsgesetz hat HRW maßgeblich mitgewirkt. Weitere Schwerpunkte sind: außergerichtliche Hinrichtungen, das "Verschwinden" von Menschen, Folter, politische Inhaftierungen, Diskriminierung, ungerechte Gerichtsverfahren und Verletzungen der Meinungs-, Vereinigungs- und Religionsfreiheit.

Unparteiisch und Unabhängig

Nicht zuletzt um eine Instrumentalisierung zu vermeiden, lehnt die NGO eine finanzielle Förderung durch Regierungen oder staatliche Organisationen ab. HRW finanziert sich allein durch Spenden von privaten Stiftungen und einzelnen Personen. Teil ihrer Strategie ist die Lobbyarbeit bei den Vereinten Nationen, amerikanischen Ministerien und anderen internationalen Organisationen, so Umri Sha. Im Gegensatz zu Amnesty International (AI) setzt HRW zwar weniger auf eine breite Mitgliederbasis. Andererseits erreicht sie mit einem Zehntel des Gesamtbudgets von AI eine international vergleichbare Medienpräsenz.

Romantisierung?

Seit der Gründung 1978 hat HRW durch professionelle und zuverlässige Arbeit kontinuierlich ein hohes internationales Ansehen erworben. Franz Nuscheler vom Institut für Entwicklung und Frieden warnt jedoch vor einer Überschätzung der NGO-Arbeit. Die Wächter der Menschenrechte sind nicht überall. In einigen Ländern müssen die Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen abgezogen werden. In Regionen wie der indonesischen Provinz Aceh bleibt ihnen der Zugang verwehrt, berichtet Umri Sha von HRW.