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"Mazedonien ohne eine autokephale orthodoxe Kirche wäre irgendwie defizitär"

2. Februar 2004

- Der serbisch-mazedonische Kirchen-Streit

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Bonn, 2.2.2004, DW-RADIO, Klaus Dahmann

Der serbisch-orthodoxen Kirche droht eine ernste Zerreißprobe: Der seit fast 40 Jahren schwelende Konflikt zwischen dem Patriarchat in Belgrad und der abtrünnigen orthodoxen Kirche Mazedoniens hat sich in den vergangenen Wochen zugespitzt. Die mazedonische Orthodoxie hat sich bereits 1967 von Belgrad losgesagt, kämpft aber nach wie vor um ihre Anerkennung als unabhängige - das heißt: autokephale - Kirche. Zum serbisch-mazedonischen Kirchen-Streit hat Klaus Dahmann mit deutschen Südosteuropa-Experten und Religionswissenschaftlern gesprochen.

Eine Nation, eine Kirche - diese Gleichung ist in der orthodoxen Kirche nach wie vor heftig umstritten. Eine nationale Zersplitterung der Orthodoxie sei Häresie, lautete die Botschaft der Synode der Patriarchen im Jahre 1873. Und so heißen die autokephalen Patriarchate bis heute offiziell nur "lokale" Kirchen - aber tatsächlich handele es sich um nationale Kirchen, sagt der Berliner Südosteuropa-Historiker Klaus Buchenau. Daher sei es nicht verwunderlich, dass die Mazedonier sich mit dem 1967 gewährten Autonomie-Status innerhalb der serbischen orthodoxen Kirche seit der staatlichen Unabhängigkeit Mazedoniens nicht mehr zufrieden gäben. Schließlich seien auch die Kirchen in Albanien, Griechenland, Rumänien und Bulgarien als autokephal anerkannt:

"Im Kontext der Balkan-Staaten wäre ein Land Mazedonien, das keine autokephale nationale Kirche hat, irgendwie defizitär, und so würde das auch wahrgenommen."

Einer vollständigen Unabhängigkeit muss - so schreibt es die orthodoxe Kirche vor - die Mutterkirche zustimmen. Doch der Belgrader Patriarch Pavle I. ist nach wie vor nicht bereit, der mazedonischen Kirche die Autokephalie zu gewähren. Und dabei kann er auf die Unterstützung der anderen autokephalen Patriarchate - von Moskau bis Alexandria - zählen. Klaus Buchenau:

"Ich glaube, der Kern der Sache besteht darin - und das ist auch das Geheimnis, warum die serbisch-orthodoxe Kirche von allen anderen autokephalen Kirchen unterstützt wird: Es geht hier um Recht und Ordnung, um tiefsitzende Ängste, die auch von anderen orthodoxen Kirchen geteilt werden. Nämlich, dass sich Kirchengebiete an den Rändern von Staaten, wo sich vielleicht nationale Minderheiten befinden, einfach so vom Zentrum lossagen und dass dann das Chaos ausbricht."

Im Mai 2002 sah es so aus, als könne der Streit beigelegt werden: In Nis fanden Bischöfe beider Seiten den Kompromiss, dass die mazedonische Kirche zwar der Jurisdiktion Belgrads unterstellt bleibe, aber "echte Autonomie" erhalte. Doch die mazedonische Bischofs-Versammlung lehnte es ab, dem Abkommen zuzustimmen.

Zum Eklat kam es, als kurz darauf einer der mazedonischen Metropoliten, Jovan Vraniskovski verkündete, er unterstelle sich dem Belgrader Patriarchen. Die Empörung war groß - und zwar nicht nur in Kirchen-Kreisen: Demonstranten beschimpften den Metropoliten als "Verräter". Jovan wurde aller Kirchenämter enthoben, es erging die Anordnung, er solle sich in ein Kloster zurückziehen. Der Belgrader Patriarch Pavle ernannte Jovan daraufhin zum Patriarchal-Exarchen für Mazedonien - ein Versuch, Parallel-Strukturen zu errichten, der von der Kirchen-Führung in Skopje als neue Kampf-Ansage gewertet wurde.

Im Sommer 2003 spitzte sich der Streit zu, als der Belgrad-treue Metropolit verkündete, einige Klöster hätten sich wie er zum Belgrader Patriarchen bekannt. Jovan wurde daraufhin verhaftet, als er in einer mazedonischen Kirche einen Taufgottesdienst abhalten wollte. Im Januar dieses Jahres nahm man ihn erneut fest - wegen "Aufwiegelung zu nationalem, religiösem und ethnischem Hass und Kirchen-Spaltung". Nach massiven Protesten aus Belgrad wurde er am Wochenende (31.1./1.2.) freigelassen - bis zum Prozess.

Wie sich der Kirchen-Streit weiter entwickeln wird, ist ungewiss. Der Berliner Südosteuropa-Experte Holm Sundhaussen schließt jedoch eine Eskalation des Konflikts aus:

"Dieser Kirchen-Streit hat doch nicht die Explosions-Kraft wie die Auseinandersetzung mit den Albanern in Makedonien."

Die Kirchen-Hierarchie in Belgrad versucht derweil, Jovan zu einem neuen Märtyrer zu stilisieren: Sie verurteilte die Repressalien gegen den Belgrad-treuen Metropoliten als "brutalen Terror", der an die Christen-Verfolgung in römischer Zeit erinnere.

Doch in der serbischen Öffentlichkeit ist die Aufregung über den Fall Jovan gering. Klaus Buchenau:

"Ich denke, dass jeder orthodoxe Mönch, der heute im Kosovo durch einen Steinwurf eines (muslimischen) Albaners stirbt, eine größere Chance auf Märtyrertum in seiner Kirche hat als Metropolit Jovan."

Die serbisch-orthodoxe Kirche müsse begreifen, dass sie mit ihrer starren Haltung in den Verhandlungen nicht weiter komme, meint Buchenau. Nur dann sei eine Lösung des Streits möglich:

"Ich glaube, dass die Serben wieder diplomatischer werden müssen - das ist der Kern der Sache."

Am Ende werde der Patriarch in Belgrad die Autokephalie der mazedonischen Kirche wohl anerkennen, meint der Berliner Religionswissenschaftler Vasilios Makrides, wenngleich sich die Mazedonier noch in Geduld üben müssten:

"Wegen der radikalen Umwälzungen in der serbischen Kirche in den 1990-er Jahren wird sie das nicht so schnell erlauben. Und es wird noch eine geraume Zeit dauern, bis es passiert." (fp)